456. Johann Wilde.

[481] (S. Arndt, Märchen und Jugenderinnerungen. [Berlin 1818] Bd. I. S. 235 etc. [II. A. 1842 S. 197.])


Vor vielen Jahren lebte im Dorfe Rodenkirchen auf Rügen ein Bauer, Namens Johann Wilde. Der wollte gern reich werden, und da er gehört hatte, daß in den neun Bergen bei Rambin braune und weiße Zwerge, also keine bösen oder schwarzen sich befänden, und man, wenn es einem glücke, von diesen Zwergen etwas in die Hände zu bekommen, z.B. eine Mütze, Schuh u. dgl., dann denjenigen Zwerg, dem das verlorene Stück gehöre, zum Diener erhalte, der einem bringen müsse, was man wolle, so beschloß er sein Glück auf diese Weise zu versuchen. Er ging also um Mitternacht dorthin, nahm eine Branntweinflasche mit und legte sich hin, als wenn er schwer betrunken wäre. Als nun die Zwerge von den Bergen herabkamen um mit einander zu tanzen, nahmen sie sich nicht sehr vor ihm in Acht, weil sie ihn für betrunken hielten, und so gelang es ihm, den gläsernen Schuh eines derselben zu erwischen. Mit dem lief er eilig zu Hause und versteckte ihn hier sorgfältig. In der nächsten Nacht aber kehrte er wieder zu den neun Bergen zurück und rief laut: »Johann Wilde in Rodenkirchen hat einen schönen gläsernen Schuh, wer kauft ihn?« Er wußte wohl, daß sein Herr ihn nicht im Stiche lassen konnte. Richtig kam auch am andern Tag der arme Zwerg, der genöthigt war, mit einem Fuße barfuß zu gehen, als Kaufmann verkleidet in Johann Wilde's Haus und fragte nach dem Preise des Schuhes. Sie handelten lange darum, endlich aber gab ihn jener hin für das Erlernen der Kunst, beim Pflügen in jeder Furche einen Dukaten zu finden.

Nun fing er an zu pflügen und richtig, als er die erste Scholle gebrochen hatte, sprang ihm ein schöner blanker Dukaten entgegen und bei der zweiten Furche wieder einer und so ging es fort. Hans Wilde aber konnte nicht genug der Dukaten finden, darum machte er die Furchen immer enger und kleiner und pflügte vom frühen Morgen bis spät am Abend, und obwohl er die Pferde, die das fortwährende Ackern doch nicht hätten aushalten können, kluger Weise öfter wechselte, so konnte er sich selbst doch nicht ebenfalls verdoppeln und verdreifachen. Darum vergaß er das Essen, Trinken und Schlafen und dachte nur ans Pflügen, so daß er endlich einmal plötzlich hinter dem Pfluge vor Mattigkeit umsank und starb. Seine Frau und[481] Kinder aber ließen sich die vielen nach seinem Tode vorgefundenen Dukaten wohl gefallen und kauften davon große Ländereien, so daß sie bald zu den reichsten Edelleuten auf Rügen zählten.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 481-482.
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