542. Die große Bratwurst und der Stritzel zu Königsberg.

[543] (S. Hennenberger S. 186. 190.)


Es ist ein alter Gebrauch zu Königsberg in Preußen, dessen Ursprung man aber nicht kennt, daß die Fleischer eine sehr lange Wurst machen und[543] diese am Neujahrstage in allen drei Städten Königsberg herumtragen, daß sie Jedermann sieht und dann verehren sie sie den Losbäckern. Im Jahre 1558 ist solche 198 Ellen lang gewesen und 48 Personen haben an ihr getragen. Im Jahre 1583 haben sie wieder eine Bratwurst von 36 Schweineschinken zugerichtet. Sie hat auf der Kneiphöfer Wage 434 Pfund oder 11 Stein weniger 6 Pfund (den Stein zu 40 Pfund gerechnet) gewogen, ist 596 Ellen lang gewesen und haben sie 91 Personen getragen, ohne die Aeltesten, so vorn und hinten, und Andere, so daneben gingen. Sie ist aber also getragen worden. Es haben sich alle Fleischergesellen aus allen drei Städten fein und säuberlich angezogen, weiße Hemden oben über, gleich gemachte Schuhe an den Füßen. Der erste hat das eine Ende der Wurst etliche Male um den Hals gebogen und hinten etwas hinabhängen lassen, dann folgten die andern alle, etwas weit von einander, gleichen Trittes nach, die Wurst auf der Achsel tragend, zwischen ihnen etwas herunterhängend, und der letzte hat sie wieder etliche Male um den Hals gebogen und hinten herabhängen lassen und so haben sie sie hinauf zum Markgrafen Georg Friederich aufs Schloß getragen. Solche Wurst machte man aber nur, wenn man um große Herrn trauern mußte und alle sonstigen Freuden verboten waren. Sie kostete auch zu viel, weil man sie jedes Jahr länger machen mußte und zur Fülle nur Schinkenfleisch von lauter guten Schweinen nehmen konnte und sehr viel kleine Därme, die man in einander bringen mußte, dazu brauchte.

Dafür verehrten nun am h. Dreikönigstag den Fleischern die Bäcker einen großen Stritzel oder Wecken, aus drei Scheffeln Weizenmehl gebacken. Im Jahre 1583 haben sie ihnen aber fünf verehrt. Um sie zu backen, hat man auf dem Schlosse zwei große Backöfen gebaut, mitten hinein ein Loch gebrochen, dann dieselben geheizt und den Stritzel durch das Loch eingeschoben, so daß er in beiden gleichzeitig gebacken worden ist. Zum Verzehren der Wurst und des Stritzels baten sich aber die Fleischer und Bäcker gegenseitig zu Gaste und aßen sie zusammen.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 543-544.
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