610. Das Haus »Adam und Eva« zu Danzig.

[582] (S. Karl Th. I. S. 29 etc. Temme S. 207. Ziehnert Bd. II. S. 219.)


Zu Danzig in der Langengasse, der vornehmsten Straße der Stadt, steht ein prächtiges Haus, welches von einem daran befindlichen Schnitzwerke den Namen »Adam und Eva« führt. Obwohl es nicht nur in dem schönsten und gesuchtesten Theile der Stadt gelegen, sondern auch ein herrliches Denkmal alter Baukunst ist, so hat es doch lange Zeit unbewohnt und wüste gestanden, weil man glaubte, es gehe in demselben um. Früher hatte man es öfter zu beziehen versucht, doch zwangen die Geister, welche nicht Tag noch Nacht Ruhe hielten, die Bewohner immer wieder auszuziehen. Also kam es, daß es nach und nach ganz verfiel, endlich bekam es einen neuen Besitzer und dieser wollte es wieder herstellen lassen. Allein lange Zeit vermochte man dies nicht, denn wenn man bald mit der Renovation zu Stande zu sein glaubte, fiel auf einmal alles Neugebaute wieder ein und erst in diesem Jahrhunderte ist es gelungen, den Neubau zu Ende zu bringen und das Haus bewohnbar zu machen.

Noch wird erzählt, daß Jeder, der zur Zeit als die Geister noch hier hausten darin allein eine Nacht zu schlafen gewagt hatte, früh morgens an seinem Bette eine gefüllte Börse fand, mit der Weisung, das darin befindliche Geld, aber ohne es zu verschenken, bis auf den letzten Pfennig im Laufe des nächsten Tages auszugeben, widrigenfalls ihm das Genick gebrochen werden würde. Die Meisten wurden dieser Freigebigkeit, die ihnen mehr Angst und Mühe als Vergnügen bereitete, selbst bald überdrüßig, einige aber, die diese Quelle länger benutzten um ihren Lüsten zu fröhnen, wurden in ihrer Aufmerksamkeit auf die gestellte Bedingung bald so nachlässig, daß sie sie versäumten und den gedrohten Tod starben. Als Ursache dieses Spukes erzählt man aber folgende Geschichte.

Es soll zu der Zeit, als Danzig noch eine freie Reichsstadt war und seine eigene Gerichtsbarkeit hatte, in jenem Hause ein Rathsherr gewohnt haben, ein gar rechtschaffener und lieber Herr. Derselbe lebte einsam und abgeschlossen von der Welt, da ihm nach einer kurzen, aber sehr glücklichen Ehe seine junge Frau frühzeitig durch den Tod entrissen war. Er warf sich nun, um seine Gedanken abzuziehen, auf die damals allgemein gepflegte Alchimie und machte bei diesen Studien die Bekanntschaft eines Goldmachers und Schwarzkünstlers aus Venedig. Ihre beiderseitigen Versuche, Gold zu machen, hatten keinen günstigen Erfolg, dafür versprach der Fremde aber dem Rathsherrn ihm Geister zu citiren und Personen, die längst verstorben waren, aus dem Schattenreiche herauszurufen. Er machte es sich aber aus, daß zu der Zeit, wo die Beschwörung stattfinden sollte, außer ihnen beiden kein lebendes Wesen im Hause sein dürfe, weil der Zauber sonst keine Wirkung habe. Als der zu diesem Akt bestimmte Tag herangekommen war, schickte der Rathsherr sein ganzes Gesinde aus dem Hause, die Beschwörung ward gemacht, es erschien aber Niemand. Man durchsuchte das ganze Haus und fand einen schwarzen Pudel, den man vergessen hatte fortzunehmen. Man beraumte einen zweiten Termin an, abermals war angeblich Niemand mehr im Hause und doch gelang die Beschwörung abermals nicht, man durchsuchte deshalb wiederum alle Räume desselben und siehe man fand auf dem[583] Boden einen alten Diener des Rathsherrn versteckt, der aus Neugierde aus einer Dachlucke des Nachbarhauses herübergeklettert war um zu sehen, was während der erzwungenen Abwesenheit der Dienstleute hier vorgehe. Man war also genöthigt einen dritten Tag zu diesem Behufe zu bestimmen, wieder fanden alle die Ceremonien statt, welche die Beschwörung verlangte und abermals kam Niemand. Da fragte der Beschwörer den Rathsherrn, ob er jetzt den, welcher immer wieder durch seine Anwesenheit das Werk hindere, wie er ihm gedroht, dem Tode opfern dürfe, und ersterer, der sich gewiß zu sein glaubte, daß Niemand im Hause sei, bejahete die Frage, aber wie ward ihm, als man auf einmal in einem Kamine einen Schrei hörte und nach Oeffnung desselben denselben alten Diener mit abgeschlagenem Haupte fand. Nun bestand aber der Rathsherr darauf, daß die Beschwörung, die bereits Blut gekostet hatte, auch wirklich stattfinde und zuerst mußte er nun die bestimmte Versicherung geben, was er auch sehen und hören werde nicht aus dem Kreise, welchen der Zauberer um sie beide zog und innerhalb welches er seine Beschwörungsformel sprach, herauszutreten oder einen Laut von sich zu geben. Er fragte ihn nun, wen er zu sehen verlange, und der Rathsherr wünschte zuerst Adam und Eva zu sehen, diese erschienen, schritten durch das Zimmer und verschwanden. Dann ließ er sich seinen Vater vorführen, und als auch dieser vorübergeschritten war, seine verstorbene Frau. Auch diese erschien, allein es kam ihm vor, als sehe sie ihn mit zornigen Blicken an, daß er ihre Ruhe störe. Außer sich vor Aufregung dachte er nicht mehr an das, was ihm zur Pflicht gemacht worden war, er sprang aus dem Kreise heraus, warf sich vor ihr nieder und rief: »Verzeihe, verzeihe!« Aber mit einem Donnerschlage verschwand der Geist, Qualm und Rauch erfüllte das Zimmer und der Rathsherr stürzte voll Angst nach dem Fenster, riß es auf und rief verzweifelnd hinaus: »Wehe mir armen Sünder!« Als er wieder zur Besinnung kam, erinnerte ihn nur der todte Rumpf seines Dieners daran, daß der furchtbare Auftritt kein Traum gewesen war. Er ließ zum ewigen Gedächtniß Adam und Eva in einer Gruppe in Stein aushauen und über der Hausthür aufstellen. Den Schwarzkünstler sah er niemals wieder, derselbe war ebenfalls verschwunden. Seit dieser Zeit aber verfiel das Haus den bösen Geistern, welche Niemand mehr darin duldeten. Man benutzte dasselbe später nur, um den Verbrechern, die hier vorüber zum Richtplatz geführt wurden, aus dem Fenster zuzuschreien: »Wehe, wehe über Dich armen Sünder.«

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 582-584.
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