677. Ein Schwarzkünstler fährt mit einer Bürgermeisters-Tochter durch die Lüfte.

[623] (S. Hennenberger S. 477.)


Zu der Zeit des Hochmeisters Heinrich Reuß des Andern war ein Schulmeister in einem Städtchen in Preußen, so ein Schwarzkünstler war, dem der Teufel alle Nächte ein Weibsbild brachte, wann und welche er wollte, für seine Dienste. Nun war dort ein Bürgermeister, der hatte eine feine mannbare Tochter, die ließ jener sich etliche Nächte holen. Dies klagte sie ihren Eltern, die wollten die Wahrheit erfahren und so legten sie dieselbe am Abend zwischen sich ins Bett. Als aber die Stunde kam, da ward sie zwischen ihnen weggenommen und am Morgen befand sie sich wieder hier. Da fragte der Vater die Tochter, ob sie nicht wisse, wohin sie geführt werde? Sie sagte: »Nein, sie wisse es nicht, es wäre nicht weit von der Kirche.« Da giebt der Vater seiner Tochter einen Knäuel Garn und befiehlt ihr, denselben fallen zu lassen, wenn sie zum Fenster hineingeführt werde. Am andern Morgen ging aber der Bürgermeister auf den Kirchhof und fand den Knäuel vor des Schulmeisters Fenster. Als sie nun wieder hinweggeführt ward, da nahm der Bürgermeister die Wache und so gingen sie in die Schule, kamen mit des Famulus Schlüssel hinein in des Schulmeisters Kammer, fanden sie Beide sanft neben einander schlafen, sie führten den Schulmeister ins Gefängniß, die Dirne aber im Hemde zu ihrem Vater, der ließ den Henker holen und den Schulmeister hinausführen um ihn lebendig zu verbrennen.

Nun sollte er auf seiner letzten Hinfahrt bekennen, daß es wider ihren Willen geschehen sei, das that er auch und bat um Verzeihung, denn sie war mit ihren Eltern um dieses Bekenntnisses wegen hinausgegangen. Der Schulmeister erbot sich auch, er wolle sie wiederum mit der Ehe zu Ehren bringen, man solle ihm nur das Leben lassen, aber das wollte der Bürgermeister nicht. Da bat er die Dirne, daß sie ihm ein Zeichen der Vergebung in seine Hand geben wolle, und sie gab ihm mit Erlaubniß ihrer Eltern einen Knäuel Seide, den sie im Beutel hatte. Als er ihn empfing, ward eine seiner Hände los, damit warf er den Knäuel in die Höhe, umfängt des Bürgermeisters Tochter mit fremden Worten und fährt mit ihr auf und davon, also daß Niemand wußte, wo sie geblieben waren.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 623.
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