745. Der steinerne Brodlaib zu Neckarshausen.

[669] Einst herrschte eine schwere Hungersnoth im Schwabenlande, Noth war in den Hütten der Armen und den Schlössern der Reichen. Da pochte ein zum Gerippe abgemagerter Bettler an die Pforte der Burg Neckarshausen und flehte um Gottes willen um ein Stücklein Brod, die Edelfrau aber sprach zu ihm hartherzig, »sie lebe selbst in Mangel, besitze selbst nur noch ein Brod, welches sie für sich und ihre Leute bedürfe, sei es nicht wahr, so möge ihr sämmtlicher Vorrath zu Stein werden!« Kaum war derselbe kummervoll fortgewankt, da rief die Edelfrau ihre Diener und hieß sie den Bettler zurückrufen, er möge wohl ein Bote von Gott gesandt gewesen sein, sie zu prüfen. Nirgends war aber eine Spur von ihm aufzufinden und als sie am andern Morgen ihren Schrein öffnete, war der dort verborgene Brodlaib zu Stein geworden. Grausend trug sie den Steinlaib hinab zur St. Ulrichs-Kapelle und schenkte um den Herrn zu versöhnen all ihr Gut den Armen. Längst ist das Schloß verschwunden, in der Kapelle aber kann man heute noch den Brodlaib in die Wand gefügt schauen.

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Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 669.
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