800. Die Glauburg.

[711] (S. Dieffenbach im Archiv f. Hess. Gesch. Bd. IV. S. 285. Bd. III. H.J.)


Auf dem Berge bei Glauberg in der Wetterau, den man die Glauburg nennt, stand einst eine große und feste Stadt. Da aber die Bewohner derselben vielfältige Räubereien trieben, so beschloß der Kaiser sie dafür zu züchtigen und die Stadt zu zerstören. Die Bewohner derselben leisteten aber zu tapfern Widerstand und die Stadt war zu fest, als daß man sie gewaltsam hätte erobern können. Die Belagerung dauerte bereits ins dritte Jahr; da verfielen die Belagerer auf eine seltsame List. Sie fingen nämlich eine Menge Krebse, steckten jedem derselben des Nachts ein Lichtlein auf und ließen sie nach der Mauer zu kriechen. Die Erscheinung der Lichtlein fiel den Belagerten auf und sie zogen sich alle nach der Seite, wo man diese Lichtlein sah. Da benutzte man die Zeit und erstieg auf der andern Seite die Mauer. Als man nun Herr der Veste geworden war, wurde ein Vertrag geschlossen, daß die Frauen der Belagerten mit ihren Kindern und dem was sie tragen konnten, frei abziehen dürften. Da sie nun aber statt des Hausrathes ihre Gatten, welche durch langen Kampf geschwächt waren, auf die Schultern nahmen und heraustrugen, so wollten die Belagerer das nicht gelten lassen und schickten deshalb zur Entscheidung an den Kaiser, der seinen Sitz zu Frankfurt hatte. Diesen rührte aber die Treue und Anhänglichkeit der Frauen an ihre Männer, und er entschied zu ihren Gunsten, worauf die Bewohner wegzogen und die Stadt zerstört ward.

Des Nachts ist es auf der Glauburg noch nicht geheuer. Es wandern hier in der Geisterstunde die Krieger, welche auf derselben hausten, herum. Landleute der Gegend, welche gegen Mitternacht ihren Weg über den Berg nahmen, sahen oben viele Männer gelagert, welche nicht wie unsere Krieger gekleidet und bewaffnet waren, sondern wie die alten Römer.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 711.
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