950. Der Ursprung von Plesse.

[800] (S. Winkelmann Bd. II. S. 316.)


Eine halbe Meile unterhalb Göttingen liegt an der Leine das Haus und die Herrschaft Plesse. Dasselbe verdankt seinen Ursprung dem adligen[800] Geschlechte derer von Schwanringen. Diese haben einen Groll gegen ihre Nachbarn, die Junker von Hardenberg gehabt und so ist denn Sighard von Schwanringen im Jahre 797 durch Bodo von Hardenberg mit einem Pfeile erschossen worden. Als nun Gottschalk von Schwanringen mit seinem Bruder Siegfried sich gerüstet, um ihres entleibten Bruders Tod zu rächen und sich deswegen zu einem Angriff bereitet, haben sich die von Hardenberg auch zur Gegenwehr angeschickt und in ihrem Gebiete an der Bever auf einem gewaltigen hohen Steinfelsen einen Bergfrieden errichtet, eine feste Burg darauf gebaut und dieselbe nach dem Wasser und Steinfelsen Beverstein genannt. Daher hat man die von Hardenberg nach dem neuen Hause Beverstein die von Beverstein genannt. Die von Schwanringen aber konnten aus dem von den Hardenbergern angefangenen Bergfrieden und Bau leichtlich ihr Vorhaben ermessen, zogen daher aus, jedoch unter dem Vorwande, als ob sie auf dem hohen Walde, der jetzt der Plesser Wald genannt wird, jagen wollten, damit sie unvermerkt alle Gelegenheit des vorgenommenen Gebäudes derer von Hardenberg erkunden möchten, und ob sie vielleicht in ihrem Gebiete dort am Walde einen zu einer Festung wohlgelegenen Ort finden könnten, von wo sie denen von Hardenberg auf dem Beverstein Widerstand leisten könnten. Nun hatte Bodo von Schwanringen einen Bastardbruder, Gasco Heise Schwanenflügel genannt, der war ein guter Jäger und den andern Dienern und Knechten seines Vaters vorgezogen und wohlgehalten. Derselbe machte, als ein Waldkundiger, einen Umschweif in dem Walde, um sich zu erkundigen, was es mit dem neuen Bau derer von Hardenberg für eine Gelegenheit haben möchte. Als er nun auf dem Walde wiederum zu seinem Vater kam und von ihm befragt ward, »was ihm bei dem neuen Bergfrieden der von Hardenberg däuche«, so hat Heise, der Jäger, alles was er gesehen und erfahren berichtet und gesagt, wenn er gegen und wider den Beverstein auch ein Haus zu bauen gedächte, wolle er ihm dazu ein solches wohlgelegenes Plätzchen zeigen und weisen, dahin man eine solche Burg und Festung bauen und machen könne, auf welcher man nicht allein vor denen von Hardenberg, sondern auch vor vielen mächtigen Leuten sich aufhalten könne. Gottschalk von Schwanringen begehrte nun, er solle ihm einen solchen Ort oder Plätzchen zeigen. Also kehren sie mit einander nach dem Walde westwärts der Leine zu und kommen an die hohe Ecke des Gebirges und Steinfelsens an der Plätzke, welches Heise, der Jäger, ausersehen. Sobald aber Gottschalk die Gelegenheit des Orts gesehen, hat er gesagt: »Wahrlich, das ist ein feines und wohlgelegenes Plätzchen, da soll und muß eine Burg angelegt und gebaut werden.« Darauf hat er alsbald daselbst zu bauen angefangen und ist der angefangene Bau Pletzke genannt worden, in der Länge der Zeit aber sind nach Art des gemeinen Volkes die drei Buchstaben t z k verloschen und Plesse, etwas leichter auszusprechen, daraus geworden.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 800-801.
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