953. Der unglückliche Schnellläufer.

[804] (S. Winkelmann Th. III. S. 375 nach Happel, Relat. Curiosae Nr. 35 S. 433.)


Im dreißigjährigen Kriege hat einmal ein Landgraf von Hessen-Cassel eine nöthige und schleunige Reise nach Darmstadt vorgenommen; weil er nun die besten Pferde jedesmal unter dem Leibe gehabt, so ist er den Andern zeitlich aus den Augen gekommen und hat ihm Niemand folgen können, mit Ausnahme eines einzigen schnelllaufenden Laquais. Als sie nun in guter Zeit Nachmittags zu Frankfurt a.M. angelangt, und also schon 18 gute deutsche Meilen hinter sich gelegt hatten, da ist der Herr Landgraf schon so steif gewesen, daß er fast nicht einen Schritt hat weiter reiten können, deswegen er seinem noch frisch seienden Laquais etliche verschlossene Zeilen gegeben, welche solcher noch selbigen Abend vollends nach Darmstadt, so noch 3 Meilen weiter, gebracht und dem Herrn Landgrafen daselbst gebührlich eingehändigt hat. Inzwischen hat sich ein Jeder über die Schnelligkeit dieses Läufers zum Höchsten verwundert, als welcher fast in einem einzigen Tage 21 starke deutsche Meilen abgelaufen, und weil damals im hochfürstlichen Saale ein Tanz gehalten worden, so hat man ihn gefragt, ob er sich wohl unterstünde, noch einen Reigen zu tanzen, worauf er mit einem freundlichen ja geantwortet, und als er zuvor einen Pokal mit Wein zu sich genommen, seine Hitze ein wenig zu kühlen, da ist er, als er den Reigen nicht halb vollendet, plötzlich todt zur Erde gefallen, welches Unglück, so dem starken Trunk zugeschrieben worden, Jedermann herzlich bedauert hat und ist ihm ein ehrliches Leichenbegängniß zu Darmstadt gehalten worden.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 804.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Sagenbuch des Preußischen Staats
Sagenbuch des Preußischen Staats: Erster Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Zweiter Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Erster Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Zweiter Band