1094. »Dat is de Garenmate.«

[892] (Nach Seifart I. S. 40.)


Am Rathhause zu Hildesheim finden sich auf der Seite nach der Marktstraße zu die Worte eingehauen: »Dat is de Garenmate.« Daran hat ein geiziger Kaufmann Schuld, der einen großen Garnhandel hatte und die Leute übervortheilte. Kaufte er den armen Leuten ab, so konnte er das Maß nicht groß genug bekommen, verkaufte er aber, so verkürzte er das richtige Maß. Als nun dieser Kaufmann gestorben war, trat er des Nachts vor das Bett seiner erschrockenen Frau und jammerte, daß er so viel Pein in der Hölle erleiden müsse, weil er immer unrichtig gemessen habe, und warf eine eiserne Elle mit den Worten auf den Tisch: »Dat is de Garen Mate.« Dann ermahnte er die Frau, doch ja immer nach diesem richtigen Maße zu kaufen und zu verkaufen, damit es ihr dereinst nicht ergehe wie ihm. Darauf verschwand der Mann und die Frau hatte vor Schrecken beinahe den Tod. Am andern Morgen fiel ihr erster Blick auf den Tisch, auf welchen ihr Mann die Elle geworfen hatte. Aber es war keine Elle zu sehen, statt dessen sah die Kaufmannsfrau eine ellenlange Ritze im Tische, als ob sie hineingebrannt wäre; dieselbe Ritze ging auch unter dem Tische durch den Fußboden und durch alle Decken des Hauses bis auf die Diele, wo sie so tief eingebrannt war, daß man den Grund nicht sehen und auch mit dem längsten Stock nicht fühlen konnte. Die Frau konnte in ihrer Seelenangst die Geschichte nicht verschweigen, und als der Magistrat die Sache erfuhr, ließ er von einem Rathsdiener die Länge der eingebrannten Ritzen messen und diese stimmte genau mit dem gebräuchlichen richtigen Garenmaß. Da ließ der Magistrat zum ewigen Gedächtniß und Warnung jene Worte in einen Stein der Rathhausmauer hauen.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 892.
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