1102. Das Schauteufelskreuz.

[896] (S. Seifart Th. II. S. 7. 150 etc. Müller und Schambach, Niedersächs. Sagen. Gött. 1855 in 8°. S. 156 etc.)


An der Ecke des alten Marktes in Hildesheim steht ein uralter Stein mit einer betenden Figur: dieser Stein und der zunächst gelegene Platz heißt das Schauteufelkreuz. Dieser Name hat folgenden Ursprung. Vor vielen hundert Jahren stellten die Hildesheimer Bürger jährlich einen großen Fastnachtszug an, wobei viel Scherz und Muthwillen getrieben ward. Dem ganzen Zuge vorauf liefen die sogenannten Schauteufel, die als Teufel vermummt große Hörner auf dem Kopfe trugen und blutrothe Zungen aus den Mäulern hängen hatten. Nach einer Sage182 ist dieses Kreuz zur Erinnerung daran aufgerichtet worden, daß im Jahre 1428 eilf solche Schauteufel dort liefen und sich an Frauen und Kindern vergriffen, so daß in Folge dieser Unarten mehrere von ihnen erschlagen wurden. Nach einer anderen Erzählung aber schlug in dem genannten Jahre ein Gerberjunge einen der neckenden Schauteufel mit einer Kanne todt, und es wurde seitdem das Schauteufellaufen vom Rathe untersagt. Nach einer dritten Sage zog in jenem Jahre ein solcher Schauteufelzug durch die Straße, wo jetzt das Kreuz steht, da kam ein anderer Zug, der aber aus leibhaften Teufeln bestand, vom Markte her, allen voran stürmte der böse Feind daher und gab dem, welcher ihn nachäffte, eine solche Ohrfeige, daß er todt auf dem Platze blieb. Da riß Alles aus, was Beine hatte, und der höllische Spuk verschwand dann mit großem Lärm und Gestank in der Luft.

Andere erzählen, den Schauteufelstanz habe ein Schuster gestiftet, der vor vielen Jahren an der Ecke des alten Marktes wohnte. Dieser Schuster wußte vor Hunger und Kummer weder aus noch ein und faßte[896] endlich den gottlosen Entschluß, einen Bund mit dem Teufel zu machen. Er stahl deshalb bei Nacht und Nebel von der Dombibliothek den Höllenzwang, der dort an einer Kette lag und beschwor den bösen Feind. Dieser, der nie lange auf sich warten läßt, wenn er eine arme Seele wittert, die er entführen kann, erschien auch bald und fragte nach feinem Begehr. Der Schuster verschrieb ihm gegen drei Himpten Geld seine Seele unter der Bedingung, daß ihm der Teufel die Seele lassen solle, wenn er nach Jahresfrist wiederkehre und finde, daß das ganze Geld bis auf Heller und Pfennig nur zu einem Gott wohlgefälligen Zweck angewandt sei. Das war der Teufel gern zufrieden und fuhr hohnlachend davon, denn er konnte wohl denken, daß der verhungerte Schuster, wenn er auch Kirchen und Klöster reichlich bedachte, doch einen großen Theil des Geldes für seinen bellenden Magen und seine durstige Kehle verwenden werde. Der Schuster aber war nicht von gestern und dachte bei sich: »Hast du so lange in Hunger und Kummer gelebt, so wirst du es auch noch ein Jahr aushalten«, trug also seine drei Himpten Geld zum Goldschmied und ließ ein großes silbernes Kreuz davon machen; das nahm er mit sich zu Hause und erwartete nach Ablauf des Jahres ganz ruhig den Teufel. Dieser blieb auch nicht eine Minute länger aus, war aber sehr erstaunt, als er den halbverhungerten Schuster noch ebenso wie vor einem Jahre in seiner ärmlichen Schusterstube den Pechdraht ziehen sah. »Was hast Du mit dem Gelde gemacht?« fuhr ihn der Teufel an. »Schau, Teufel, dieses Kreuz!« rief der Schuster aufspringend und ihm das silberne Kreuz entgegenhaltend. Da zerschlug der Teufel bitter und böse ein Fach Fenster und fuhr fluchend und stinkend davon. Der Schuster aber lachte sich ins Fäustchen, ließ sein Kreuz wieder einschmelzen und war von nun an ein steinreicher Mann. Zum Danke für seine Erlösung aus des Teufels Krallen ließ er den Denkstein setzen, der noch heute das Schauteufelskreuz heißt.

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S. Leibnitz, Script. Brunsvic. T. III. p. 261.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 896-897.
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