1154. Der goldene Kegel.

[932] (S. Bechstein S. 254. Harrys Th. I. S. 49.)


Bei Aerzen, zwischen Pyrmont und Hameln, liegt der Lüningsberg, auf dem haben über einem schönen grünen Rasen weiße Geister zur Nachtzeit[932] mit goldenen Kugeln nach goldenen Kegeln geschoben. Das ist ein Rollen und Klingen gewesen, daß bisweilen die Vögel vom Schlummer erwachten und des Waldes Thiere heraus aus dem Dickicht kamen und neugiervoll unter den Büschen hervorlugten; die Menschen aber haben sich nicht herzu gewagt, denn Jeden, der dies hätte versuchen mögen, wandelte ein geheimes Graueu an. Ein kecker Webergeselle faßte sich aber am Ende doch ein Herz, er meinte solch ein goldener Kegel sei mehr werth wie ein hölzerner Webstuhl und wollte sein Glück einmal mit den Geistern versuchen. In einer lauen Sommernacht erstieg er den Lüningsberg, trat in den Wald, kam an den Geisterrasen, sah des Berges kleine weiße Geister, wie sie eifrig Kegel schoben und keinen Kegeljungen dazu brauchten, denn die Kugeln rollten von selbst zurück und die Kegel stellten sich selbst wieder auf. Pfeilschnell und klingend rollten die Kugeln, mit tönendem Hall sanken die Kegel um, und die Thiere lauschten und die Vögel huschten im Gezweig. Hui! flog ein Kegel um, der rollte rasch zu dem Weberburschen hin, der ängstlich und bebend im Gebüsche lag, er hatte ihn in der Hand, er wußte selbst nicht wie, und rannte nun auf und davon. Alsbald wie die Geister den Verlust ihres Kegels erblickten, setzten sie dem Räuber nach, der lief aber schon über die Wiese am Fuße des Berges; dort fließt die Humme und ein Baumstamm liegt über ihr als Brücke von einem Ufer zum andern. Wie nun der Webergeselle den morschen Stamm betritt, merkt er die Geister dicht hinter sich, verfehlt den rechten Tritt und springt in den Bach hinab. Da rufen Stimmen: »Das war Dein Glück! Im Wasser haben wir keine Macht, hätten wir zu Lande Dich erwischt, hätten wir Dir den Hals umgedreht!« Dabei schwebten sie von dannen, der Bursche aber hielt den Kegel fest, kam glücklich heim, baute vom Golde des Kegels ein Haus und freite sein Mädchen und ward glücklich. Noch heute aber zeigt man am Mühlbache das Haus, welches er sich gebaut hat, eine große Linde steht davor, und am Lüningsberge wird auch die Geisterkegelbahn noch gezeigt, aber die Geister kegeln seitdem nicht mehr, da der neunte Kegel ihnen geraubt ward.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 932-933.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Sagenbuch des Preußischen Staats
Sagenbuch des Preußischen Staats: Erster Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Zweiter Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Erster Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Zweiter Band