1155. Spuk unter den fünf Eichen.

[933] (S. Bechstein S. 254. Harrys Th. I. S. 54.)


Nahe bei Aerzen liegt ein Dorf, welches Selxen heißt, und nahe bei diesem standen fünf alte Eichen, von denen freilich heute blos noch drei übrig sind. Man nennt diese aber gleichwohl immer noch die fünf Eichen; hier aber tollt zur Nachtzeit greulicher Spuk umher. Schwarze Riesenhunde mit feurigen Telleraugen und rasselnden Ketten, dreibeinige Hasen, lustiges Galgengesindel vom nahen Todtenberge, schwarze Raben, Fledermäuse so groß wie Nachteulen rennen, kriechen und fliegen durch einander. Man sieht wohl auch nackte Jungfrauen von greulicher Gestalt hier tanzen.

Einstens gingen zwei Burschen von Großenberkel, wo sie gearbeitet hatten, nach Selxen zurück, denen begegnete bei den fünf Eichen ein wunderliches Spukding. Es hatte weder Kopf, noch Arme, noch Füße und hullerte auf sie zu und ließ ein Stöhnen hören. Der eine Bursche wollte beherzt darauf zugehen, der andere aber riß den Kameraden zurück, zu seinem Glück!

Ein alter Chirurg aus Aerzen hatte noch spät einen Kranken besucht und als er an die fünf Eichen kam, da saß ein weißes Kaninchen am Wege,[933] das fing der Chirurg, that es in seinen Scheersack und trug es fort, aber je weiter er ging, desto schwerer ward der Sack, er konnte ihn zuletzt nicht mehr tragen, setzte ihn hin und öffnete ihn. Da stieg ein Ding daraus hervor wie ein Mondkalb, über alle Maßen abscheulich, das fauchte ihn an, und da lief er was er laufen konnte, und ließ den Sack sammt allem Geräth darin im Stiche.

Ein anderes Mal kam ein alter Jude des Weges, auch schon spät am Abend, da saß an den fünf Eichen eine weiße Gans. »Gott!« dachte der Jude, »was soll sitzen hier über Nacht die schöne Gans? Ich will sie doch nehmen mit mir und will sie machen fett!« Die Gans aber wollte sich nicht gleich fangen lassen, sie zischte und schlug heftig mit den Flügeln, der Jude aber wurde ihrer endlich doch Herr und steckte sie in die Kiepe, die er trug. Wie er aber weiter ging, da dachte er: »Gott gerechter, was ist doch die Gans so schwer? Wenn ich sie doch nur erst derheim hätt'.« Aber er brachte die Gans nicht heim, er mußte stehen bleiben, da rief es aus der Kiepe: »Gleich trägst Du mich wieder unter die fünf Eichen, Jud vermaledeiter!« Ach wie zitterte und bebte da das arme alte Jüdchen, es half aber Alles nichts, es mußte gehorchen und die schwere Last wieder zurücktragen, zum Glück wurde sie nun aber wieder mit jedem Schritt leichter, wie sie erst schwerer geworden war. Und wie das Jüdchen dort bei den Eichen war, kroch ein uraltes spindeldürres Weib fast mit einem Todtenschädel und rothen Augen und Haut wie Pergament aus der Kiepe und sagte: »Danke auch schön, daß Du mich getragen hast!« und gab ihm einen Schlag ins Gesicht, daß er um und um taumelte. Jetzt kann man zu Zeiten wieder die weiße Gans unter den Eichen sehen. Der Jude aber kam in jener Nacht todesmatt nach Hause und ist lange Zeit krank geblieben.

Vor vielen, vielen Jahren wurde einmal in Kriegszeiten unter den fünf Eichen unschuldiges Blut vergossen; zwei von ihnen wurden davon bespritzt und bald darauf waren sie welk und dürr. Man nahm sie weg und pflanzte junge Stämme an ihre Stelle, aber auch diese sind bald vertrocknet und so oft man auch frische Bäume pflanzte, immer gingen sie wieder ein. Dies ist noch immer die Wirkung des unschuldig vergossenen Blutes.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 933-934.
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