1195. Der Burggeist auf Scharzfels.

[968] (S. Letzner, Dasselsche Chronik B. VI. C. 1 S. 66. Gottschalck Bd. I. S. 112 etc.)


Noch heute sieht man die Ruinen der alten Harzveste Scharzfels zwischen den beiden Städten Harzfeld und Lauterberg. Im eilften Jahrhundert gehörte diese Burg einem Ritter von Helden, der sich davon auch Ritter von Scharzfels nannte und die Aufsicht über die Bergwerke des Harzes hatte. Die Gemahlin dieses Ritters soll aber eine Verwandte des Markgrafen Egbert des Jüngern und die nachfolgende Begebenheit ein Hauptgrund der Feindschaft dieses letztern mit Kaiser Heinrich IV. gewesen sein.

Kaiser Heinrich IV., der bekanntlich ein sehr wollüstiger Mensch war, hatte die Frau von Helden zu Goslar kennen gelernt und es gelüstete ihm nach dem schönen Weibe, allein er konnte kein Mittel finden zu seinem Zwecke zu gelangen. Er begab sich also einst in das Kloster Pöhlde, das vor dem Rodenberge an der Eder in der Grafschaft Lutterberg gelegen war, und hat daselbst mit einem Mönche, der ein Schwarzkünstler war, einen Anschlag gemacht, wie er sein Vorhaben am Besten zu vollführen im Stande sei. Nachdem ihm dieser seinen Plan vorgelegt, hat der Kaiser den Herrn von Scharzfels zu sich ins Kloster Pöhlde kommen lassen, und als er sich eingestellt, hat er ihm eine weite Reise mit einer Werbung zu thun auferlegt. Der Ritter leistete auch dem Kaiser in aller Unterthänigkeit den auferlegten Dienst und war der Zuversicht, daß ihm solches zu sonderlicher Ehre geschehen müsse. Am andern Tage aber zieht Kaiser Heinrich und mit ihm der Mönch in weltlichen Kleidern auf die Jagd, sie verstecken sich in einem Gehölz, kommen aber ganz ins Geheim vor das Haus Scharzfels und es gelingt ihnen auch mit List hineinzugelangen, der Kaiser wird von dem Mönche bis vor die Kemnate der Schloßherrin gebracht, sie wird vom Kaiser überfallen, genothzüchtigt und ihrer ehelichen Ehre beraubt. Dies geschah im Jahre 1080. Am andern Morgen zog nun der Kaiser, nachdem er seine Wollust gesättigt, wieder seine Straße. Allein der Verräther schlief nicht. Es war nämlich auf Scharzfels eine Art Burggeist, derselbe trieb schon seit langer, langer Zeit sein Wesen in der Küche und im Keller, besonders aber auf dem runden Thurme, der vor dem Schlosse stand. Man war seiner gewohnt, da er Niemanden neckte noch zwickte, man hörte sein Gepolter und Geheul ohne Grausen, da es zu oft kam, und ließ ihn ruhig seinen Unfug treiben. Dieser Burggeist aber erhob nach vollbrachter That ein ungewöhnlich fürchterliches Geheul, tobte entsetzlich ob dieser Schandthat in der ganzen Burg herum und erschütterte sie in ihren Grundvesten. Gefoltert von den heftigsten Gewissensbissen irrte die Gefallene aus einem Winkel in den andern,[968] das Hofgesinde schlug Kreuz auf Kreuz und erwartete mit klappernden Gliedern nichts Gutes. Der Burggeist aber wollte nicht mehr an einem Orte weilen, wo die Tugend und Unschuld vom Reichsoberhaupte selbst mit Füßen getreten war. Unter krachenden Donnerschlägen fuhr er im runden Thurme hinauf, hob die Bedachung desselben ab und stürzte sie in die Tiefe, schwebte über Scharzfels, schrie es laut über die ganze Gegend aus, daß der Pfaffe mehr als der Kaiser an dieser Sünde schuldig sei und verschwand. Seit der Zeit hat kein Dach wieder auf dem Thurme fest sitzen wollen, so oft man es auch zu erneuern suchte, denn der Burggeist kam immer wieder und riß es ab. Der Pfaffe aber ging sein Lebelang verstört umher und kam nie mehr zu einem heitern Gesichte.

Nach mehreren Tagen kam nun aber der betrogene Ehemann von seiner Sendung zurück und fand sein Weib, welches ihn zärtlich liebte und sich die bittersten Vorwürfe über das Geschehene machte, weinend und betrübt. Er fragte nach der Ursache und sie gestand ihm Alles. Voll Wuth und Zorn eilte er nach Goslar um sich an dem Kaiser persönlich zu rächen, Heinrich aber, der den Grund dieses Besuches ahnte, ließ ihn nicht vor, gab aber Befehl ihn aus dem Wege zu räumen. Davon erhielt Helden Nachricht. Er verließ Goslar sogleich und rächte sich nun dadurch, daß er die Bergleute auf dem Harz zum Aufstande reizte und mit ihnen die Gegend verließ, wodurch auch die Bergwerke in gänzlichen Verfall geriethen.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 968-969.
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