1274. Rungholts Untergang.

[1041] (Matz Paisen im Jahrb. f. Schleswig Bd. IV. S. 148 etc. Heimreich a.a.O.I. S. 252.)


Ein reicher Ort in Nordfriesland war der Flecken Rungholt, von dessen Wohlstand sich der gemeine Mann heute noch Wunderdinge berichtet. Man erzählt, daß einst einige muthwillige Gäste bei einem Festschmause allda eine Sau trunken gemacht und zu Bett gelegt haben, dann haben sie den Prediger ersuchen lassen, er möge doch einem Kranken das Abendmahl reichen, und sich dabei verschworen, daß wenn er bei seiner Ankunft ihren Willen nicht thun würde, dann wollten sie ihn in den Graben stoßen. Als nun aber der Prediger das h. Sacrament nicht also mißbrauchen wollte, so haben sie sich untereinander besprochen, man müsse halten, was man geschworen habe. Der Prediger aber, der daraus leichtlich gemerkt, daß sie nichts Gutes mit ihm im Sinne hätten, hat sich stillschweigend davon gemacht. Indem er aber wieder heimgehen wollte, haben zwei böse Buben, so im Kruge saßen, ihn gesehen, und sich untereinander beredet, sie wollten, so er nicht zu ihnen hereinkommen würde, ihm die Haut vollschlagen. Sie sind darauf zu ihm hinausgegangen, haben ihn mit Gewalt ins Haus gezogen und gefragt, wo er gewesen sei. Als er ihnen nun geklagt hat, wie man auf Gott und ihn geschimpft habe, haben sie ihn gefragt, ob er das h. Sacrament bei sich habe, und haben ihn gebeten, er möge ihnen doch dasselbe zeigen. Darauf hat er ihnen die Büchse gegeben, in welcher das h. Sacrament eingeschlossen war, diese haben sie voll Bier gegossen und gotteslästerlich gesprochen, daß, so Gott darin sei, so müsse er auch mit ihnen trinken, und wie der Prediger endlich auf sein freundliches Bitten die Büchse wieder bekommen hat, ist er damit zur Kirche gegangen und hat Gott angerufen, er möge diese gottlosen Leute strafen. Darauf ist er in der folgenden Nacht gewarnt worden, daß er aus dem Lande, so Gott verderben wollte, gehen solle, er sei auch aufgestanden und davon gegangen, dann aber habe sich alsbald ein ungestümer Wind und hohes Wasser erhoben, dadurch das ganze Land Rungholt (oder nach Andern, sieben Kirchspiele, worunter Rungholt das vornehmste gewesen) untergegangen sei, und Niemand davongekommen, als obgemeldeter Prediger und zwei (nach Andern, seine Magd und drei) Jungfrauen, so den Abend zuvor von Rungholt aus auf Bopschlut zur Kirmeß gegangen, von welchen Backe Boisens Geschlecht zu Bopschlut entsprossen sein soll, dessen Nachkommen zum Theil noch jetzt im Lande vorhanden sind.

Man glaubt nun aber in der ganzen Umgegend, Rungholt werde noch einmal wieder aufstehen und noch vor dem jüngsten Tage zu seiner frühern Herrlichkeit kommen. Man erzählt sogar, daß diese Stadt mit allen Häusern ganz in der Erde stehe, und deren Thurm und Mühlen (wie man auch vom Kirchspiel Alver oder Kalfer an der Süderog und andern untergesunkenen Oertern und Städten berichtet) sich oftmals bei hellem Wetter hervorthun und klar sehen lassen, auch von den Vorüberfahrenden der Glockenklang und dergleichen mehr noch jetzund deutlich gehört werde.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 1041.
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