1314. Rabenkirchen.

[1061] (Nach Smidt a.a.O. S. 210 etc.)


Ein reicher Brauherr zu Kappeln hatte eine sehr schöne Tochter, in welche sich ein armer Zimmergesell verliebte und auch ihre Liebe gewann. Natürlich war nicht daran zu denken, daß der Alte seine Einwilligung gab, allein sein Beichtvater nahm sich der jungen Leute an und wußte jenen so weit zu bringen, daß er versprach, dem jungen Manne seine Tochter geben zu wollen, dafern er im Stande sei, selbst es bis zum Baumeister zu bringen und ihm den Riß einer Kirche zu verfertigen und darnach den Bau derselben zu vollführen. Darauf ging der Jüngling ein und zog fort nach Italien, um hier die edle Wissenschaft der Architektur zu studiren. Schon waren fünf Jahre ins Land gegangen und Niemand hatte wieder etwas von ihm gehört, der Braumeister drang in seine Tochter, sich einen andern Gatten zu wählen, da ihr Bräutigam entweder gestorben oder verdorben sei. Da auf einmal kehrte er zurück und bewies durch die besten Zeugnisse, daß er mit großem Erfolge die Baukunst studirt hatte. Es bot sich auch gleich eine Gelegenheit dar. Die Kirche des Klosters war zu klein geworden für die Andächtigen, die Gemeinde brachte die nöthigen Mittel auf um eine neue zu erbauen und da der von dem zurückgekehrten Baumeister mitgebrachte, den Gemeindevorstehern vorgelegte Plan denselben ausnehmend gefiel, so beauftragten sie den jungen Mann mit der Ausführung. Nur eins fehlte noch, der Bauplatz, da man sich aber über diesen nicht entscheiden konnte, so flehte der Abt des Klosters zu Gott, er möge ihnen ein Zeichen geben, an welcher Stelle ihm die Erbauung der Kirche am wohlgefälligsten sei. Als nun der Mönch und der Baumeister sich anschickten, das Kloster zu verlassen, da schossen vom Dache zwei Raben herab, umkreisten die beiden Männer mit lautem Geschrei, als wollten sie zu erkennen geben, daß Beide ihnen folgen sollten, als dies aber geschah, flogen sie langsam, vor ihnen her. Als sie eine Strecke weit geflogen waren, setzten sie sich auf einen Platz nieder, der höher war, als die Gegend umher, dort saßen sie ganz still und rührten sich nicht eher, als bis der Mönch gesagt hatte: »Allhier wird sich das Kirchlein gut ausnehmen, hier wollen wir bauen, denn die zwei Raben sind doch offenbar Abgesandte Gottes.« Damit bewegten sie die Flügel und flogen laut schreiend nach dem nahen Walde.

Als der erste Spatenstich geschah, waren die beiden Raben wieder gegenwärtig; ebenso beim Legen des Grundsteins, beim Richten des Daches, und als der Knopf auf den Thurm gebracht wurde. Stets kamen sie raschen Fluges heran, umkreisten den Bau von allen Seiten, als wollten sie ihn genau betrachten und flogen dann wieder nach dem Walde zurück. Nachdem aber der erste Gottesdienst in der neuen Kirche gehalten worden war, gab der Mönch die jungen Brautleute vor dem Altar zusammen, und als das Paar die Kirche verließ, da kamen die Raben daher, setzten sich auf die Kirche nieder und blieben hier sitzen ohne sich zu regen. Am andern Tage saßen sie genau auf derselben Stelle, allein sie waren in Stein verwandelt. Und so sitzen sie noch da. Darum heißt die Kirche und deren Gemeinde »Rabenkirchen«.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 1061-1062.
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