9.

[20] »Wie eine Rose aussieht, wüßt ich gerne!

Wohl wußt' ich's einst, doch hab' ich's traun, vergessen,

Denn zwischen mir und jenes Frühlings Ferne

Dehnt längst der Knechtschaft Nacht sich unermessen!


Ich sah die Rose einst in einem Garten,

Durch den die Spiele meiner Kindheit flogen;

Ich sah sie einst auf flatternden Standarten

Der Heere, die zum blut'gen Kampfe zogen.


Ich sah sie einst im Dom vor'm Brautaltare

An einer Jungfrau Herz sich zärtlich schmiegen;

Ich sah sie einst in meines Vaters Haare,

Als Tod ihn auf den Schragen streckte, liegen.


Ich sah, wie an der Brust der Mörder einer

Sie mit zur Richtstatt führt' im Sünderwagen;

O daß ich säß' im Karren anstatt seiner,

Daß ich die Rose könnt' am Herzen tragen!«


Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke,Band 1–4, Band 3, Berlin 1907, S. 20-21.
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Schutt
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