Siebenter Auftritt


[198] Madeleine. La Roquette.


MADELEINE beiseite. Da ist ja schon wieder der Tartüffe! Der alte Freund des Herrn Chapelle ist wahrhaftig in die Rolle ganz vernarrt.

LA ROQUETTE murmelt. Wenn ich Molière dem König plötzlich irgendwie verhaßt machen könnte![198]

MADELEINE beiseite. Er spielt die sechste Szene aus dem dritten Akt! Er gesteht seine Sünden ein und will seinen Freund Orgon durch Demut rühren.

LA ROQUETTE wie vorhin. Satan, hilf!

MADELEINE. Bravo, Herr Tartüffe! Vortrefflich – Tartüffe flucht auch, wenn die Leute glauben, er betet.

LA ROQUETTE. Was ist! Ich bete wirklich!

MADELEINE. Haha, gerade so hat Molière dies scheinbare Gebet auch auf der Probe markiert.

LA ROQUETTE. Wer sind Sie? Stören Sie mich nicht in meiner Andacht!

MADELEINE. Nächst Molière sind Sie der vortrefflichste Schauspieler in ganz Paris, und ich begreife ganz die Freundschaft des Herrn Chapelle – Beiseite. Aber was tu' ich! Ich verrate mich ja – Er scheint mich nicht zu erkennen –

LA ROQUETTE. Sieh – sieh! Das ist ja – so wahr ich lebe – Madeleine – Béjart –

MADELEINE. St! Den Finger auf den Mund! Schweigen Sie!

LA ROQUETTE. Wie kommen Sie in diese Kleider und hierher, allerliebstes Kind?

MADELEINE. In Sachen unseres gemeinschaftlichen Freundes Molière, mit dessen Schöpfungen Sie so vertraut sind. Wissen Sie denn, daß die Aufführung des Tartüffe verboten ist?

LA ROQUETTE. O trösten Sie mich – Sich verbessernd. trösten Sie sich, Se. Majestät haben soeben das genannte Lustspiel wieder freigegeben –

MADELEINE. Freigegeben? Es war Ihre Stimme, die soeben –

LA ROQUETTE. Das Verbot aufhob! Sie können nunmehro alle Herzen von Paris erobern, Sie kleiner – Teufel! Wie kommst du – in – diese Kleidung?

MADELEINE. Nun könnt' ich Sie küssen, umarmen – ich sehe nicht mehr, daß Sie so grundhäßlich sind – Tartüffe wird gegeben – weil Sie dafür sprachen? Um Ihretwillen?

LA ROQUETTE. Meinet –? Ja! Ich – ich bat darum! Aber wie kommst du kleiner Narr in diese Kleidung?

MADELEINE. Diese Kleidung? ... Nun, da Sie Molières wahrer Freund sind, der begeisterte Vertraute seiner neuesten Schöpfungen und so außerordentlich die Kunst lieben, so hören Sie! Mädchen, sagte Armande zu mir, auf der Bühne will sich dir durch das Verbot des Tartüffe noch kein Wirkungskreis eröffnen, da, nimm die Kleider eines königlichen Pagen! –[199] Aber – was tu' ich – Paragraph sieben der Theatergesetze verbietet, Kulissengeheimnisse auszuplaudern!

LA ROQUETTE. Sie schrieb – an Se. Majestät – nicht wahr – an Se. Majestät – der Armanden beschützt – der sie mit liebenden Armen beschützt – etwa so wie ich dich hier umfange – kleiner Goldfasan!

MADELEINE. Behüte, wo denken Sie hin? – Das würde sich Herr Molière sehr verbitten.

LA ROQUETTE. Molière? Protegiert dich Molière?

MADELEINE. Das würde sich Fräulein Armande verbitten.

LA ROQUETTE. Armande – Molière – sind also ein Paar? Und doch gibt es einen vertrauten Briefwechsel – hierher in die Tuilerien –?

MADELEINE. St! Ich habe keine Zeit zu verlieren – mein Pflegevater Matthieu hat die Absicht, alle Gewürzkrämer von Paris zu einem feierlichen Zuge zu versammeln und Se. Majestät um die Rücknahme des Verbots zu bitten! Nun soll er kommen und dem König ein Lebehoch bringen. Molières und Armandens Freude muß ich sehen, und von Ihnen will ich erzählen, daß Sie den Tartüffe gerettet haben! Wenn Molière ihn einmal fünfundzwanzigmal gespielt hat, werd' ich sagen, ich kenne einen Künstler aus der alten Schule, der Molièren ablöst und die Partie übernimmt, wie sie geschrieben ist, einen Mann, der sich glücklich schätzt, sich als Tartüffe nicht bloß von den vier Wänden, sondern von der ganzen Welt bewundern zu lassen.


Schnell ab.


LA ROQUETTE allein. Die Ideen dieser Gans sind so naiv, daß man ihre Dummheit beinahe für die boshafteste Satire halten möchte! Und Matthieu ihr Pflegevater? Dieser soll sogar das Volk aufwiegeln –? Es ist ein Komplott, das sich wider mich verschworen hat! Gibt es denn keine Bastille mehr?


Quelle:
Gutzkows Werke. Auswahl in zwölf Teilen. Band 2, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart [1912], S. 198-200.
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