Vierter Auftritt


[222] La Roquette tritt vorsichtig herein. Später die Vorigen.


LA ROQUETTE. So ist es denn beschlossen, und ohne Wunder geht dieser Abend nicht mehr zurück. Ganz Paris ist in Bewegung. Alles will die Frommen auf der Bühne sehen. Die Stichwörter der Satire sind notiert; bei gewissen Stellen, die mit Händen zu greifen sind, wird ein unermeßlicher Jubel ausbrechen – Meine Freunde haben nach Rom geschrieben – Das Interdikt gegen alles, was auf diese Ausartungen der Komödie geht, kann nicht ausbleiben. Aber für den heutigen Abend kommt alles zu spät –! Um einen Betrug das, den man sich mit dem König erlauben will! Gewiß, schon hätt' ich ihm die Intrige verraten, wenn ich sie nicht an einem für meinen Ruf zu gefährlichen Ort entdeckt hätte – er muß hier vorüber – wenn ich es jetzt noch wagte –! Es zog mich unwiderstehlich hierher – hier, dacht' ich, wäre der einzig sichere Ort im Hause – denn das große Gefolge des Königs ist in der Mittelloge –


Die Vorigen treten hinter dem Vorhang heraus.


ALLE. Ah, Molière!

LIONNE. Lassen Sie sich noch Zeit?

DELARIVE. Der Anblick eines so überfüllten Hauses hat etwas Bezauberndes, Molière.

DUBOIS. Eine so erwartungsvolle Menge, Molière –

LEFÊVRE. Sie scheinen so betroffen zu sein, daß Madeleine Béjart eigentlich Madeleine Duplessis ist –

LA ROQUETTE beiseite. Gott im Himmel! Sie halten mich schon für Molière!

CHAPELLE. Freilich, Herr Molière, Sie haben sich Ihren Stoff nicht erfunden. Ich höre, es war eine wahre Geschichte, die Sie uns in Ihrem Tartüffe zum besten geben.[222]

LA ROQUETTE. Für wen halten Sie mich?

DELARIVE. Für den größten Dichter, den Frankreich in der Komödie besitzt, für den treffendsten Sittenmaler Ihrer Zeit, für ein Muster spätester Jahrhunderte, falls Herr Chapelle nichts dagegen hat –

CHAPELLE. Molière, wenn Sie die Akademiker schonten –

LIONNE. Wenn Sie die Polizei schonten –

DUBOIS. Wenn Sie die Ärzte schonten –

LEFÊVRE. Wenn Sie die Notare schonten –

LA ROQUETTE. Meine Herren, ich bin der Präsident La Roquette –

LIONNE. In der Tat! Von einer täuschenden Ähnlichkeit –

DELARIVE. Ganz auch der Ton! Unübertrefflich kopiert!

DUBOIS. Sie werden mit einem Sturm von Beifall empfangen werden!

LEFÊVRE. Sehen Sie nur! Die Angst, die Verlegenheit des Bösewichts – wie treffend stehen sie auf den Zügen seines Antlitzes gemalt! Molière, man glaubt, Sie stünden bei der kleinen Bäuerin und sprächen von der Baumwollenindustrie von Limoges –

LA ROQUETTE. Wollen Sie mich toll machen?

DUBOIS. Dieser Ausbruch der Wut wird Ihnen ausgezeichnet stehen, wenn Ihre Schandtaten, die Sie im Hause des armen Duplessis begingen, an den Tag kommen, wenn der Geist der betrogenen Adele, die Stimmen der hilflosen Kinder, die durch Sie gezwungen wurden, auf der Bühne sich Unterhalt zu suchen –


Die Ouvertüre beginnt hinter der Szene.


DELARIVE. Die Ouvertüre beginnt –

ALLE beiseite. Der König!


Quelle:
Gutzkows Werke. Auswahl in zwölf Teilen. Band 2, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart [1912], S. 222-223.
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