Zweiter Auftritt.


[22] Judith. Manasse.


JUDITH.

Willkommen, Vater! Welche lange Zeit

Habt Ihr uns wieder hier allein gelassen,

Bis Ihr den Börsenstaub von Amsterdam

In Eurem Garten aus den Kleidern schüttelt!

MANASSE.

Von Sorgen seh' ich mich auch hier begrüßt.

JUDITH.

Hab' ich nicht alles festlich hergerichtet,

Wie Ihr's am Wochenende liebt? Sind Gäste,

Wie Ihr gewohnt, zu Tische nicht beschieden?

MANASSE.

Wie konntest du Acosta heute laden?

JUDITH.

Er war nicht hier seit vollen sieben Tagen!

MANASSE.

Schrieb ich dir nicht, daß ihn der Bann bedroht?

JUDITH.

Und gerade deshalb rief ich ihn zu uns.

MANASSE.

Den alles flieht?

JUDITH.

Den eben sucht' ich auf.

MANASSE.

Er wird nicht kommen, denk' ich, weil er fühlt,

Daß unsre Ladung feinen Takt beweist,

Doch feineren, der Ladung nicht zu folgen.

JUDITH.

Seit wann ist Vanderstraten denn so fromm?

Der Freund van Dycks, des Rubens nur so gläubig?


Auf die Statuen zeigend.


Elias und die sämtlichen Propheten

Zertrümmern dir die Götterbilder hier,

Die das Gesetz verwirft. Ich kann nicht glauben,

Daß statt des Marmors, statt der toten Bilder

Ihr nicht den Mut habt, Menschen zu beschützen.

MANASSE.

Für einen Mann von freier Denkungsart

Bin ich bekannt, und stolz bin ich darauf,

Daß man Manasse Vanderstraten nicht

Im Bußhemd am Versöhnungstage sieht.

Ich will nicht heucheln, längst gehör' ich, weiß man,

Dem allgemeinen Glauben jener Freien,

Die sich von Moses, Christus, Sokrates

Das Beßre von dem Guten ausgesucht –;

Doch anders ist es, wo man kämpft und streitet,

Nur Staub aufwühlt um altes Vorurteil,

Das an der Masse ewig haften bleibt –[22]

Da tret' ich zu dem Glauben, der besteht,

Und kann mich nicht von äußern Pflichten trennen.

JUDITH.

Die Künstler werden aufgesucht, an Denkern

Huscht man mit feigem Mut vorüber!

MANASSE.

Judith,

Auch mußt' ich hören, daß man dir die Achtung,

Die uns Acosta widmete, verdächtigt.

Nur zwei Begriffe kenn' ich, die mir teuer.

Der eine, lächle nur, das ist – ich sag' es,

Mein Glück daheim im eigenen Besitz,

Das stille Walten friedlichen Behagens –

Im andern bin ich untertan der Stimme,

Die man die allgemeine nennt, ich prüfe

Nicht ihren Wert: sie ist – und ich gehorche.

JUDITH.

So wandeln Kunst und Wahrheit nicht zusammen?

MANASSE.

Des Lebens und der Sitte Forderung

Ist streng, und ungern lass' ich mich belehren,

Wie Silva gestern mir getan. Jochai

Bist du nach unsers Volkes Weise früh verlobt –

Es ziemt sich, daß im Kreise der Verwandten

Dich jedes Aug' an seiner Seit' erblickt.

JUDITH.

Und dieses Schauspiel –

MANASSE.

Heute muß es sein.

JUDITH.

Wie, Vater –?

MANASSE.

Wohl! Ich weiß, daß dir Jochai

Nicht wie der Bräutigam im Hohenlied

Erscheint; doch – wieder meine sichern Lebensregeln! –

Wie zwei Verlobte, wie ein liebend Paar

Ziemt sich, daß euch die Welt verbunden sieht;

Das andre macht mit eurem Herzen ab.

JUDITH.

Und diese Rechnung schließt sich leicht, denkt Ihr –

Wie wenn Ihr Euer Soll und Haben prüft?

MANASSE.

Genug! Vom Mahle bleibt Acosta fern.

Ich sage das im strengsten Ton zu dir!

Schütz' mich vor Leidenschaft! Du weißt, ich sehe,

Was allzu ernst, nicht gern auf meinem Wege.


Er besteigt die Estrade.


Quelle:
Gutzkows Werke. Auswahl in zwölf Teilen. Band 3, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart [1912], S. 22-23.
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Uriel Acosta
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