Siebenter Auftritt.


[29] Rabbi Santos, begleitet von vier Rabbinen, die langsam und feierlich kleine gewundene Widderhörner an den Mund setzen und einen tiefen und lang ausgehaltenen Ton blasen. Sie treten oben auf und verweilen auf der Estrade. Die Vorigen. Später Jochai und Silva.


MANASSE nachdem die Rabbinen jenen einen feierlichen Ton geblasen.

Das Zeichen der Verfluchung! Und das hier

In meinem stillen Frieden –

SANTOS von oben mit feierlicher Stimme.

Widderhörner

Begrüßen euch! Gedenket Abrahams,

Der seinen Sohn dem Herrn wollt' opfern!

Da sprach der Herr, Herr Zebaoth: Geh hin

Und opfre für den Sohn das Tier, den Widder,

Der neben dir in dem Gezweig der Büsche

Mit seinem Horne sich verfangen hat.

Und Abraham zerschnitt des Sohnes Bande

Und opferte das Tier für den Gerechten.

Wer sich auf Adonai hier bekennt,

Der trete seitwärts! Gott verschmäht das Opfer

Der Söhne Abrahams – Acosta, du!

Du sei allein –!


Alle gehen von Uriel auf die andere Seite. Judith zaudert.


SANTOS.

Und Vanderstratens Tochter?

Bekennst du dich nicht auch auf Adonai?


Judith geht langsam und zögernd zu den übrigen. Jochai und de Silva treten auf.


URIEL für sich.

Auch sie! – O der Magnet des Wahns zieht mächtig!


Zu Santos.


Glaubst du dort auf dem Sinai zu stehen?

Hat Moses dich zu seinem Mund erwählt?

Wer hat dir über mich Gewalt gegeben?

SANTOS.

Wenn du ein Jude bist, so weißt du's – Gott![29]

JOCHAI dazwischentretend.

Ihr Herren, was geschieht hier? Wie, de Santos,

Wollt Unglück Ihr auf unsre Häupter laden?

Wir haben wohl in Amsterdam die Macht,

Im Schoße der Gemeinde Recht zu sprechen

Nach unsern heil'gen Bräuchen und Gesetzen –

Doch über Juden nur – Acosta ist

Ein Christ.

ALLE.

Ein Christ?

JUDITH.

O Gott!

JOCHAI.

Ihr wollt ihm fluchen?

An einem Christen habt Ihr keinen Teil!

JUDITH beiseite.

Was ihn errettet, ist für mich der Tod.

SANTOS.

Wenn Uriel Acosta Christ – verstummt

Mein Mund.


Legt segnend die Hand auf die übrigen.


Gott segne Abrahams Geschlecht!

URIEL.

Wer redet da? Wer sagt –

JOCHAI.

Dein Vater hat

Mit seinem ganzen Haus in Portugal

Den Glauben seiner Väter abgeschworen.

Noch seid durch keinen öffentlichen Akt

Ihr wieder heimgekehrt zu Jakobs Stämmen;

Ihr seid ein Christ! Viel Ehre muß uns dünken,

Daß Ihr bei Euern Knechten hier verweilt.

MANASSE.

Gehn wir zu unserm Fest! Der Christ Acosta

Verzeiht, daß wir dabei in Speis' und Trank

Den Sitten unsers Volks uns fügen müssen.

URIEL außer sich.

Ich wäre Christ? Soll mir ein frecher Spott

Die Hintertür des falschen Mitleids öffnen?

Als Kind schon im Gesetze lesen lernend,

Ward plötzlich ich getauft. Kein lichtumfloßner

Geweihter Priester hatte uns bekehrt,

Den Vater, Mutter, Schwester und die Brüder –

Nicht mit Legenden wurden wir gewonnen –

Auch nicht mit Gold – Gevatter stand bei uns

Der Henkersknecht der Inquisition.

Am Scheiterhaufen gingen wir vorüber

In eine Christenschule sieben Jahre –

Mit bangem Herzen! – Wenn die Furcht der Quell

Des Glaubens ist, so war'n wir fromme Christen!

Doch wunderbar die Milde der Gewöhnung!

Am Hochaltar, im Meßgewande bald

Das goldne Rauchfaß tragend, bald im Chor[30]

Die Responsorien dem Priester singend

Und christlich Wissen in der Schule lernend,

Fühl' ich mich glücklich, damals mehr als Talmud

In meine Seele eingeprägt zu haben.

Was ich geworden, ward ich nur als Christ.

Im frischen Strom der Bildung durft' ich baden,

Ein Mensch, ein freier, in dem Ganzen weben,

Die Luft war mein, der warme Strahl der Sonne,

Am Grün des Waldes labt' ich frei den Blick –

Was alle liebten, durft' ich wieder lieben,

Was alle fürchteten, war meine Furcht,

Und jeden Pulsschlag einer großen Tat,

Ein jedes Atmen der Geschichte fühlt' ich

Wie alle Menschen in mir selber wieder.

Ein Portugiese war ich, hatte Heimat,

Ein Recht des Daseins, hatt' ein Vaterland! – –

Da folgten wir des Vaters andern Brüdern,

Die hierher zogen in die Niederlande.

Erst jetzt erschienen sie sich wieder frei.

Ein jeder eilte sich, den Tropfen Taufe

Aus seinem Blut, wie unrein, wegzuwerfen,

Und was der Vater tat, das galt vom Sohn –

Von meiner Mutter – alle sind sie wieder Juden.

Ob auch von mir, der ich ein Jüngling schon

Nach Amsterdam gekommen, ob auch ich

Den milden Gabriel, wie ich getauft,

Mir in den finstern Uriel wandeln will –

Das steht mir frei und – offen sag' ich euch,

Ins Allgemeine möcht' ich gerne tauchen

Und mit dem großen Strom des Lebens gehn!

Daß ich's nicht tue – fragt mich nicht, warum?

Was ist's, das Joseph in Ägyptenland,

Als er die Brüder sah, die ihn verkauften,

Doch Freudentränen weinen ließ? Was ist's,

Das uns bei allem Abscheu vor dem Wust,

Der uns als Sitte folgte aus dem Osten,

Doch bindet, gleich als wenn wir Brüder wären,

Die wir weit seltner, als wir scheinen, sind?

Die Ehre ist der Kitt des morschen Bundes,

Die Ehre nur ist's, die mich euch verpflichtet!

Wenn ihr so leidlich wohl in Amsterdam

Als Menschen angesehen seid, bleibt ihr doch

Ein schüchtern Wild aus einem fernen Walde,[31]

Das zitternd stutzt vor jedem Christengruß.

Ein Argwohn nur – ihr müßt von dannen ziehn!

Des Ahasverus Söhne müßt ihr wandern

Und wandern, wandern, wandern ruhelos –

Und weil ich nicht im Schatten ruhen will,

Als Christ mich in dem Grün behaglich streckend,

Indessen ihr im Staub der Straße zieht –

So will ich leiden mit den Leidenden –

Ihr dürft mir fluchen! Denn ich bin ein Jude!

SANTOS.

Seid Ihr nur Jude, um uns zu verhöhnen,

So wär' Euch besser, Ihr bliebt Gabriel!

Die Schrift, von dir geschrieben, ist den Flammen,

Bei uns bist du dem Bannfluch heimgefallen.

Gebet aus deinem Munde fährt ins Leere!

Der Atem, den du atmest, ist die Pest.

Gift ist der Blick aus deinem Auge, Lähmung

Macht Kinderspott aus deines Leibes Gliedern.

Das ist der Fluch, der über dich verhängt!

An jeder Türe, wo du wandernd pochst,

Da öffne dir ein Feind! Wenn du erkrankst,

Sei Gift in jedem Glas, das man dir reicht,

Und naht sich dir der Todesengel einst,

So stirb am Weg, das Haupt gen West gerichtet!

ALLE mit gesenktem Haupte.

Wehe!

URIEL für sich.

Mich schaudert! Nicht für mich, nein, für den Wahn,

Der so sich täuscht, dem Himmel zu gefallen.

SANTOS.

Ein Blinder sollst du an den Häusern tasten!

Und Fluch der Hand, die einen Stab dir reicht!

Fällst du, dann öffne sich der Erde Schlund,

Verschlingend dich, wie Datan und Abiron –

ALLE mit gesenktem Haupte.

Wehe!

SANTOS.

Die Kirche stößt dich aus, verflucht durch mich

Den Leib, der dich geboren –

URIEL.

Mutter!

SANTOS.

Fluch dem Freund,

Der dir im Elend je die Treue hält –

Fluch allem, was sich dir verwandt noch fühlt –

Was sich dir naht, was du berührst, ist tot!

Verschmachten wirst du in dem Durst nach Liebe,

Nie gibt sich dir ein liebend Herz des Weibes –

JUDITH tritt mutvoll hervor.

Das lügst du, Rabbi!

MANASSE.

Wie? Verwegene?[32]

SILVA.

Führt sie hinweg, Jochai!

JOCHAI.

Die Verrät'rin!

JUDITH.

Verraten will ich mich und euch! Verrat

An euch ist Himmelstreue! Zittert ihr,

Daß Fluch aus solchem Munde Segen bringt?

Verdammt die Götter, die wir beide glauben!

Es sind die wahren, ihnen lernet beten!

Er wird geliebt! Glaubt besseren Propheten!


Sie stürzt an Uriels Brust.


SANTOS.

Die Kirche sieht statt eines Opfers zwei –

An diesem Ort kann kein Gerechter weilen.


Entfernt sich mit seinen Begleitern, indem er die Terrasse heruntersteigt und zur Seite abgeht. Alle folgen in Bestürzung. Währenddessen


JOCHAI zu Manasse und Judith.

Die Himmelsfrage ist mir wenig wert –

Ich sehe nur, was menschlich, den Verrat!

Und dennoch glaub' auch ich den alten Göttern,

Sie lehren uns das Süßeste: die Rache!


Er geht mit dem übrigen Teile der Gäste. Alle sind abgegangen bis auf Manasse, Uriel und Judith.


MANASSE.

Wie sich aus diesem Traum erwachen läßt,

Wie diese Tat dem Leben einzufugen,

Das weiß ich nicht und stell' es dem anheim,

Der mir die Erde zu regieren scheint,

Dem schadenfrohen Zufall! O, mein Kind,

Jetzt in das Hergebrachte einzulenken –

Das ist nicht leicht! Acosta, bleibt einstweilen

Mit Euerm Fluch auf dieser meiner Villa –

Die Musen hier, die werden Euch nicht fliehn –

Ich aber muß zurück nach Amsterdam –

Du wirst mir folgen, – Judith – in die Sitte!

Was dann zu tun, das sei mit Schmerz erwogen!


Er geht.


JUDITH.

So bist du mein, erobert durch die Wahrheit!

Und daß ich frei die Zeichen meiner Liebe

Darf ferner tragen vor der Welt, so eil' ich,

Das Herz des Vaters günstig umzustimmen.

Hab' ich dem Gott gehorcht, den du mich lehrtest?

Dem Gott, der aus des Herzens Flammen spricht?

O laß uns hoffen! Folge mir, mein Freund!

Wer mutig will, der hat die Welt gewonnen.


Folgt dem Vater mit Uriel.

Der Vorhang fällt.


Quelle:
Gutzkows Werke. Auswahl in zwölf Teilen. Band 3, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart [1912], S. 29-33.
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Uriel Acosta
Uriel Acosta: Trauerspiel in Funf Aufzugen (German Edition)

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