Siebenter Auftritt.


[45] Judith. Die Vorigen.


JUDITH.

Ihr habt nach mir verlangt, ihr werten Herren?

Und jene greise, würd'ge blinde Frau? –


Steht eine Weile sinnend.


Acosta – das ist? – Unsre Mutter!


Küßt ihr die Hände.


ESTHER.

Nein!

Laß mich dir selbst die Stirne küssen, Engel!

JUDITH.

Längst hätt' ich Euern Segen schon erfleht,

Aus Euerm Angesichte mir das Bild

Des besten Sohnes ausgefunden –

ESTHER.

Recht!

O lob' ihn mir – ich liebe dich dafür!

JUDITH.

Noch werden all ihn einst bewundern, Mutter!

Bis dahin hat er uns.

ESTHER.

O klingt das süß!

Ein Schimmer nur von dir ins dunkle Auge!

Und nun, wenn mich der Tod ereilen wird,

Darf ich ihn nicht einmal an dich vererben!

JUDITH.

Nicht an sein Weib?

ESTHER.

Sein Weib? Wirst du sein Weib?

Betrübe deine Eltern nicht, mein Kind!

Flieh nicht mit ihm! Dein Vater hat nur dich!

Nur eine einz'ge Tochter hat Manasse.

JUDITH.

Versteh' ich? Uriel? Du wolltest – nicht –?


Sie blickt ihn lange mit zitternder Verzweiflung an.


Verzeihe, Himmel!

Daß ich geglaubt, es würde diese Erde

Für soviel Liebe schon beglücken können!


Sie sinkt zu den Füßen Esthers nieder.
[45]

URIEL kämpft mit sich. Er blickt die Gruppe der Mutter, der Geliebten, seiner Brüder, die trauernd hinter dem Sessel der Mutter stehen, mit Rührung an. Für sich.

O sprachst du wahr, de Silva! Ja es wurzelt

In unserm Volk tief die Familie!


Wild auffahrend.


Was schweigt ihr? Redet! Foltert mich nicht so!

JUDITH.

Mutter, wir werden nicht geliebt!

URIEL.

Ein Pfeil steckt mir

Im Herzen – schreien möcht' ich wie ein Tier –

O seht mich nicht so bittend an! Die Tränen,

Die ihr vergießt in euerm herbsten Leid,

Sind Freude gegen meine – trocknen Augen.

Ihr schweigt? Ihr blickt mich seufzend an? Erwartet

Von mir die eine Tat, die schmerzlichste?

Dem Herzen soll ich opfern meinen Geist,

Der Liebe meine heil'ge Überzeugung?

Du Stolz, was bäumst du dich so wild empor?

Ha, borstig Ungetüm! fletsch' nicht die Zähne,

Sei Wurm! Mensch, Tier, duck' unter – unter – unter!

Gebt Rettung vor dem stummen Blick der Liebe!


Geht rückwärtsschreitend.


Wer schützt mich vor den stummen Augen? Schließt

Die Augen! Blinde Mutter, schließ die Augen –


Er reißt sich mit gewaltigem Entschlusse los.


Die Augen –! Ich tu's – ich tu's – ich tu's –


Rückwärts schwankt er an die Tür nach außen. Die Seinigen mächtig erregt.


JUDITH.

Er geht um seine Mutter.

ESTHER.

Nein! Er geht

Um dich!

JOEL.

O segne Gott den Augenblick!

Er widerruft –

ESTHER.

O, laß mich! Laß mich, Kind –

Ich muß ihn küssen – Uriel, mein Sohn!

Laß mich zu ihm! Wo bist du – Uriel –?

Wer hat den Mut, sich seinen Feind zu nennen?

Wer rühmt sich edlern Sinnes? Kommt! O kommt!

Wir wollen rufen auf der lauten Gasse:

Das ist ein Sohn, der feine Mutter liebt!


Folgt Uriel rasch. Joel und Ruben führen sie.


JUDITH allein am Fenster.

Er ist im Hof – im Mantel kaum verhüllt,

Mit bloßem Haupte stürmt er wild dahin –

Er stutzt – o Gott – er wendet seinen Fuß –

Er zögert – diese Straße dort – links oder – rechts?[46]

Er geht – er geht den Weg zur Synagoge!


Sie entfernt, sich vom Fenster.


So plötzlich das? Und doch vielleicht – um mich?

So plötzlich und vielleicht zu rasch – O Himmel,

Wenn er's bereute! – Faßt es mich nicht bleiern?

Ist denn das Weib des Mannes ew'ger Fluch,

Seit Anbeginn der Welt ihn schon verkleinernd?

Sein Blick war matt wie eines Sterbenden –

Kalt seine Hand, die Knie zitterten –


Stürzt ans Fenster und ruft hinaus.


Laß ab! Laß ab, Acosta – tu es nicht! – – Zu spät!

Verhängnis, strafe gnädig unsre Schuld!


Sie sinkt in einen Sessel.

Der Vorhang fällt.


Quelle:
Gutzkows Werke. Auswahl in zwölf Teilen. Band 3, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart [1912], S. 45-47.
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Uriel Acosta
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