Vierundzwanzigstes Kapitel.

Papier und Schlüssel.

[36] Der Baron war eine kleine Weile neben seinem Fauteuil stehen geblieben, nun aber wandte er sich geschickt gegen die Kaminecke, wobei er zur Präsidentin gewendet sagte: »Ich weiß wahrhaftig nicht, gnädige Frau, wie es kommt, aber wenn ich einmal in Ihrem Hause bin, so wird es mir schwer, dasselbe zu verlassen; es ist hier Alles so zuthunlich, so heimlich, – gewiß, ich darf nur[36] selten kommen, denn sonst müßte ich befürchten, Ihnen überlästig zu werden.«

Bei diesen Worten hatte er sich mit dem Rücken gegen das Kamin gestellt; vor ihm saß Auguste, zu deren Füßen der kleine Papierknäuel lag. Er hätte ihn mit der Spitze seines Stocks erreichen können.

In diesem Augenblicke trat ein Bedienter ein und meldete eine Frau von B., welche der Präsidentin aufzuwarten wünsche.

»Ah! jetzt muß doch geschieden sein,« sagte seufzend Herr von Brand und schlug die Augen nieder, um sie gleich darauf mit einem unaussprechlichen Ausdruck zu Auguste zu erheben. – Er mußte jenes Papier mit sich fortnehmen, mochte es kosten was es wolle, ja er war schon im Begriff, als letztes Mittel sich ohne Weiteres darnach zu bücken und es aufzuheben, als Auguste bei einer kleinen Wendung des Fauteuils ihren zierlichen Fuß darauf setzte.

Die Präsidentin war rasch aufgestanden, um den neuen Besuch zu empfangen, und sagte zu ihrem Gaste: »Bleiben Sie ja, Baron, bleiben Sie ohne Umstände, ich kann die Damen im Nebenzimmer empfangen, wenn du es nicht vielleicht vorziehst, Auguste, unserem Freunde im Kabinete deine Zeichnungen und Blumen zu zeigen.«

Nun würde der Baron zu jeder andern Zeit sich Nichts daraus gemacht haben, die Zeichnungen und Blumen anzuschauen; aber wenn er in diesem Augenblicke den Salon verließ, so war jenes Papier, jetzt unter dem Fuße des jungen Mädchens, für ihn verloren, weßhalb er um jeden Preis bleiben mußte. – »Wenn mir Fräulein Auguste erlaubt,« sagte er so herzlich und verbindlich als möglich, »und mich für würdig hält, ihre herrlichen Zeichnungen und Blumen zu sehen, so werde ich mir dafür morgen eine eigene Stunde ausbitten. – Sie sehen, wie unbescheiden ich bin, doppelt unbescheiden, da ich, trotzdem sich Ihnen ein neuer Besuch ansagt,[37] doch noch zaudere, Ihren freundlichen Salon zu verlassen. – Aber ich muß wohl.« Dies letzte Wort begleitete er mit einem tiefen Seufzer und warf dabei einen solch schwermüthigen Blick auf das junge Mädchen, daß dieses ordentlich zusammen schrak und ihre Augen auf den Boden herabsenkte.

Die Präsidentin dagegen lächelte äußerst freundlich bei diesen Worten und verließ den Salon, indem sie eifrig sprach: »Ich versichere Sie, Baron, Sie erzeigen mir eine wahre Freundschaft, wenn Sie noch einige Zeit bei uns verweilen; der Besuch daneben wird mich nicht lange aufhalten, ich werde gleich wieder da sein.«

Nachdem sich die Thüre hinter der Präsidentin geschlossen, warf Herr von Brand einen forschenden Blick im Zimmer umher; und er that das auf so auffallende Weise, damit Auguste sehe, er schaue nur um sich, um zu erfahren, ob sie auch wirklich recht allein seien. Dabei dachte er: »Ich habe vielleicht zehn Minuten Zeit, bis Madame zurückkehrt, während derselben muß ich ohne Aufsehen das Papier erobern, koste es mich selbst eine Liebeserklärung.« – Er verließ seinen Platz, setzte sich in den Fauteuil des Papa's und brachte denselben durch eine geschickte Wendung in die Nähe des Kamins, dem Augustens dicht gegenüber.

In dem Gespräch entstand eine kleine verlegene Pause, welche übrigens der Baron dazu benützte, dem jungen Mädchen schwärmerisch in die Augen zu blicken.

Sie erröthete leicht und griff ein Gespräch gewaltsam wieder auf.

»Sie erwähnten vorhin einer Wette,« sagte sie, »ich glaube, es betraf die Farbe der Camelie, welche Mama bei der letzten Soirée in ihrem Haare trug. Sie haben auf Weiß gewettet, Graf Fohrbach auf Rosa; er hat gewonnen: Mama trug allerdings eine Rosacamelie.«

»O ich wußte das, Fräulein Auguste,« erwiderte er und spielte befangen mit dem Knopfe seines Stockes; »ich wußte ganz[38] genau, wer in dem schönen blonden Haar eine weiße Camelie trug. – Ich muß es Ihnen gestehen – es war in dem Augenblick nur der Wunsch, ja das Bedürfniß meines Herzens, von Ihrem Hause, von Ihrer Mutter, von – Ihnen ohne Verdächtigung reden zu können, was mich veranlaßt, jene Wette einzugehen. – Sie, Fräulein Auguste, trugen eine weiße Camelie. Wie könnte ich so etwas vergessen!«

»Es ist wahr,« entgegnete das Mädchen, indem sie die Augen niederschlug, »ich trug eine solche Blume.«

»Und während der letzten Française entfiel derselben ein einziges kleines Blättchen,« fuhr der Baron inniger fort, »das ich – niederfallen sah,« verbesserte er seine Rede, welche dem Blicke nach, von welchem sie begleitet war, hätte heißen müssen: »das ich aufhob und nun, obgleich verwelkt, auf meinem Herzen verwahre.«

Auguste hatte übrigens diesen Blick verstanden und seine Rede richtig ergänzt, denn als sie nun scheu und erröthend zu ihm aufblickte, wurde ihre Brust offenbar von einem kleinen, aber süßen Seufzer geschwellt.

»So angenehm jener Ball Anfangs für mich war,« sagte der Baron nach einer kleinen Pause, »so fühlte ich mich doch im Verlauf desselben – ich kann es nicht läugnen – auf's Schmerzlichste berührt. War es mir doch nur möglich, von Ihnen, theuerstes Fräulein, zwei Walzer, eine Française und eine Mazurka zu erhalten; ach! und ich hatte gehofft, so den ganzen Abend mit Ihnen dahinzufliegen! – Gewiß, Auguste, ich habe da schreckliche Stunden verlebt, und Sie fühlten das nicht einmal. Sie sahen es nicht, wie ich in einer Ecke des Salons stand, wie Ihnen meine Augen folgten, während Sie so froh dahin flogen, Sie ahnten nicht, daß ich etwas Ungeheures darum gegeben hätte, wenn Sie nur ein einziges Mal den Kopf gewandt, wenn Sie mir, dem ferne Stehenden, nur einen einzigen Ihrer süßen Blicke geschenkt hätten.«[39]

Während der Baron diese Worte sprach, beugte er sich vorn über, so daß der Hauch seines Mundes ihre Stirne berührte. Auch faßte er bei den letzten Worten eine ihrer Hände, hob sie sanft empor und drückte sie fest, innig und zu wiederholten Malen an seine Lippen.

Das Mädchen schrak zusammen, ihr Körper zuckte sichtlich, und dabei zog sie den linken Fuß, der bis jetzt auf dem Papier gestanden, zurück, während sie zu gleicher Zeit das erröthende Gesicht gegen den Boden wandte. – Vielleicht um ihre Verlegenheit zu verbergen, vielleicht auch um ihre Hand auf schickliche Art denen des Barons entziehen zu können, beugte sie sich hastig vorn über, ihre Blicke suchten irgend einen Gegenstand, und da sie zufällig vor sich das bewußte Papier erblickte, so bückte sie sich schnell darnach, hob es auf, glättete es auf ihrem Knie und legte es alsdann zu einem langen Streifen zusammen, den sie sich langsam um den Finger wand.

Während dieser bedeutungsvollen Pause hatte indessen Herr von Brand seine Zeit nicht verloren. Er rückte seinen Fauteuil noch etwas näher zu dem Mädchen hin und legte seinen Arm geschickt auf die Lehne des Stuhles, von wo er nur langsam herabzusinken brauchte, um genau die Stelle ihrer feinen Taille zu treffen. Dabei blickte er ihr von unten herauf sanft lächelnd in die Augen, und während er natürlicherweise für seine Kühnheit von vorhin – ihr nämlich die Hand geküßt zu haben – um Verzeihung bat, beging er eine noch weit größere, da sie nicht sogleich eine Antwort gab, indem er seine Hand ihrem Kinne näherte und ihren Kopf ganz leise hob und aufwärts wandte; und er that das mit einem Blicke voll Innigkeit und Liebe. – – Dem konnte das Mädchen nicht widerstehen, weil sie hiezu nicht den festen Willen hatte, doch schlug eine tiefe Röthe auf ihrem Gesicht empor, als sie ihm, doch nur eine Sekunde lang, fest in die glühenden Augen schaute. Aber sein Blick war so feurig, daß er unmöglich zu ertragen war, weßhalb[40] denn auch das Mädchen mit einem leichten Seufzer ihre Augen schloß in der festen Ueberzeugung, es schließe nun auch ihr Leben mit einem süßen Ende oder es geschehe ihr sonst etwas Schreckliches. – Und so war es auch; denn kaum schloßen sich ihre Augen, so fühlte sie den weichen Druck zweier fremden Lippen auf den ihrigen und ein unnennbares Gefühl durchzuckte sie so heiß und stürmisch, daß sie in der That einer halben Ohnmacht nahe war.

Wie schon oben angedeutet, hatte der rechte Arm des jungen Mannes die Lehne des Fauteuils zur gelegenen Zeit verlassen, hatte sich um ihren schlanken Körper gelegt und drückte sie leicht auf die Seite, während seine linke Hand langsam ihre rechte erhob, – dieselbe rechte Hand, um deren Zeigefinger sie das bewußte Papier geschlungen hatte. Als der Baron so diese Hand erhob, that er es gewiß nur in der Absicht, um zuerst die kleinen niedlichen Fingerspitzen zu küssen, und darauf das gleiche Geschäft bei den seinen Grübchen auf den Knöcheln zu versehen. Begreiflicherweise mußte er zu diesem Zwecke den Papierstreifen abwickeln, was er denn auch muthwillig, scherzend that. Auguste, die nun das A des Liebesalphabets glücklich hinter sich hatte, ging, wenn auch mit feuchten Augen gerne durch diesen Scherz auf das B über, ja sie lächelte recht freundlich, als nun der Baron das Papier neckend um jeden einzelnen Finger wickelte, diesen darauf küßte und es dann wieder entfernte. Das war ein recht harmloses Spiel, das auch ziemlich lange fortgesetzt wurde; bald aber verschwand der Streifen gänzlich von der Hand und alsdann begnügte sich der junge Mann nicht mehr damit, daß er die Hand küßte, sondern er wandte sich nun an den Arm und avancirte dort über glattes Gold und kalte Steine hinweg und so weit hinauf, bis undurchdringliches Spitzengewebe und ein anschließender seidener Aermel seinen weiteren Forschungen für diesmal ein Ziel setzten.

Es ist wunderbar, wie ein erster gelungener Kuß im Stande ist, so viele bis dahin unübersteigliche Schranken zu Boden zu[41] werfen, wie er weite Klüfte ausfüllt, die uns bis dahin trennten, wie er eine Vertraulichkeit hervorzuzaubern vermag, an die man bis dahin in seinen kühnsten Träumen nicht gedacht. Das geht im Allgemeinen so und man sah es auch in diesem speziellen Falle; Auguste zog ihre Hand nicht mehr zurück, sondern ließ sie in der des Barons ruhen, auch schloß sie ihre Augen nicht wieder, sondern sah den jungen Mann, der an ihrer Seite saß, zuweilen recht forschend und fest an, warf auch wohl zuweilen einen Blick auf die Thüre des Nebenzimmers, durch welche die Mama verschwunden war.

»Wir haben nun zusammen ein kleines, theures und liebenswürdiges Geheimniß,« sagte der Baron schmeichelnd, indem er ihre Hand an seine nun wirklich brennende Stirne legte. »Bewahren wir es noch für eine kurze Zeit, Auguste, lassen wir es noch eine Weile verborgen vor den Augen der übrigen Welt, uns freuend, daß wir Beide Etwas gemeinschaftlich besitzen, von dem die Uebrigen keine Ahnung haben. O, eine solche Heimlichkeit ist so süß, mein Mädchen; es gibt nichts Seligeres, als so im Gewühle der Welt scheinbar fremd an einander vorbei zu streifen, wo doch ein Blick, ein leiser Druck der Hand, ein verstandenes Wort deutlich spricht und vollständige kleine, liebe, heimliche Geschichten erzählt, während wir öffentlich einem langweiligen Gespräch zu lauschen scheinen.«

»Gewiß, gewiß,« versetzte Auguste, »ich freue mich darauf.«

»Und jetzt brauche ich nicht mehr mit tiefem Weh im Herzen von ferne zu stehen, wenn du im Arme anderer Tänzer an mir vorüberfliegst, mein süßes Kind. Ja, ich werde sogar glücklich sein, wenn sie dir schön thun, wenn ich sehe, daß sie in deiner Gunst Fort schritte zu machen scheinen, während ich doch weiß, daß die – mir Glücklichem ganz allein gehört. – Und dann wirst du auch zuweilen den Kopf nach mir wenden, wirst mir einen kleinen, kleinen Blick schenken. Nicht wahr, meine liebe, süße Auguste?«[42]

»Ja, ich werde das thun und werde es gern thun,« entgegnete das Mädchen. Und dabei senkte sie ihren Kopf etwas auf die Seite, wodurch es ihm möglich gemacht wurde, sie leicht auf die Stirne zu küssen.

Der Baron hatte noch immer ihre Hand mit der seinen gefaßt, und beide ruhten auf ihrem Schooße auf der kühlen Fläche des glatten Atlaß, womit sie bekleidet war. An dem Gürtel trug das Mädchen eine Chateleine von polirtem Eisen, deren Ende mit den vielen bekannten Kleinigkeiten versehen auf ihrem Knie ruhte. Zuweilen ließ der Baron ihre Hand los und faßte die glänzenden Kettchen an, die er leicht aufhob, um dann ein paar Sekunden lang mit dem Fingerhut, der Scheere, dem kleinen Büchlein und anderen Sachen, die daran hingen, zu spielen.

Nach Augenblicken, wie der vorhergegangene, ist es angenehm, sinnend und betrachtend stillschweigen zu dürfen, oder Fragen über gleichgiltige Dinge zu stellen, die aber, in einem gewissen unbeschreiblichen Tone gestellt, liebenswürdig neckend und mit zärtlichem Ausdrucke der Stimme beantwortet werden.

»Ah!« sagte der Baron nach einer Pause, »was ist das für ein Schlüssel? – Aber gestehen Sie mir die Wahrheit, Auguste; er ist zu groß, als daß er zu irgend einem Necessaire oder Kästchen einer jungen Dame gehören könnte.«

»Das ist mein Geheimniß,« entgegnete sie schalkhaft, »und ich werde es Ihnen unter keiner Bedingung anvertrauen.«

»Jetzt gerade verlange ich es zu wissen. Sie haben meine Neugierde erregt und die muß befriedigt werden. – Nehmen Sie sich in Acht, Auguste,« setzte er sie zärtlich anblickend hinzu, »ich bin eifersüchtig wie Othello. Und bei diesem außergewöhnlichen Schlüssel erwacht begreiflicherweise mein Argwohn.«

»O Tyrann, der Sie sind! Vorhin haben Sie kaum gewagt, zu bitten, jetzt wollen Sie schon verlangen. – Nein, nein! Die Bestimmung dieses Schlüssels sage ich Ihnen nicht, denn ich will[43] Ihnen nur gestehen, das könnte wahrhaftig Ihren Argwohn erregen.«

»Ah! kleine Verrätherin!« entgegnete der Baron neckend. »Sie sind noch so jung und tragen schon verdächtige Schlüssel bei sich. Aber es ist meine Pflicht, für Ihr Bestes zu wachen, und somit lege ich feierlich auf diesen Schlüssel Beschlag und nehme ihn an mich; denn das ist eine Waffe, die in Ihrer unerfahrenen Hand gefährlich werden könnte.«

»Aber er hält fest an mir,« erwiderte lachend das Mädchen, als sie sah, daß er vergebliche Bemühungen machte, den Schlüssel von dem Stahlringe zu trennen. Es war dies übrigens ein gefährliches Spiel auf ihrem Knie und der junge Mann beeilte sich auch nicht, an der ihm wohl bekannten verborgenen Feder zu drücken, welche den Ring öffnete. Endlich that er dies doch und der Schlüssel fiel in seine Hand.

»Sehen Sie,« sprach er, indem er denselben triumphirend in die Höhe hob, »hier wäre das Instrument, das ich, wie schon gesagt, verpflichtet bin, zu mir zu nehmen. Seien Sie aber jetzt ein artiges Kind und sagen Sie mir, welche Thüre dieser Schlüssel aufmacht.«

»Ich sage es nicht,« entgegnete sie kopfschüttelnd; »gewiß nicht. Den Raub kann ich nicht hindern, doch soll er ein Räthsel in Ihrer Hand bleiben.«

»Aber wenn ich dich herzlich um die Auflösung bitte, mein süßes, süßes Mädchen?« sagte der Baron schmeichelnd, indem er ihre Hand ergriff und sie abermals an seine Lippen führte. – »Vertrau es mir an, es ist das ein kleines, angenehmes Geheimniß mehr.«

»Nein, nein!« versetzte Auguste eifrig. Und dabei suchte sie den Schlüssel zu fangen, den er neckisch in die Höhe hielt. »Nein, nein, ich werde es nicht sagen; deßhalb geben Sie mir ihn nur wieder, denn was nützt er Sie, da Sie seine Bestimmung doch nicht wissen?«

»O ich werde sie erfahren,« entgegnete er heiter und vergnügt,[44] »ich werde mich nächtlicher Weise einschleichen wie ein Dieb, ich werde sämmtliche Schlösser deines Hauses untersuchen, bis ich weiß, wo das rechte ist.«

»Dazu wären Sie wahrhaftig im Stande,« sagte das junge Mädchen mit einem seltsamen Blicke; »weiß Gott, ich traue Ihnen so Etwas zu. Und das wäre ja ein wahres Unglück.«

»So beuge diesem Unglücke vor und sage die Wahrheit, – die kleine, süße, angenehme Wahrheit.«

»Und wenn ich es thue, erhalte ich meinen Schlüssel wieder?«

»Wir wollen sehen.«

»Nein, nein, von: ›Wir wollen sehen,‹ darf keine Rede sein; ein einfaches Ja oder Nein! – Bekomme ich alsdann meinen Schlüssel wieder?«

»Wenn er nichts Gefährliches verschließt, ja.«

»Keine Bedingungen; darauf lasse ich mich gar nicht ein. Ich sage Ihnen, zu welcher Thüre der Schlüssel paßt, und Sie geben ihn mir zurück. Gehen Sie das ein?«

Der Baron zuckte lächelnd die Achseln, dann sagte er: »Sie sind grausam, Auguste; aber was kann ich machen? Sie haben mich in der Hand. – Doch ich will Ihnen noch einen andern Vorschlag machen: Sie sagen mir die Bestimmung dieses Schlüssels, darauf gebe ich Ihnen denselben zurück und dann erlauben Sie mir, Sie nach Umständen wieder darum zu bitten.«

Das Mädchen zauderte, eine Antwort zu geben, endlich aber sprach sie: »Das ist eine gefährliche Bedingung; wenn Sie sich auf's Bitten legen, da weiß ich am Ende nicht, was ich machen soll. Nein, nein, es ist mir zu gefährlich.«

»Aber Sie können mir ja meine Bitten abschlagen,« erwiderte er so innig und zärtlich als möglich.

»Und wenn ich nun nicht im Stande wäre, Ihnen diese Bitte abzuschlagen?« sagte das Mädchen nach einer kleinen Pause mit unsicherer Stimme.[45]

»O, dann wäre ich ja doppelt glücklich!« rief der Baron, indem er sie leidenschaftlich an sich drückte und ihre Lippen suchte, deren Auffinden sie ihm gerade nicht besonders schwer machte. – »Doppeltes, seliges Glück! – – Hier ist der Schlüssel,« sagte er nach einer längeren Pause; »darf ich nun wissen, was er verschließt?«

»Gewiß, obgleich wir eigentlich viel Lärmen um Nichts gespielt haben. Sie kennen ja unseren Garten hinter dem Hause; am Ende desselben befindet sich ein kleiner Pavillon, von dem eine Thüre auf die Straße führt. Diese Thüre nun –«

»Oeffnet dieser Schlüssel!« rief der Baron hastig. »Ah! meine geliebte Auguste, jetzt bitte ich Sie doppelt, zehnmal, tausendmal darum. – Nicht wahr, Sie sagten ja vorhin, Sie können mir Nichts abschlagen?«

Das Mädchen nickte mit dem Kopfe und reichte stillschweigend den Schlüssel wieder zurück, den er eifrig ergriff, zu gleicher Zeit aber faßte er auch ihre Hand, die er, sowie den vollen weißen Arm, mit unzähligen heißen Küssen bedeckte.

In diesem Augenblicke mußte der Besuch im Nebenzimmer entlassen worden sein. Die Präsidentin, eine kluge, verständige Frau und gewiß auf's Innigste besorgt für das Wohl ihrer einzigen und heirathsfähigen Tochter, hustete laut und vernehmlich, ehe sie die Thüre zum Salon öffnete. Gewandt rückte der Baron seinen Fauteuil zurück, ehe die Mutter eintrat, und gewandt griff das junge Mädchen ein plötzlich hingeworfenes Gesprächsthema auf, in das nun die Beiden so vertieft schienen, daß sie den Eintritt der Präsidentin gar nicht bemerkten und laut hinaus lachten über die köstliche Geschichte der Frau von A., die neulich Abends nach dem Theater zufälligerweise in ein ganz fremdes Coupé gestiegen sei.

Auf einmal aber bemerkte der Baron die Mutter, sprang nun leicht und graziös in die Höhe, indem er versicherte, jetzt müsse alle Geduld erschöpft sein und er habe die Damen mehr gelangweilt, als bei der größten Freundlichkeit zu verantworten sei.[46]

Umsonst versicherte die Präsidentin, die Unterhaltung des werthen Gastes werde ihr eine wahre Erholung sein nach der Fatigue des eben gehabten Besuches. Der Baron war nicht zu halten, obgleich ein langer und schmerzlicher Blick auf Auguste dieser deutlich zu verstehen gab, wie schwer es ihm sei, sich jetzt loszureißen. Darauf küßte er die Hand der Mutter flüchtig, die der Tochter mit einer wahren Inbrunst und verschwand leicht und gewandt aus dem Salon.

Auf der Treppe athmete der Baron tief auf, schaute einen Augenblick wie forschend um sich her, sprang dann flüchtig die Stufen hinab und warf sich in seinen Wagen, nachdem er dem Kutscher zugerufen: »Nach Hause!«

Die Pferde zogen an, das leichte Coupé flog dahin, und der junge Mann griff mit einem seltsamen Blicke des Triumphes in seine Brusttasche, wo er das bewußte Papier und den Schlüssel verwahrte. »Das ist viel auf einmal,« sprach er laut zu sich selbst, während sein Auge blitzte, »dieses für mich so kostbare Blatt, unbezahlbar nach dem, was ich über den Schreiber desselben erfahren, und dann ein Schlüssel, um ungehindert zu jeder Zeit in den Gartenpavillon des Polizeipräsidenten gelangen zu können. – Glück, du warst mir günstig! – Aber das arme Mädchen droben! – Ah! es war ein trauriges Mittel zum traurigen Zweck. Sie ist schön und gut, auch noch ziemlich unerfahren. – Arme – arme Auguste!« – An diese letzten Worte, die der junge Mann noch ziemlich heiter aus sprach, mußten sich plötzlich ernste, finstere Gedanken reihen, Gedanken, die ihm in kurzer Zeit furchtbar wurden, denn das Auge verlor fast mit einem Male seinen Glanz und stierte matt mit schrecklichem Ausdruck in die Ecke des Wagens, und der Kopf sank auf die Brust herab, während er die Unterlippe heftig zwischen die Zähne klemmte. Darauf wurde sein Gesicht aschfarben und fahl, und nach und nach trat ihm ein kalter Schweiß auf die Stirne. Man hätte glauben sollen, es habe ihn ein heftiger Krampf befallen, der sein Herz stille stehen ließ und[47] seine Glieder löste; willenlos sank er in sich zusammen, und wenn er sich nicht zuweilen aufgerafft hätte und tief seufzend mit der Hand über die Stirne gefahren wäre, um einen Augenblick auf die Straße zu schauen, hätte man meinen können, auf dem weichen Kissen liege ein schwer Erkrankter – ein Sterbender. Ja, wer ihn vor einigen Minuten am Hause des Präsidenten so leicht und gewandt in den Wagen springen und dann bei seiner Wohnung hätte aussteigen sehen, würde darauf geschworen haben, das sei nicht derselbe Mensch: dieser hier, welcher langsam die Treppen hinauf schlich, sei mindestens um zehn Jahre älter als jener, der dort die Stufen so flüchtig hinabgesprungen.

Wir können aber dem geneigten Leser nicht verschweigen, daß der Baron Brand zuweilen solche fürchterliche Augenblicke hatte, wo ihn ein entsetzliches Seelenleiden befiel und dahin warf, wie Jemand, den eine tödtliche Krankheit erfaßt. Sein alter Kammerdiener kannte diesen Zustand, und er führte alsdann seinen Herrn langsam zu einem weichen Fauteuil, mischte ihm ein niederschlagendes Pulver, verdüsterte das Zimmer, indem er die Vorhänge zuzog, und überließ ihn dann seinen finsteren Träumereien.

So geschah auch heute, und dann schlich der Kammerdiener leise auf den Zehen gehend zum Zimmer hinaus und trat in das anstoßende Gemach, wo er einen großen Schrank von geschnitztem Eichenholze sorgfältig abschloß und den Schlüssel zu sich steckte.

In diesem Schranke aber befanden sich die Pistolen und sonstigen Waffen des Barons.

Quelle:
Friedrich Wilhelm Hackländer: Europäisches Sklavenleben, 5 Bände, Band 2, in: F.W.Hackländer’s Werke. Stuttgart 31875, S. 36-48.
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