(III.)

Die verwundte Keuschheit.

[11] Die fruchtbare Insel Sicilia / welche fast halb Welschland ernehret / hat unter vielen Lastern auch ein Wunderwerck der Keuschheit hervor gebracht / welches den alten Exempeln dieser Tugend gleich geachtet /wo nicht vorgezogen werden kan.

2. Sylvester zeugte mit seinem Eh-Weib etliche Töchter und einen Sohn. Nach dem er durch den Tod seiner Frauen in den Wittibstand gesetzet / stosset er seine Töchter in das Kloster / und bedient sich bald dieser / bald jener leichtfertigen Dirne / entschlossen /sich nimmermehr in die Dienstbarkeit eines Ehebetts zu begeben. Sein Sohn ein Jůngling welcher von der Natur schamhafftig / und aller Unreinigkeit[11] feind war / hassete seines Vaters Lasters / welches jhn und alle seine Bekanten / zu grosser ärgernis hätte verleiten sollen. Er war gleich einer Perlenmutter / die ihren Glantz und Liecht / mitten in dem trůben Saltzwasser beharrlich erhält. Kurtz zu sagen: er war ein frommes Kind eines bösen Vatters.

3. Sylvester suchte seinen Sohn mit sich in das Verderben zu stürtzen / GOtt aber rühret sein Hertz die Welt zu verlassen / und in der Mönichs-Kappen den Sünden zu entfliehen. Dieses Vorsatzes gehet er in unterschiedliche Klöster in bedenken / welchen Orden er sich zu schlagen solte. Der Vater hatte seinen Sohn gerne in dem Ehestand / und ihn die Vermehrung seines Geschlechts gesehen / bemühet sich deßwegen ihn darvon wendig zu machen. Der Sohn schämet sich seines Vorhabens nicht / sondern bekennet frey heraus / daß er gewillet der weltlichen Eitelkeit gute Nacht zu sagen / und daß er spůhre / Gott habe ihn zu solchen einsamen Leben / aus sondren Gnaden beruffen.

4. Als nun der Vater mit weltsichtigen Ursachen nichts außrichten / und seinen Geist nicht zu widerstehen mögen / hat er seinen Väterlichen Gewalt anführen / und den Kindlichen Gehorsam erzwingen wollen. Er fängt deßwegen an zu fluchen / zu schreyen /zu drauen / und giebt ihm kurtze Bedenkzeit.

5. Nach dem er aber merket / daß Cadrat beständig auff seiner Meinung verharrt / und ein Chartäuser werden wil / schleust er ihn in eine Kammer / darinnen er / als in einem Gefängnis verbleiben solte / biß ihm dieser Einfall vergangen / und er zu gehorsamen versprechen wůrde.

6. Cadrat wiedersetzet sich nicht in Verhafft zu seyn / fastet und betet / und ob ihm gleich gute Speisen auff getragen wurden / wolte er sich doch vielmehr sättigen mit dem Brod der Trübsal / und tränken mit dem Wasser vieler Threnen / damit der Leib nicht geil / und zur Ungebühr veranlasst wůrde.

7. Weil Sylvester auff solche Weise nichts außrichten konte / ersinnet er eine andre List / und dinget[12] eine Metz / die wie eine Wolffin nach Menschen Fleisch hungerte. Diese wird zu Nacht gantz entblösst zu ihm eingelassen / als er zu Bette gelegen / und sie fügte /sich ihm ein Verlangen nach Ehlicher Beywohnung zu erwekken / an seine Seiten / mit ungebürlichen reitzen. Cadrat wolte sich aus ihren Armen winden / als ob er mit einer Schlangen ümgeben were / und ringte endlich so lang mit diesem Balg / biß er ihr entkommen. Zum Fenster konte er nicht hinaus springen /denn sie waren vergittert: durch die Thüre konte er nicht entfliehen / dann sie war von aussen verrigelt. Die unzüchtige Feindin verfolget den Jůngling / und er kan jhr nicht entkommen / biß er endlich sich erinnert / daß ein Federmesser auff den Tisch / das ergreifft er und verwundet darmit seinen Leib / an Armen und Beinen / biß er in eine Ohnmacht dahin sinket / und die Dirne ümb Hůlff schreyen muste.

8. Der Vater laufft so bald zu / und sihet dar den Sohn in seinem Blut ligen: beschicket die Wundärtzte / welche etliche Wunden für sehr gefehrlich / und wegen verlohrnen Kräfften für fast tödtlich halten: sonderlich aber an den rechten Arm / an welchem das Geäder alles verletzt / und zerschnitten war: wie dann auch bald hernach der kalte Brand darzu geschlagen /daß man ihm den Arm abnehmen müssen.

9. Ob er nun solche Schmertzen mit grosser Gedult außgestanden / so hat er doch nicht sein Leben sondern ein seliges Sterbstündelein erwünschet / welches ihm auch wiederfahren. Der Vater fiel darüber in eine grosse Betrübnis / und wird endlich zu raht / an stat seines verstorbenen Sohns / die Mönichskappen anzuziehen / und seine begangene Sünde hertzlich zu bereuen.

10. Hierauß fliesset die Lehre / daß man die Kinder nicht wieder ihren Willen zu dem Ehestand nöthigen /oder von dem ledigen Stande abhalten sol / und daß dergleichen Zwang einen grausamen Außbruch gewinnen muß: Daher sagt jener weise Heyd / daß die Kinder gleich sind den Metallen / deren ein jedes an seinem gewissen Ort dienlich und nützlich /[13] wann man aber das Gold oder Silber zu einer Pflugschar /das Eisen hingegen zu Trinkgeschirren gebrauchet /so verliere beedes seine Nutzbarkeit. Also sagt auch jener Spanier / daß die Rähte der Könige und Fürsten Augen wären / welche nicht nutzen könten / wann man sie nicht in dem Haubt / sondern auff den Füssen tragen wolte.

11. Wer beschämet

Zwingt und zämet

in der Brust

Seine Lust /

Der mag haben

Engels Gaben /

Und wird seyn

ewig rein.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 11-14.
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