(I.)
Das glůckselige Almosen.

[5] Es ist bekant / daß vorzeiten zu Rom ein Löw auf dem Schauplatz eines leibeigenen Knechtes verschonet / weil er ihm bevor einen Dornstachel auß dem Fusse gezogen Fast dergleichen Danckbarkeit soll zu Eingang dieses Schauplatzes vorgestellet werden / welche zwar von keinem grimmigen und dummen Thiere / sondern von einem Soldaten / deren Verfahren zu Zeiten viel grausammer und unmenschlicher / als der Thiere zu seyn pflegt / geleistet worden.

2. Cyran eines Kauffmans zu Poitirs Sohn / wurde von seinem Vatter / wegen Handelssachen nach Tours gesendet / und als er sich darauff hielte / begenet ihm auff eine Zeit / ein armer Soldat / und bittet um ein Christliches Almosen Cyran hatte eine natürliche Neigung zu der Wolthätigkeit / und dabe den Armen willig / und ohne Ansehen ihrer Person; weil er wuste / daß alles was wir haben / Gottes Gaben / und wann uns Gott nichts ertheilen solte / als was wir Seiner Majestät mit unser Frommkeit und Wůrdigkeit abverdienen / wir gewißlich alle würden darben und manglen müssen; ja die Allerreichesten solten solcher gestalt wol die ärmbsten Bettler werden.

3. Diesem verarmten Soldaten ware es fast ergangen / wie jener gedichter / daß die Boßheit auff ihrer Wanderschafft in einem grossen Wetter bey dem Frieden herbergen wollen / von demselben aber nicht ein gelassen worden / und nachgehends von der Frommkeit / als eine unbekante gleichfals[6] außgeschlossen; endlich aber von der Barmhertzigkeit seye auff- und angenommen worden. Also hat auch diesem Wanderer Cyrans Barmhertzigkeit und Almosen ein Obdach verschaft / als ihn sonsten wegen seines verhassten Standes und bösen Lebens niemand herbergen und hausen wollen. Cyran wolte ihm einen Stieber zuwerffen / als er aber in dem Beutel eine mehrgiltige Müntz behändiget / gedenckt er bey sich selbsten / dieses Stück ist dem armen Tropfen beschehrt / mich wird es nicht darben machen / und wirfft es also dem Soldaten auß gutem Hertzen zu / mit dem Wunsch / daß er ein bessers Handwerck / als biß anhero treiben möchte. Ob der Betler das Almosen wol / oder übel anleget / gehet den milden Geber nit an / und stehet jenem die Verantwortung / diesem die Belohnung bey GOtt bevor.

4. Der arme Soldat bedancket sich der reichen Gabe / und beklaget seinen elenden Zustand / in welchem nichts als spate Reue zu gewinnen; wünschet hingegen daß ihm GOtt die Gelegenheit / seinem Wolthäter zu dienen / widerfahren lassen wolte / welcher ihm gleichsam das Leben durch dieses Almosen geschencket. Cyran helte wol sagen mögen / wie jener Reiche / dem man für sein Almosen das ewige Leben gewünschet; sprechend; so spät es möglich ist: massen selten Glück dabey / wann einem die Soldaten dienen. Und sagt gleicher Meinung Quevedo: Ich hüte mich für der Höflichkeit deren / die mich prügeln wollen.

5. Als kurtze Zeit hernach Cyran nach Hauß raisen wollen / wird er unter Wegs / in einem kleinen Wald von dreyen Raubern angefallen: Der eine ergreifft des Pferds Zaum / die andern werffen ihn herab / und führen ihn in die djckste Büsche / nehmen ihm sein Gelt / seine Kleider / und alles was er um und an hatte. Nach dem solches geschehen / berathschlagen sie / ob sie ihn ermorden sollen? und halten die zween solches für das sicherste / weil sie sonsten von ihm verrathen / und den Schergen in die Hände fahen möchten. Probin aber war dieser / dem Cyran das Almosen gegeben / wolte[7] darein nicht willigen / sondern beredet seine Gesellen / daß sie ihn an einen Baum binden / und ihre Hände in seinem Blut nicht wachsen solten. In dem sie ihn außziehen / und anbinden / sagt Probin dem beraubten Cyran in das Ohr / er wolte zu Nacht kommen / und ihn widerum loß machen.

6. Hier hat es recht nach dem Sprichwort geheissen: Leyd und Freude sind einander zur Ehe gegeben; gestalt unschwer zu gedencken / wie betrübt Cyran in erzehltem Zustande / und wie erfreuet er gewesen / als sich Probin für den zuerkennen gegeben / welchen er kurtz zuvor mit einem milden Almosen begabet hatte. Nach dem nun die Rauber darvon / und Cyran angebunden hinterlassen / hat ihn diese Noth von Hertzen beten / und seine Hoffnung auff GOttes Barmhertzigkeit stellen lehren / welcher er sich in seinem Gewissen versichert; dieweil er auch von Probin unnd vielen andern Barmhertzigkeit gethan.

7. Als nun die düstre Schattennacht herbey kommen / hörte Cyran um sich die Wölffe erschrecklich heulen / welche ihm nicht geringe Furcht einjagten / und an den verzögerten Hülfe nach und nach zweifflen machten. Ja / er wünschte ihm vielmals den vorangedrauten Todt / damit er nur nicht von den wilden Thieren zerrissen und zerfleischet werden möchte.

8. Der Wolf ist ein grausames und zugleich ein listiges Thier / welches schwerlich zufangen / und weil es Mißtrauisch wachtsam / höret / loset / und sich wol vorsiehet / daß es auch sein Geruch nach kein Aas / sonder grosse ümbsicht / anfället; lässet sich aber leichtlich verscheuen und in Furchte bringen. Als nun besagter massen die Wölffe heulten / und die Felsen solche Stimme vervielfältiget / gedencket Cyran nicht anderst / als er seye den Raubern entkommen / und diesen mörderischen Thieren aufbehalten worden; weil er vermercket / daß sie ihm nach und nach näher kommen / und er noch entlauffen noch sich vertheidigen kunte.

9. In dem er höret Probin schreyen / und reucht einen angefeurten Lunden / welchen er / die Wölffe zu scheuen / mit genommen. Nach dem nun Cyran voll Hoffnung geantwortet / und[8] Probin zu ihm gekommen / hat er ihn loß gemacht / und mit sich auß dem Wald geführt / benebens Entschuldigung / daß er sich von seinen Gesellen nicht zeitlicher abstehlen / und gethanem Versprechen Folge leysten können.

10. Cyran war nach außgestandener Todes Furcht (wiewol auch die Furcht für sich ein Tod kan genennet werden) wol zufrieden / und konte nicht genugsame Wort finden / seine Danckbarkeit außzudrucken; nahme ihn mit sich zurucke / und bote ihm die Helfte seines Vermögens an / wann er mit ihm nach Pottiers raisen / und diese Nahrung / welche ein böses End nehmen müste / fahren lassen wolte. Probin antwortet / daß er zwar entschlossen / das Soldatenwesen zu verlassen / und sich nicht mehr von dem Raub zu ernehren willens / wie ihn zu thun die Noth eine Zeit hero gezwungen; So grossen Verlag aber / als ihm Cyrian angebotten / habe er zu seinem künfftigen Stand nicht vonnöthen; weil er endlich gesinnet eine Pilgerschafft in Welschland anzutretten / seine begangene Sünden zu bereuen / und hernach ein Einsidel- Leben zu führen.

11. Bey diesem würcklichen Danck ließ es Probin nicht verbleiben / sondern bietet Cyran seinen Antheil von dem ihm abgenommen Gelde wider dar / welches er aber nicht angenommen / und ihme hingegen noch viel ein mehrers versprochen; daß also beede mit bester Vergnügung voneinander geschieden / und Cyran ihm unverhofft einen guten Freund gemacht mit seinem Mammon. Die zween andern Gesellen Probins / sind wenig Monat hernach / durch Cyrans Pferd und Mantel erkant / und eine Höhe auffzusteigen genöthiget worden / von welcher sie mit einem Strang wider herab gefallen.

12. Die Hauptlehre dieser Geschicht hat David vermeldet in dem 41. Psalm / da er rühmet / daß GOtt die Barmhertzigen rette zu der bösen Zeit / sie erquicke auf dem Todbette / sie erhalte bey Leben / und nicht gebe in die Hände ihrer Feinde / etc. ja GOtt behält die Wolthaten / wie einen Sigelring / wie Sirach im 17. Cap. redet / in dem wir durch solche GOttes Ebenbild gleichen / und werth gehalten werden / für dem Angesicht[9] deß Höchsten. Der ist in seinem Reichthum arm / sagt jener / der sich der Armen nicht erbarmet / und wird am jüngsten Tag die Verfluchung hören müssen / weil er GOtt in seinen Gliedern nicht trauen und leihen wollen / wie Salomon meldet in Sprüchen am 19. Die Hunde / welche dem armen Latzaro die Schwären lecken / werden widerum geniessen der Brosamlein göttlicher Barmhertzigkeit.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. V5-X10.
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