(LXXX.)
Die Friedfertigen.

[290] Selig sind die Friedfertigen / sagt unser Heiland / dann sie werden das Erdreich besitzen. Die grösten Flüsse lauffen friedlich und still daher: Die kleinen Bäche aber vessern und schlürffen in den steinigen Wegen. Freundlichkeit machet Friede / und ein hartes Wort findet einen harten Widersprecher / wie wir aus folgender Erzehlung hören wollen.

2. Keine Statt ist in welcher sich mehr innerliche Unruhen begeben / als in Genua / die viel vornehme Häuser haben mehrmahls ům die Freyheit ihres Regiments gestritten / das sonderlich in Gefahr gestanden / als die Fregosi und Fieschi sich mit ihren Anhängern rottiret. Die Fieschi wolten nicht geschehen lassen / daß Johann Fregosus zum Hertzogen erwehlet würde / und haben mit den Andoruis ihren Gesippten / sich so beharrlich widersetzet / daß der besagte Hertzog entschlossen / Hieronymum / der Fieschen Haupt / hinrichten zu lassen.

3. Octavian / deß Hertzogen Bruder / wolte diesen mörderischen Anschlag nicht billichen / und erwiese bey der Berathschlagung / daß solche Meuchellist wider Gott und den Nechsten einen traurigen Außschlag gewinnen můste. Ungeacht aber dieses Bedenckens / ist Octavian überstimmet / die That auff gut Italianisch angeschicket / die Mörderbuben gemiedet /[290] unnd ihnen Gelt auff die Hände gegeben worden.

4. Octavian hatte keinen Gefallen ab solcher Verhandlung / und weil er auff seiner Seiten / diesen Rathschlag nicht hindern und unterbrechen mögen / lässet er Hieronymū wissen / daß er sich solte hüten / und sich nit mehr auff dem Rathhauß betretten lassen / weil etliche bestellet / welche laurten ihn zu tödten. Hieronymus bedancket sich der wolgemeinten Warnung / will aber keine Zagheit erweisen / und sich den gemeinen Zusammenkunfften entziehen; sondern hintertreibt des Hertzogen Rathschläge wie zuvor ohne Scheu und Furcht.

5. Als er einsten von dem Rathhauß herab gienge / wird er unversehens todt gestochen / und weil einer von den Thätern Handfest gemacht und an die Marterbanck oder Folter geworffen worden / hat er bekennet / von wem er gedinget und solches zu thun befehlcht gewesen. Hierüber kommt die gantze Statt in Waffen / und waren die Fieschi die stärcksten / daß auch der Hertzog mit vielen andern / so ihme bey gestanden getödet worden.

6. Bey so beschaffenen Sachen fluchten die Fregosi zu den Spaniern / wie die Fieschi bey den Frantzosen Hülffe suchten. Inzwischen schreiten sie zu der Wahl eines andern Hertzogs / und wird erkiest Antoni Andräe / einer auß der Fieschen Anhang / wie gesagt. Als aber bald hernach die Fratzosen in Navarra geschlagen worden / haben sich die Spanier ihres Siegs gebraucht / und ihre Macht gegen Genua gewendet.

7. Als nun die Genueser gesehen / daß die Spanier mit einem fliegenden Heere / wider sie im Anzug begriffen / und Octavian mit sich führten / ihn zu einem Hertzog / an seines Bruders Stelle zu machen / berathschlagen sie / was zu thun seyn möchte? Ihr gantzes Vatterland in Augenscheinliche Gefahr zu setzen / und einer solchen Macht / in sehr schwachem Zustande zu widerstreben / wolte sie allerseits unverständig / und unverantwortlich beduncken. Was Raht?[291]

8. Antoni Andräe der neue Hertzog begnügte sich / daß er seines Bruders Hieronymi Todt gerächet hatte / und thut deßwegen den Vorschlag: er wolle seinem Vatterland zum besten / das Elend bauen / die Hertzogliche Hoheit dem Octavian willig überlassen / und also die Ursache deß gefährlichen Krieges auß dem Wege raumen. Dieser Friedfertige Rahtschlage war mit Verwunderung und sondern Lobspruch deß gantzen Volcks gut befunden.

9. Hierzu aber wurde dieser Hertzog bewogen / durch die redliche That / und das friedliebende Gemüth Octavians / welches er ihme bey seines Brudern Lebzeiten erwiesen / und verhofft auch noch leichtlich mit jme versöhnet zu werden / massen er seine Brüder und nechste Befreunde mit sich auß der Statt genommen / und gebetten / man solte Octavian an seine Stelle beruffen / und zu Erhaltung ihres Regiments erwehlen.

10. Solches wurde auch alles mit guter Vergnügung / friedlich und schiedlich Werckstellig gemachet / und ist Octavian an seines Bruders Stelle Hertzog worden: und hat auch auf Vorbitte der vornehmsten Herren / die Andräen wiederumb in die Statt beruffen / Freundschafft mit ihnen geschlossen / und alle ihre ihme verfallene Güter unverletzt außgehändigt.

11. Durch dieses friedfertige Verfahren / hat er auß seinen Feinden Freunde gemacht / alles Hasses vergessen / seine Gegner zu Handhabung ihrer allgemeiner Freyheit mit grossem Eifer ermahnet / und also wahr gemacht den Spruch unsers Erlösers: Selig sind die Friedfertigen und Sanfftmůtigen / denn sie werden Gottes Kinder heissen und das Land besitzen. Nicht weniger Ehr und Ruhm haben auch die Andräen erlanget / und hätten kein bessers Mittel ersinnen können / ihr Vatterland / und sich selbsten zu erhalten.

12. Mann schreibt / daß der Elephant seinen Zorn verliere / wann er eines Lams ansichtig wird / also solten alle Mächtige ihre Feindschafft fallen lassen / wann sie sich deß Lämmleins Christi erinnern / welches der gantzen Welt Sünden getragen.[292] Hingegen aber müssen fallen und zu Grunde gehen die Gottlosen und Falschen / deren Mund voll Honigs / und das Hertz voll Gallen ist. Die Gewaltigen / wie hier der erste Hertzog Fregosus / müssen wann sie so gröblich sündigen / gewaltig gestrafft werden.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. CCXC290-CCXCIII293.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Grosse Schauplatz Lust- und Lehrreicher Geschichte
Der Grosse Schauplatz Lust- und Lehrreicher Geschichte, Das erste Hundert. 2 Tle. in 1 Band.