Einleitung

[7] Von der Parteien Gunst und Haß verwirrt

Schwankt sein Charakterbild in der Geschichte;

Doch euren Augen soll ihn jetzt die Kunst

Auch euren Herzen menschlich näher bringen: –

Sie sieht den Menschen in des Lebens Drang

Und wälzt die größre Hälfte seiner Schuld

Den unglückseligen Gestirnen zu.

Schiller


Die Sage, womit sich die folgenden Blätter beschäftigen, gehört jenem Teil des südlichen Teutschlands an, welcher sich zwischen den Gebirgen der Alb und des Schwarzwaldes ausbreitet: das erstere dieser Gebirge schließt von Nordwest nach Süden in verschiedener Breite sich ausdehnend, in einer langen Bergkette dieses Land ein, der Schwarzwald aber ziehet sich von den Quellen der Donau bis hinüber an den Rhein und bildet mit seinen schwärzlichen Tannenwäldern einen dunklen Hintergrund für die schöne, fruchtbare, weinreiche Landschaft, die vom Neckar durchströmt an seinem Fuße sich ausbreitet und Württemberg heißt.

Dieses Land schritt aus geringem, dunklem Anfang unter mancherlei Kämpfen siegend zu seiner jetzigen Stellung unter den Nachbarstaaten hervor. Es erregt dies um so größere Bewunderung, wenn man die Zeit bedenkt, in welcher sein Name zuerst aus dem Dunkel tritt; jene Zeit, wo mächtige Grenznachbarn, wie die Stauffen, die Herzoge von Teck, die Grafen von Zollern um seine Wiege gelagert waren; wenn man die inneren und äußeren Stürme bedenkt, die es durchzogen und oft selbst seinen Namen aus den Annalen der Geschichte zu vertilgen drohten.

Gab es ja doch sogar eine Zeit, wo der Stamm seiner Beherrscher auf ewig aus den Hallen ihrer Väter verdrängt schien, wo sein unglücklicher Herzog aus seinen Grenzen fliehen und in[7] drückender Verbannung leben mußte, wo fremde Herren in seinen Burgen hausten, fremde Söldner das Land bewachten, und wenig fehlte, daß Württemberg aufhörte zu sein, jene blühenden Fluren zerrissen und eine Beute für viele oder eine Provinz des Hauses Österreich wurde.

Unter den vielen Sagen, die von ihrem Lande und der Geschichte ihrer Väter im Munde der Schwaben leben, ist wohl keine von so hohem romantischem Interesse, als die, welche sich an die Kämpfe der eben erwähnten Zeit, an das wunderbare Schicksal jenes unglücklichen Fürsten knüpft. Wir haben versucht, sie wiederzugeben, wie man sie auf den Höhen von Lichtenstein und an den Ufern des Neckars erzählen hört, wir haben es gewagt, auch auf die Gefahr hin, verkannt zu werden. Man wird uns nämlich entgegenhalten, daß sich der Charakter Ulerichs von Württemberg1 nicht dazu eigne, in einem historischen Romane mit milden Farben wiedergegeben zu werden; man hat ihn vielfach angefeindet, manches Auge hat sich sogar daran gewöhnt, wenn es die lange Bilderreihe der Herzoge Württembergs mustert, mit scheuem Blick vom ältern Eberhard auf Christoph2 überzuspringen, als seie das Unglück eines Landes nur allein in seinem Herrscher zu suchen, oder als seie es verdienstlich, das Auge mit Abscheu zu wenden von den Tagen der Not.

Und doch möchte es die Frage sein, ob man nicht in Beurteilung dieses Fürsten nur seinem erbittertsten Feinde Ulerich von Hutten nachbetet, der, um wenig zu sagen, hier allzusehr Partei ist, um als leidenschaftloser Zeuge gelten zu können; die Stimmen aber, die der Herzog und seine Freunde erhoben, hat der rauschende Strom der Zeit übertäubt, sie haben die zugleich anklagende und richtende Beredsamkeit seines Feindes, jene donnernde »Philippica in ducem Ulericum« nicht überdauert.

Wir haben fast alle gleichzeitige Schriftsteller, die Stimmen eines längstvergangenen, vielbewegten Jahrhunderts gewissenhaft verglichen und fanden keinen, der ihn geradehin verdammt. Und wenn man bedenkt, welch gewaltigen Einfluß Zeit und Umgebungen auf den Sterblichen auszuüben pflegen, wenn man bedenkt, daß Ulerich von Württemberg unter der Vormundschaft schlechter Räte aufwuchs, die ihn zum Bösen anleiteten um ihn nachher zu mißbrauchen, wenn man sich erinnert, daß er in einem Alter die Zügel der Regierung in die Hände bekam, wo der Knabe kaum zum Jüngling reif ist, so muß man wenigstens die erhabenen Seiten seines Charakters, hohe Seelenstärke und[8] einen Mut, der nie zu unterdrücken ist, bewundern, sollte man es auch nicht über sich vermögen, die Härten damit zu mildern, die in seiner Geschichte das Auge beleidigen.

Das Jahr 1519, in welches unsere Sage fällt, hat über ihn entschieden, denn es ist der Anfang seines langen Unglückes. Doch darf die Nachwelt sagen, es war der Anfang seines Glückes; war ja doch jene lange Verbannung ein läuterndes Feuer, woraus er weise und kräftiger als je hervorging; es war der Anfang seines Glückes, denn seine späteren Regentenjahre wird jeder Württemberger segnen, der die religiöse Umwälzung, die dieser Fürst in seinem Vaterlande bewerkstelligte, für ein Glück ansieht.

In jenem Jahre war alles auf die Spitze gestellt. Der Aufruhr des Armen Konrad war sechs Jahre früher mit Mühe gestillt, doch war das Landvolk hie und da noch schwierig, weil der Herzog sie nicht für sich zu gewinnen wußte, seine Amtleute auf ihre eigene Faust arg hausten und Steuern auf Steuern erhoben wurden. Den Schwäbischen Bund, eine mächtige Vereinigung von Fürsten, Grafen, Rittern und freien Städten des Schwaben- und Frankenlandes hatte er wiederholt beleidigt, hauptsächlich auch dadurch, daß er sich weigerte, ihm beizutreten. So sahen also alle seine Grenznachbarn mit feindlichen Blicken auf sein Tun, als wollten sie nur Gelegenheit abwarten, ihn fühlen zu lassen, welch mächtiges Bündnis er verweigert habe. Der Kaiser Maximilian, der damals noch regierte, war ihm auch nicht ganz hold, besonders seit er im Verdacht war, den Ritter Götz von Berlichingen unterstützt zu haben, um sich an dem Kurfürsten von Mainz zu rächen.

Der Herzog von Bayern, ein mächtiger Nachbar, dazu sein Schwager, war ihm abgeneigt, weil Ulerich mit der Herzogin Sabina nicht zum besten lebte. Zu allem diesem kam, um sein Verderben zu beschleunigen, die Ermordung eines fränkischen Ritters, der an seinem Hofe lebte. Glaubwürdige Chronisten sagen, das Verhältnis des Johann von Hutten zu Sabina sei nicht so gewesen, wie es der Herzog gerne sah; daher griff ihn der Herzog auf einer Jagd an, warf ihm seine Untreue vor, forderte ihn auf, sich seines Lebens zu erwehren und stach ihn nieder. Die Huttischen, hauptsächlich Ulerich von Hutten, erhoben ihre Stimmen wider ihn, und in ganz Teutschland erscholl ihr Klage- und Rachegeschrei.

Auch die Herzogin, die durch stolzes, zänkisches Wesen Ulerich schon als Braut aufgebracht und ihm keine gute Ehe bereitet[9] hatte, trat jetzt als Gegnerin auf, entfloh mit Hülfe Dieterichs von Spät, und sie und ihre Brüder traten als Kläger und bittere Feinde bei dem Kaiser auf.3 Es wurden Verträge geschlossen und nicht gehalten, es wurden Friedensvorschläge angeboten und wieder verworfen, die Not um den Herzog wuchs von Monat zu Monat, und dennoch beugte sich sein Sinn nicht, denn er meinte, recht getan zu haben. Der Kaiser starb in dieser Zeit; er war ein Herr, der Ulerich trotz den vielen Klagen dennoch Milde bewiesen hatte; an ihm starb dem Herzog ein unparteiischer Richter, den er in diesen Bedrängnissen so gut hätte brauchen können, denn das Unglück kam jetzt schnell.

Man feierte das Leichenfest des Kaisers zu Stuttgart in der Burg, als dem Herzog Kunde kam, daß Reutlingen, eine Reichsstadt, die in seinem Gebiete lag, seinen Waldvogt auf Achalm erschlagen habe. Diese Städtler hatten ihn schon oft empfindlich beleidigt, sie waren ihm verhaßt und sollten jetzt seine Rache fühlen. Schnell zum Zorn gereizt wie er war, warf er sich aufs Pferd, ließ die Lärmtrommeln tönen durch das Land, belagerte die Stadt und nahm sie ein. Der Herzog ließ sich von ihnen huldigen und die Reichsstadt war württembergisch.4

Aber jetzt erhob sich der Schwäbische Bund mit Macht, denn diese Stadt war ein Glied desselben gewesen. So schwer es auch sonst hielt, diese Fürsten, Grafen und Städte alle aufzubieten, so weilten sie doch hier nicht, sondern hielten zusammen, denn der Haß ist ein fester Kitt. Umsonst waren Ulerichs schriftliche Verteidigungen5; das Bundesheer sammelte sich bei Ulm und drohte mit einem Einfall.

So war also in dem Jahr 1519 alles auf die Spitze gestellt. Konnte der Herzog das Feld behaupten, so behielt er recht und es war nicht zu zweifeln, daß er dann großen Anhang bekommen würde; gelang es dem Bunde, den Herzog aus dem Felde zu schlagen, dann wehe ihm, wo so vieles zu rächen war, durfte er keine Schonung erwarten.

Die Blicke Teutschlands hingen bange an dem Erfolg dieses Kampfes, sie suchten begierig durch den Vorhang des Schicksals zu dringen und zu erspähen, was die künftigen Tage bringen werden, ob Württemberg gesiegt, ob der Bund den Walplatz behauptet habe. Wir rollen diesen Vorhang auf, wir lassen Bild an Bild vorüberziehen, möge das Auge nicht zu frühe ermüdet sich davon abwenden.

Oder sollte es ein zu kühnes Unternehmen sein, eine historische[10] Sage der Vorzeit in unsern Tagen wieder zu erzählen? Sollte es unbillig sein, zu wünschen, daß sich die Aufmerksamkeit des Lesers einige kurze Stunden nach den Höhen der Schwäbischen Alb und nach den lieblichen Tälern des Neckars wende?

Die Quellen des Susquehanna und die malerischen Höhen von Boston, die grünen Ufer des Tweed und die Gebirge des schottischen Hochlandes, Alt-Englands lustige Sitten und die romantische Armut der Galen, leben, Dank sei es dem glücklichen Pinsel jener berühmten Novellisten, auch bei uns in aller Munde. Begierig liest man in getreuen Übertragungen, die wie Pilze aus der Erde zu wachsen scheinen, was vor sechzig oder sechshundert Jahren in den Gefilden von Glasgow oder in den Wäldern von Wallis sich zugetragen. Ja, wir werden bald die Geschichte der drei Reiche so genau innehaben, als hätten wir sie nach den gelehrtesten Forschungen ergründet. Und doch ist es meist nur der große Unbekannte, der uns die Bücher seiner Chroniken erschloß und Bild an Bild in unendlicher Reihe vor dem staunenden Auge vorüberführte; er ist es, der diesen Zauber bewirkte, daß wir in Schottlands Geschichte beinahe besser bewandert sind, als in der unserigen, und daß wir die religiösen und weltlichen Händel unserer Vorzeit bei weitem nicht so deutlich kennen, als die Presbyterianer und Episkopalen Albions.

Und in was besteht der Zauber, womit jener unbekannte Magier unsere Blicke und unsere Herzen nach den »bergigten Heiden« seines Vaterlandes zog? Vielleicht in der ungeheuern Masse dessen, was er erzählt, in der grauenvollen Anzahl von hundert Bänden, die er uns über den Kanal schickte? Aber auch wir haben mit Gottes und der Leipziger Messen Hülfe Männer von achtzig, hundert und hundertundzwanzig! Oder haben vielleicht die Berge von Schottland ein glänzenderes Grün, als der teutsche Harz, der Taunus und die Höhen des Schwarzwaldes; ziehen die Wellen des Tweed in lieblicherem Blau als der Neckar und die Donau, sind seine Ufer herrlicher als die Ufer des Rheins? Sind vielleicht jene Schotten ein interessanterer Menschenschlag als der, den unser Vaterland trägt, hatten ihre Väter röteres Blut als die Schwaben und Sachsen der alten Zeit, sind ihre Weiber liebenswürdiger, ihre Mädchen schöner als die Töchter Teutschlands? Wir haben Ursache daran zu zweifeln, und hierin kann also jener Zauber des Unbekannten nicht liegen.

Aber darin liegt er wohl, daß jener große Novellist auf historischem Grund und Boden geht, nicht als ob der unserige weniger[11] geschichtlich wäre, aber wir haben ja schon seit Jahrhunderten uns angewöhnt, unter fremdem Himmel zu suchen, was bei uns selbst blühte, und wie wir die rohen Stoffe ausführen, um sie in anderer Form mit Bewunderung und Ehrfurcht als teure Kleinode wieder in unsere Grenzen aufzunehmen, so bewundern wir jedes Fremde und Ausländische nicht, weil es groß oder erhaben, sondern weil es nicht in unseren Tälern gewachsen ist.

Doch auch wir hatten eine Vorzeit, die reich an bürgerlichen Kämpfen, uns nicht weniger interessant dünkt als die Vorzeit des Schotten; darum haben auch wir gewagt, ein historisches Tableau zu entrollen, das, wenn es auch nicht jene kühnen Umrisse der Gestalten, jenen zauberischen Schmelz der Landschaft aufweist, und wenn das an solche Herrlichkeiten gewöhnte Auge umsonst die süße, bequeme Magie der Hexerei und den von Zigeunerhand geschürzten Schicksalsknoten darin sucht, ja wenn sogar unsere Farben matt, unser Crayon stumpf erscheint, doch eines zur Entschuldigung für sich haben möchte, ich meine die historische Wahrheit.

1

Ulrich von Württemberg, geb. 1487, wurde 1498 in seinem eilften Jahre als Herzog belehnt mit einer Mitregentschaft, welche in seinem sechszehnten Jahr aufgehoben wurde und Ulerich von 1503 an allein regierte. Er starb im Jahr 1550.

2

Es ist hier Eberhard im Bart gemeint, der, geb. 1445, gest. 1496, sehr weise regierte. Er war der erste Herzog von Württemberg. Christoph, geb. 1515, gest. 1568, ein Fürst, dessen Andenken nicht nur in Württemberg, sondern in ganz Teutschland gesegnet wird. Er ist der Stifter der württembergischen Konstitution.

3

Christ. Tubingii Chron. Blabur ad annum 1516: Maximilianus Caesar ex suggestione Ducis Bavariae et sororis uxoris Udalrici aliorumque non multum Udalrico deinceps favere cepit.

4

Das Nähere über diese Einnahme ist in der trefflichen Geschichte Württembergs von C. Pfaff I. 291, und Sattler, Geschichte der Herzoge von Württemberg. II 5, hauptsächlich aber bei Pedius Tethinger in comment. de reb. Würtemb. sub Ulrico Lib. I. in fine und ap. Schradii script. rerum germ. Tom. II. pag. 885 zu lesen.

5

Der Herzog hatte mit Landgraf Philipp von Hessen ein Bündnis errichtet auf zweihundert Reiter und sechshundert zu Fuß, ebenso mit Markgraf Ernst von Baden, aber sie entschuldigen sich beide, daß sie selbst mit einem Einfall bedroht seien.

Quelle:
Wilhelm Hauff: Sämtliche Werke in drei Bänden. Band 1, München 1970, S. 7-12.
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