Zweite Scene.

[55] DIE ALTE MATTERN kommt hereingehumpelt, wobei sie sich eines grünbebänderten Stockes bedient. Eine runzlige,[55] kluge Alte, die ihren in grün gehaltenen Capotehut und Anzug mit Bewußtsein trägt. A! – a! – a! – Wenn ma ock Odem hätte! Wenn ma' ock Odem hätte!

BÄUERIN. Jitzte! Was! Asu lange huste Dich nee sahn lo'n! jitzte, wo ich ei de Lerche wihl –

MATTERN. Nu nu! 's is ju noch Zeit Beate! Ich gih ju mite. Ich kan ruhig noch a wing verblosa hie. O jemersch, 's werd m'r heute noch schwer genung, Beate, mit menn' biesa Beene. Aber meins, meins! Ma' muß doch senn' lieba Gote au' wieder amol vur'sch A'gesicht trata.

BÄUERIN. Wie giht D'rsch d'n, Mattern?

MATTERN die sich auf einen Stuhl gesetzt hat. Immer uf's Grab zu, Beate. An andern Zweck hot's doch nee. Ma' muß vurwärts, wenn ma' au nee wihl. Und kan hichstens amol rickwärts sahn.

BÄUERIN die noch Verschiedenes herzusucht. O mein Gott, mein Gott! rickwärts sahn! – Wu is d'n wieder 's Gesangbuch hie, Madel? Das hot doch noch gestern hie eim Schränkel gelä'n.

TINE. Ich gleebe, Frau, der Herr hot sichs gestern genumma. Ich sah'n d'rmite ei's Stibel gihn.

BÄUERIN. D'r Herr? Während sie einen Augenblick ins Stübel eilt. Nu ju ju! Dar is nu asu!

MATTERN. List Gotlieb au ei'm Gesangbuche?

BÄUERIN. A! a! ich wiß iberhaupt nee, was ei da Vater gefahr'n is! Ich wiß gar nee! – Plötzlich interessiert. 'r hot doch heute vom Amte an Brief gekriegt, – da is 'r glei' zum Vursteher gelaufa. Was au das wieder sein muß? – Klagend. Seit d'r Suhn surt is, ich war D'r sa'n, liebe Mattern, ich gleebe, 'r hot schun manchmal – a! Abwehrende[56] Geste. Du wißt ju, wie 'r asu is. Merka will 'r sich's nee lo'n! Aber Du kanst's gleeba: Seit 'r da Suhn hot aus 'm Hause geja't –

MATTERN. Was denn? Naus geja't? 'r hätt' a naus geja't? Du hust m'r doch salber d'rzahlt Ernst hätte sich nee halta lo'n.

BÄUERIN. Nu ju ju! freilich, 'r hot 'n ebens ziehen lo'n! O mein Gott, mein Gott! Was ich e dan paar Wucha schun ha fir Kummer ertra'n! As alleene wie dar Junge nu unter fremda Leuta dostiht! Kenner kan a meh' berota, kenner kan 'n amol uf richt'ge Wege brenga, asu unbedächtig wie a immer is. Und hie ei inse Wertschoft, da macht sich Fremder immer meh' Raum. Das läßt d'r Vater zu. 's Madel giht mit'n. 'r wogt eben dam Kerle jitze iberhaupt nischte meh' zu sa'n – d'r Vater! 'r is iberhaupt seit dar Zeit – ich kan mir kenn Vers macha! 'r thut seit dar Zeit, als gäng'n das nischt a!

MATTERN. Wenn au amol a junges – Iberhaupt, Beate, a Mansbild muß amol under die Leute kumma.

BÄUERIN. Zu was denn? Inse eegnes Blut! Wenn 'r zu Hause genung hot!

MATTERN. Ach, genung hot, genung hot! Das macht doch noch kenn' Man. Du mußt doch au a Ei'sahn ha'n! 's schad't dam Junga gar nischt, wenn 'r sich de Hörner a wing ableeft. Oh meins, meins! Wenn ich denke, wie mir'sch asu geganga is! Ich ha' manch liebes Mal eim Herbste, wenn ich asu mit blußa Fissa – 's Kleedla wer wiß was fir a Lumpa – uf da windiga Stuppeln stand und Kihe hit'te, da[57] bihn ich ufte, wenn an Kuh Wasser ließ, flink mit a Fissa nei ei's Warme getrata, asu derfruren wie ich war –

BÄUERIN resolut. Kumm bata. Ju ju, ich wiß ju. Ihr ha't kenn' Kummer. Ich ha'n ganz alleene. Ich ha'n. Ich ha' kenn' Menscha weiter uf d'r Welt. Und Ernstla'n ha'n se mir genumma. Und a Fremder derf sich bei ins breet macha, weil 's Madel sich durchaus an sulcha Zigeunerkerl nahma wihl –

MATTERN während sie sich lachend zum Gehen erhebt. O jemersch, Beate, mir nahma nee – alles nimmt ins. Nee nee! Alles nimmt ins, de Menscha thun ock a wing gruß, als wenn se wullta und kinnta. – De Leute missa's Ärschliche eim Kuppe grade asu nahma wie's Grade. Beide gehen zur Thür, lachend. Kanst 's gleeba, Beate.

JOSEPH tritt ein mit einem Pferdekummet über der Schulter.

MATTERN. Bist wull heute alleene d'r Herr, Joseph?

JOSEPH. Was fir Herr?

BÄUERIN kurz. Wenn was kimmt, d'r Vater is beim Vursteher d'unda – uf'm Amte.

JOSEPH. Gut, gut!


Bäuerin und Mattern ab.


Quelle:
Carl Hauptmann: Ephraims Breite. Berlin 1900, S. 55-58.
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