Sechste Szene


[278] Der Prinz und der Graf treten ein.


DER GRAF. Kann denn niemand Seiner Durchlaucht leuchten? Wo ist der Richter?

KILIAN zu Doktor Pfeffer. Zehn Taler demjenigen, der sich für den Richter ausgeben will![278]

DOKTOR PFEFFER. Hört ich recht? Zwanzig Taler?

DER GRAF. Kann keiner antworten?

KILIAN zu Doktor Pfeffer. Zwanzig Taler!

DOKTOR PFEFFER tritt vor. Durchlaucht verzeihen. Nur der Respekt machte mich bisher stumm. Ich bin der Richter.

BLOCK. Jesus! Nein, ich kenn ihn nicht mehr! Ich hab ihn nie gesehen!

DER PRINZ. Wir hören, daß hier am Ort ein Jude ergriffen ist, der den Diamant, den der König vermißt, bei sich führt. Wo ist der Jude? Ist es der da, der sich so ängstlich zu verstecken sucht? Er deutet auf Kilian.

KILIAN. Durchlaucht haben gewiß in allen Dingen recht, dennoch muß ich mich erkühnen, zu behaupten, daß ich dieser Jude nicht bin.

DOKTOR PFEFFER. Der Jude, wenn Ew. Durchlaucht zu vergeben geruhen, ist nicht mehr hier.

DER PRINZ. Gleichviel. Aber der Diamant?

DOKTOR PFEFFER langsam. Ist, wo der Jude ist!

DER PRINZ. Ihr habt den Juden mit seinem Stein sogleich nach der Residenz bringen lassen? Das lob ich. Die höchste Eile war nötig.

KILIAN für sich. Das hätt ich tun können! Dann wär ich außer Verantwortlichkeit gewesen. Warum sagte mir das keiner! Doch, so gehts immer, wenn man seinen Verstand in fremden Köpfen stehen hat. Man bekommt die Zinsen nur selten in guten Ratschlägen zu Hause.

DOKTOR PFEFFER. Wie glücklich würde dies Lob aus so hohem Munde mich machen, wenn ichs mir aneignen dürfte! Aber – Heftig zu Block, Jörg und Jacob. Nun, Schurken, was säumt ihr noch? Zum Prinzen. Durchlaucht verzeihen, daß ich die Leute an ihre Pflicht erinnere, sie stehen so bestürzt und verwirrt, weil sies noch gar nicht fassen können, daß sie einen Prinzen vor sich sehen! Zu den anderen. Hab ich euch nicht gesagt, daß ihr mit Fackeln in den Wald hinaus sollt? Wenn der Flüchtling nicht wieder eingeholt wird, so seid ihr schuld daran!

DER PRINZ. Flüchtling? Von welchem Flüchtling ist die Rede? Ich will nicht hoffen –

DOKTOR PFEFFER für sich. Halb ists heraus! Zum Prinzen. Der Jude ist[279] entkommen. Es scheint, daß er den Gefängniswärter bestochen hat, denn dieser ist mit ihm verschwunden.

DER PRINZ. Entkommen? Mit dem Diamant? Durch eure Nachlässigkeit? Legt Hand an den Degen. Was hält mich ab –

KILIAN hinter Pfeffer. Dreißig, vierzig, funfzig Taler!

DER GRAF zugleich mit Kilian. Gnädigster Herr, keine Übereilung! Zu Doktor Pfeffer. War Euch das Königliche Mandat unbekannt?

DOKTOR PFEFFER. Ich habe es in derselben Stunde auswendig gelernt, wo ich es erhielt, auch glaube ich mich nicht dagegen vergangen zu haben. Gestern ging es bei mir ein, heute gegen Anbruch der Dämmerung schleppt der Bauer, der dort in der Ecke seinen Hut, wie eine Kaffeemühle, dreht, einen Juden vors Gericht, von dem er behauptet, daß er ihm einen Diamant gestohlen habe. So sonderbar eine solche Beschuldigung auch aus dem Munde eines Bauern klingt, dem, wie Ew. Durchlaucht zu bemerken geruhen, die Zehen aus den Stiefeln und die Ellenbogen aus den Ärmeln hervor gucken, so nehme ich die Sache doch keineswegs leicht, ich schreite sogleich zum Verhör, und befehle, als ich erfahre, daß der Jude den Stein verschluckt hat und ihn nicht wieder von sich geben kann, auf der Stelle dem Doktor Pfeffer, der hier steht Er zeigt auf Kilian. und der ein sehr geschickter Mann ist, dem Juden den Bauch zu öffnen. Der Doktor ist bereit, aber er hat seine Instrumente nicht bei der Hand; er macht sich also auf den Weg, um sie zu holen, ich lasse den Juden inzwischen unter sicherer Bewachung ins Gefängnis bringen und setze mich zum Corpus juris nieder, um mich zu belehren, ob ich den Menschen auch wohl der Gefahr der Tötung bloßstellen darf, bevor ich noch bestimmt weiß, daß der Diamant, den er bei sich trägt, mit dem, der gesucht wird, identisch ist. Ehe noch eine Stunde verfließt, kommt der Doktor zurück, ich eile mit ihm ins Gefängnis, aber, wie wirs betreten, finden wirs leer, der Jude ist fort und der Wärter mit ihm.

DER PRINZ. Ihr habt nachsetzen lassen?

DOKTOR PFEFFER. Noch eben in Ew. Durchlaucht Gegenwart wiederholte ich den Befehl, und wenn ich nicht die Ehre hätte, vor meinem Prinzen zu stehen, so würde ich selbst längst in den Wald hinaus sein. Übrigens wird der Jude schwerlich[280] säumen, mit dem Diamant, so schnell er kann, in die Residenz zu eilen. Er weiß, daß er statt Strafe eine halbe Million empfängt, denn er kennt das Mandat.

DER GRAF. Dann ists allerdings wahrscheinlich.

DER PRINZ. Dennoch wollen wir ihm nach. Kommen Sie, Graf!

DER GRAF. Wäre der Bauer nicht erst zu befragen, wie er zu dem Diamant gekommen ist?

DOKTOR PFEFFER. Er will ihn von einem verstorbenen Soldaten erhalten haben.

DER PRINZ. Von einem Soldaten? Da seh ich eine Spur! Beschrieb die Prinzessin doch in dem Geist, von dem sie sprach, offenbar die Gestalt eines verstümmelten Soldaten. He, Bauer!

JACOB zu Kilian. Wie nah darf man dem gnädigen Herrn mit Transtiefeln treten?

DER PRINZ tritt auf Jacob zu. Ein Soldat gab dir den Stein?

JACOB. Eigentlich gab er mir ihn nicht, sondern ich nahm ihn mir, als er tot war, das heißt, meine Frau tats.

DER PRINZ. Was war das für ein Soldat? Sag mir, wie er aussah!

JACOB. Ja, wenn ichs nur recht mache. Wo soll ich anfangen? Oben beim Kopf, oder unten bei dem hölzernen Bein?

DER PRINZ. Er hatte einen Stelzfuß? Das trifft schon zu. Weiter!

JACOB. Weiter? Ja, da stehen wir. Ich wollte, Durchlaucht fragten mich anders, das heißt genauer, nach Nase, Mund, Ohren und dergleichen.

DER PRINZ. War er groß oder klein?

JACOB. Klein? Schrecklich groß! Der Tischler, der den Sarg machte, hat sein Maß.

DER PRINZ. Wie war er sonst?

JACOB. Nun, er war schon, wie ein Mensch, nur daß man ihn auch wohl für ein Gespenst halten konnte, so totenbleich war sein Gesicht und so hohle stechende Augen saßen darin. Ich fuhr ordentlich zusammen, als ich an jenem Abend aus der Tür trat und ihn davor stehen sah. In gesunden Tagen mag er wohl anders ausgesehen haben.

DER GRAF. Woher kam er?

JACOB. Weiß nicht. Vom Sprechen war er kein Freund. Nichts von Woher und Wohin. Ich zeigte ihm mein Bett, er legte sich stillschweigend hinein und kehrte sich gegen die Wand. Ich[281] habe keinen Laut aus einem Munde vernommen, kein: ich dank Euch, Jacob, daß Ihr mir das Lager abtretet und Euch auf Stroh behelft, nicht einmal ein Stück vom Vaterunser. Er wußte wohl, daß es bald mit ihm vorbei sei, darum machte er keine Umstände, ich habs ihm nicht verdacht. Als er im Sarg lag, sah er besser aus, als da er noch lebte. Freilich hatte ich ihn vorher rasiert.

DER GRAF. Er war wohl stumm?

JACOB. Stumm? Wäre meine Frau hier, so würde sie Nein sagen. Zu der hat er allerlei geredet. Wir würden mehr bei ihm finden, als wir dächten! Dabei hat er auf den Stein gezeigt und gesagt, die Tochter des Königs hätt ihm den gegeben.

DER PRINZ. Die Tochter des Königs?

JACOB. So sprach er zu meiner Frau und meine Frau zu mir!

DER GRAF zum Prinzen. Ich mögte eine Vermutung wagen. Der arme kranke Soldat, der den Tod im Angesicht trug, hat sich in den Königlichen Garten zu schleichen gewußt, er ist vor die einsame Prinzessin hingetreten, und hat sie, überzeugt, daß seine Jammergestalt mehr Mitleid einflößen müsse, als ungeschickte Worte, mit stummen Gebärden um ein Almosen angefleht. Die Prinzessin, in der Dämmerungsstunde tief in ihre Phantasien versenkt, hat in dem sterbenden, vielleicht wahnsinnigen Verstümmelten den Geist, dessen Erscheinung sie täglich, ja stündlich in fiebrischer Erregtheit entgegensah, zu erblicken geglaubt, und ihm den Diamant, den er ihr abzufordern schien, mit Schaudern und Entsetzen zugeworfen; dann ist sie, im innersten Grunde ihres Daseins erschüttert, bewußtlos zurückgesunken, und der Mensch hat sich still entfernt. Ist er doch sogar dem Bauer wie ein Gespenst vorgekommen; wie sollte er ihr –

DER PRINZ. So ists! So muß es sein! Denn nur so wird der Wahnsinn vollkommen. O Welt, Welt! Bist du denn etwas andres, als die hohle Blase, die das Nichts emportrieb, da es sich, fröstelnd, zum erstenmal schüttelte? Schau mir nicht so starr ins Gesicht, Walter, ich könnte dir jetzt den Kopf herunterschlagen und mir einbilden, das geschehe bloß in der Einbildung. Nein! Nein! Da schafft die Natur ein Wesen, das keinen Fehler hat, als den, daß er zu vollkommen ist, daß es[282] der Welt nicht bedarf und all sein Leben aus sich selbst, aus der unergründlichen Tiefe seines Ichs hervor spinnt, und diesem Wesen tritt eine Fratze, ein lächerliches Zerrbild seines eignen Todestraums, in den Weg, und vor der Fratze muß es vergehen!

DER GRAF. Gnädiger Herr –

DER PRINZ. Ja! Ja! Fort. Was vergeud ich die Seele in Worten!


Ab, von den übrigen gefolgt.


JACOB im Abgehen. Ich kriege die Schläge und ein anderer schreit! Macht der Prinz nicht ein Gesicht, als ob er statt meiner die halbe Million eingebüßt hätte? Ich ärgere mich über ihn! Ab.

Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 278-283.
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