Dritte Szene

[123] Ute und Kriemhild treten auf.


UTE.

Der Falk ist dein Gemahl!

KRIEMHILD.

Nicht weiter, Mutter,

Wenn du den Traum nicht anders deuten kannst.

Ich hörte stets, daß Liebe kurze Lust

Und langes Leid zu bringen pflegt, ich sehs

Ja auch an dir und werde nimmer lieben,

O nimmer, nimmer![123]

UTE.

Kind, was sagst du da?

Wohl bringt die Liebe uns zuletzt auch Leid,

Denn eines muß ja vor dem andern sterben,

Und wie das schmerzt, das magst du sehn an mir.

Doch all die bittren Tränen, die ich weine,

Sind durch den ersten Kuß voraus bezahlt,

Den ich von deinem Vater einst empfing.

Auch hat er, eh er schied, für Trost gesorgt,

Denn wenn ich stolz auf tapfre Söhne bin,

Und wenn ich dich jetzt an den Busen drücke,

So kanns doch nur geschehn, weil ich geliebt.

Drum laß dich nicht durch einen Reim erschrecken:

Ich hatte lange Lust und kurzes Leid.

KRIEMHILD.

Viel besser, nie besitzen, als verlieren!

UTE.

Und was verlierst du nicht auf dieser Welt!

Sogar dich selbst. Bleibst du denn, was du bist?

Schau mich nur an! So sehr du lächeln magst:

Ich war vordem, wie du, und glaube mir,

Du wirst dereinst, wie ich. Was willst du halten,

Wenn du dich selbst nicht einmal halten kannst?

Drum nimms, wie's kommt, und greife, wie wir alle,

Nach dem, was dir gefällt, obgleich der Tod

Es dir zu Staub zerbläst, sobald er will:

Die Hand, mit der dus packst, zerstäubt ja auch.

KRIEMHILD tritt zum Fenster.

Wie mirs ums Herz ist, Mutter, könnt ich schwören –


Sie schaut hinaus und bricht ab.


UTE.

Was brichst du ab? Du wirst ja feuerrot?

Was hat dich so verwirrt?

KRIEMHILD tritt zurück.

Seit wann ists Brauch

An unserm Hof, daß wirs nicht mehr erfahren,

Wenn fremde Gäste eingezogen sind?

Wird diese stolze Burg zu Worms am Rhein

Der Schäferhütte gleich, in der sich jeder

Bei Nacht und Tag verkriechen kann, der will?

UTE.

Warum so hitzig?

KRIEMHILD.

Ei, ich wollte eben

Im Hofe nach den jungen Bären schaun,[124]

Die so possierlich durcheinander kugeln,

Und wie ich ohne Arg den Laden öffne,

Da stiert mir plump ein Recke ins Gesicht.

UTE.

Und dieser Recke machte dirs unmöglich,

Den Schwur zu endigen, den du begannst?


Sie tritt gleichfalls zum Fenster.


Ei freilich, wer ihn sieht, wie er da steht,

Der überlegt sichs, ob er weiter schwört.

KRIEMHILD.

Was kümmern mich die Gäste meines Bruders,

Wenn ich nur weiß, wie ich sie meiden kann.

UTE.

Nun, dies Mal freuts mich, daß dir bloß der Zorn

Die Wangen färbt, denn dieser junge Held,

Der zwischen dich und deine Bären trat,

Ist längst vermählt und hat schon einen Sohn.

KRIEMHILD.

Du kennst ihn?

UTE.

Ganz gewiß!

KRIEMHILD.

Wie heißt er denn?

UTE.

Ich weiß es nicht! Jetzt aber kenn ich dich,

Du bist ja bleich geworden, wie der Tod! –

Und wahrlich, wenn du diesen Falken fängst,

So hast du nichts vom Adler zu besorgen,

Er nimmts mit jedem auf, ich bürge dir!

KRIEMHILD.

Dir hab ich meinen letzten Traum erzählt!

UTE.

Nicht so, Kriemhild! Ich spotte deiner nicht.

Wir sehen oft im Traum den Finger Gottes,

Und wenn wir noch im Wachen ängstlich zittern,

Wie du es tust, so sahn wir ihn gewiß.

Nur sollen wir den Wink auch recht verstehn,

Den er uns gibt, und nicht in unsrer Furcht

Unmögliches geloben. Hüte du

Den Falken, der dir zugeflogen kommt,

Damit kein tückscher Adler ihn zerreißt,

Doch denke nicht daran, ihn zu verscheuchen,

Du scheuchst mit ihm die Lust des Lebens fort.

Denn über eines edlen Recken Liebe

Geht nichts auf dieser Welt, wenn du es gleich

Noch unter deinem Mädchenkranz nicht fühlst,

Und wär dir auch kein Besserer beschert,[125]

Als dieser da, ich wies ihn nicht zurück.


Sie schaut aus dem Fenster.


KRIEMHILD.

Er wirbt wohl nicht, so brauch ichs nicht zu tun.

UTE lacht.

Ei, so weit spring ich noch, so alt ich bin.

KRIEMHILD.

Was gibts da drunten, Mutter, daß du lachst?

UTE.

Sie werfen in die Wette, wie es scheint,

Und Giselher, dein Bruder, warf zuerst.

Nun, nun, er ist der Jüngste. Aber schau;

Jetzt kommt der fremde Recke. Ach, mein Sohn,

Wo wirst du bleiben? Sieh, nun tritt er an,

Nun holt er aus, nun – Ha, der Stein wird fliegen,

Als würde er zum Vogel – Komm doch her

Und stell dich hinter mich, du siehst es nicht

Zum zweiten Mal, es gilt das Äußerste,

Er wills mit einem Wurf zu Ende bringen!

Jetzt – Hab ich Augen oder hab ich keine?

Nicht weiter?

KRIEMHILD nähert sich.

Hast du ihn zu früh gelobt?

UTE.

Das ist ja nur ein Schuh!

KRIEMHILD tritt hinter Ute.

Noch immer mehr,

Als wär es nur ein Zoll.

UTE.

Um einen Schuh

Dies Kind zu überwerfen –

KRIEMHILD.

Ist nicht viel!

Besonders, wenn man sich dabei noch spreizt.

UTE.

Und wie er keucht!

KRIEMHILD.

Für einen solchen Riesen

Possierlich gnug! Wär ichs, verdient ich Mitleid,

Denn für ein Mädchen wär es schon ein Stück.

UTE.

Nun macht sich unser Gerenot ans Werk.

Es steht ihm gut, nicht wahr? Er hat von allen

Die meiste Ähnlichkeit mit seinem Vater,

Nur mutig zu, mein Sohn! – Das ist ein Wurf!

KRIEMHILD.

Der Bär sogar ist überrascht, er hat

Sichs nicht erwartet und wird plötzlich flink.

UTE.

Zieh du auf Abenteuer, wann du willst! –

Doch Giselher bleibt hier.

KRIEMHILD.

Wie gehts denn fort? –[126]

Nein, mache mir nicht Platz, ich sehs schon so.

UTE.

Jetzt kommt der Recke wieder! Doch er strengt

Sich nicht mehr an, er scheint sich im voraus

Des Sieges zu begeben. Wie man sich

Doch irren kann! – Was tut er aber da?

Er dreht sich um – er kehrt dem Ziel den Rücken,

Anstatt der Augen zu – er wirft den Stein

Hoch über Kopf und Achsel weg – Ja wohl,

Man kann sich irren! Gerenot ist auch

Besiegt, wie Giselher.

KRIEMHILD.

Es macht zwar wieder

Nur einen Schuh! Doch dies Mal keucht er nicht.

UTE.

Es sind doch gute Kinder, die ich habe.

Treuherzig reicht ihm Gerenot die Hand,

Ein andrer würde nach der Klinge greifen,

Denn solch ein Übermut ist gar nicht fein.

KRIEMHILD.

Man siehts ja wohl, daß ers nicht übel meint.

UTE.

Herr Volker legt die Geige still bei Seite,

Die er so höhnisch strich!

KRIEMHILD.

Der eine Schuh

Stört ihn in seiner Lust. Die Reihe wäre

Am Marschall jetzt, wenns langsam, wie bei Treppen,

Hinauf gehn soll, doch König Gunther drängt

Herrn Dankwart ungestüm zurück, er will

sich selbst versuchen.

UTE.

Und er tuts mit Glück.

Zweimal so weit, als Gerenot.

KRIEMHILD.

Und dennoch

Nicht weit genug. Du siehst, der Recke folgte

Sogleich, und wieder fehlt der eine Schuh.

UTE.

Der König lacht. Ei nun, so lach ich auch! –

Ich sahs ja längst, daß dies der Falke ist,

An dem dein Traum sich nicht erfüllen kann;

Doch hat er jetzt die volle Kraft gebraucht.

KRIEMHILD.

Nun tritt der Tronjer an.

UTE.

Dem schwärts im Herzen,

So fröhlich er auch tut! – Er packt den Stein,

Als wollt er ihn zermalmen. Wie der fliegt![127]

Bis an die Wand! Nun, weiter kann er nicht.

Das ist ein Wurf, den keiner übertrifft,

Selbst für den einen Schuh ist nicht mehr Platz.

KRIEMHILD.

Der Recke holt sich doch den Stein noch wieder.

UTE.

Wozu nur? – Großer Gott, was gibt es jetzt?

Bricht über unserm Haupt die Burg zusammen?

Das dröhnt!

KRIEMHILD.

Bis in den Turm hinauf. Die Dohlen

Und Fledermäuse fahren aus den Nestern –

UTE.

Sie fliegen blind ins Licht hinein!

KRIEMHILD.

Die Wand

Hat einen Riß.

UTE.

Unmöglich.

KRIEMHILD.

Warte nur,

Bis sich der Staub verzieht. Groß, wie ein Fenster!

Da ging der Wurf hindurch.

UTE.

Jetzt seh ichs auch.

KRIEMHILD.

Der Stein flog in den Rhein.

UTE.

Wer sollt es glauben!

Und doch ists wahr, das Wasser selbst bezeugts,

Es spritzt ja himmelhoch empor.

KRIEMHILD.

Das ist

Noch etwas über einen Schuh.

UTE.

Dafür

Wischt er sich endlich auch einmal die Stirn.

Gott Lob! Sonst käm der Tronjer um vor Wut.

KRIEMHILD.

Nun ist es aus. Sie schütteln sich die Hände;

Dankwart und Volker kamen um ihr Recht.

UTE.

Komm, wir vergessen, es ist Messezeit.


Beide ab.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 2, München 1963, S. 123-128.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Nibelungen
Die Nibelungen
Dramen (Judith - Maria Magdalena - Gyges und sein Ring - Die Nibelungen)
Agnes Bernauer - Die Nibelungen - Deutsche Klassiker Bibliothek der literarischen Meisterwerke

Buchempfehlung

Mickiewicz, Adam

Pan Tadeusz oder Die letzte Fehde in Litauen

Pan Tadeusz oder Die letzte Fehde in Litauen

Pan Tadeusz erzählt die Geschichte des Dorfes Soplicowo im 1811 zwischen Russland, Preußen und Österreich geteilten Polen. Im Streit um ein Schloß verfeinden sich zwei Adelsgeschlechter und Pan Tadeusz verliebt sich in Zosia. Das Nationalepos von Pan Tadeusz ist Pflichtlektüre in Polens Schulen und gilt nach der Bibel noch heute als meistgelesenes Buch.

266 Seiten, 14.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon