[358] Kloster zu Wyksa.
ÄBTISSIN.
Wie ist Euch, Schwester Marfa?
MARFA.
Viel zu gut
Für meine Wünsche.
ÄBTISSIN.
Sündigt nicht!
MARFA.
Mein Glück
Ist bei den Toten. Soll ich mich nicht sehnen,
Den Toten nachzufolgen und mit ihnen
Zu teilen, was sie haben, ewge Ruhe
Und ungestörten Frieden? Auf der Erde
Ist nichts, was mich noch reizt, und legte man
Die Zaren-Krone wieder vor mich hin:
Ich höbe sie so wenig auf, wie du
Ein Spielzeug, das man dir als Kind entriß.
ÄBTISSIN.
Ist das dein Ernst?
MARFA.
Du fragst, weil du des Tages
Noch denkst, an welchem ich ins Kloster kam.
Ich selbst vergaß ihn nicht! Ich wehrte mich,
Wie der sich wehren mag, den man lebendig
Ins offne Grab hinunter stoßen will,
Und der dem Totengräber seinen Spaten,
Dem Priester selbst das heilge Kreuz entreißt
Und es als Waffe schwingt, um sich zu retten.
Das ist vorbei! Die Zeiten ändern sich
Und noch viel mehr die Menschen, und nur selten
Hebt man mit freudgem Lächeln wieder auf,
Was man mit bittren Tränen fallen ließ.
ÄBTISSIN.
Du hast dich langsam in dein Los gefunden,
Doch das ist wahr, du trägst es königlich.
MARFA.
Ich trags als Büßerin! Mein schweres Leid
Vergeß ich über meine schwere Schuld!
In dieser Stunde wünsch ich mir den Tod,
Doch in der nächsten wünsch ich, fortzuleben
Bis an den Jüngsten Tag, weil blutge Schemen
Sich zwischen mich und meinen Engel stellen,
Und rufen: Fort! Wir sind noch nicht versöhnt![359]
ÄBTISSIN.
Das sind die Flecken eines Diamanten,
Die letzten bangen Schauer einer Seele,
Die erst erwachen, wenn sie Gott dem Herrn
Sich ganz genaht in heiliger Erhebung,
Und er sich gnädig ihr entgegen beugt.
MARFA.
Nein, nein! Das sind die Qualen des Gewissens,
Die dunklen Schatten fürchterlicher Taten,
Die länger werden, weil der Abend kommt.
Erwidre nichts! Wie würdest du es tragen,
Wenn nur ein einzger Mord dich drückte:
Ich hab ein ganzes Blutbad hinter mir.
ÄBTISSIN.
Du warst die Zarin.
MARFA.
Ja, zu meinem Fluch!
Die Krone macht die Teufel, die den Menschen
Zu allem Bösen reizen, doppelt stark
Und doppelt schwach die Engel, die ihn warnen!
Weh mir, daß ich sie trug. Wär ich ein Weib,
Wie andere gewesen, eine Mutter,
Wie deine war, so würde ich mich selbst
Vielleicht zerfleischt, mich selbst getötet haben,
Jetzt – Herr vergib dem Kinde, das ein Messer
In Händen hielt, als du es züchtigtest,
Und das, anstatt zu flehen, um sich stach.
ÄBTISSIN.
Das hat er längst getan. Du hast nicht mehr
Gesündigt, als gelitten. Wenn du selbst
Dirs nicht zu sagen wagst in deiner Reue,
So hörs von mir und fasse dich. Wo ist
Die Mutter auf der ganzen weiten Erde,
Der solch ein Schwert noch durch die Seele ging,
Bis auf die eine, die am Kreuze stand!
MARFA.
O, das ist wahr! Fast unterm Kusse ward
Mein Engel mir gestohlen. Unterm Kuß?
Nein, unter dem Gebet! Indes ich ihn
Mit heißem Flehen dem Allmächtigen
Empfahl, zerschnitt ein Teufel ihm die Kehle,
Und als ich aus dem Tempel wiederkehrte,
Lag der als blutger Leichnam vor mir da,
Der noch mit Blumen mich beworfen hatte,[360]
Als ich hinein ging.
ÄBTISSIN.
Höre davon auf!
MARFA.
Nein, nein! Ich muß in dieser Wunde wühlen,
Weil mich die andre zu sehr brennt! Die Rache
War fürchterlich, die ich mir nahm, und noch
Ists ungewiß, ob auch ein einzger nur
Von allen schuldig war. Zehn Opfer fielen
Durch mich, von meiner raschen Wut verklagt,
Und von dem noch viel raschern Zorn des Volks
Dahin gestreckt, zweihundert durch den Zaren,
Weil sie für mich das Schwert gezückt, die Stadt
Ward ausgerottet, selbst die Kirchen wurden
Geschleift, und viele Tausend, jung und alt,
Ins Reich des ewgen Schnees verbannt, die Glocke
Voran, die sie auf mein Geschrei zusammen
Gerufen – Steig empor vor mir, mein Kind,
Doch nicht mit Palmen, nein, in Blut und Wunden,
Damit ich nicht verzweifeln muß!
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