Zehnte Szene

[429] MNICZEK tritt wieder ein.

Mein Fürst und Herr –

DEMETRIUS zu Barbara.

Ist das nicht wahr? Sie schweigt.

Ich weiß genug.

MNICZEK.

Machs endlich kurz mit ihr,

Die Stunde drängt.

DEMETRIUS.

Herr Woiwod, wen sucht

Ihr hier? Doch nicht den Zaren aller Reußen?

Den blies ein Hauch ins leere Nichts zurück,

Doch Euer Jäger wartet Eures Winks.

MNICZEK.

Was ist geschehn?

DEMETRIUS.

Der Morgen brach herein,

Die alte Frau dort stieß die Läden auf,

Und meine Maske leg ich wieder ab.

MNICZEK.

Was kann das sein?

DEMETRIUS indem er den Hermelin abwirft.

Schickt dies zum Fürsten Schuiskoi,

Ders auch am hellen Tage tragen darf,

Und fragt ihn gleich nach meiner Schuldigkeit.

MNICZEK dringt mit dem Degen auf Barbara ein.

Verfluchte Hexe!

DEMETRIUS.

Halt, Herr Woiwod,

Ich muß mich Euch noch einmal widersetzen.

Doch küß ich Euch nachher die Hand dafür,[429]

Denn seine Mutter schützt auch – solch ein Sohn!


Zu Barbara.


Kein Wort! Du bists! Du selbst! Und dies mein Dank!


Setzt sich und schlägt die Hände vors Gesicht.


MNICZEK lacht.

Das glaubst du? Weißt du noch nicht, wo wir sind?

Dies ist das Land, wo jeder sieben Zungen

Im Munde trägt und doch mit keiner einzgen

Die Wahrheit spricht! – So wär es dennoch so,

Wie alles munkelt? – Alte, auf ein Wort!

Nicht wahr, du lügst?

BARBARA.

Ich wollt, du hättest recht.

MNICZEK.

Sie haben dich gedungen!

BARBARA.

Großer Gott,

Wer hätte mehr zu bieten, als der Zar?

MNICZEK.

So wärst du wirklich –

BARBARA.

Ja, ich Ärmste bins.

MNICZEK.

Wie ist es aber möglich!

BARBARA.

Zarin Marfa

Und ich, wir kamen um die gleiche Stunde

Mit Knäblein nieder, sie im Prunkgemach,

Ich unterm Treppenhaus.

MNICZEK.

Und darauf hatte

Der Mönch gerechnet?

BARBARA.

Ja, für alle Fälle

War noch ein dritter Knabe da.

MNICZEK.

Und du?

BARBARA.

Anstatt den Prinzen selbst, wie ich versprochen,

Zu nehmen, stahl ich ihm bloß Kleid und Schmuck

Und stattete mein eignes damit aus,

Dann gab ich dieses hin.

MNICZEK.

Nur allzuwahr! – –

Und dann? Und dann?

BARBARA.

Ei nun, man ließ mich schwören,

Als mans, es war um Mitternacht, empfing,

Daß es der echte Sproß des Zaren sei.

Das konnt ich. Leider!

MNICZEK.

War der schlaue Mönch[430]

So leicht zu täuschen?

BARBARA.

Warum sollt er nicht?

Er kannte ja den Vater nicht, denn streng

Verhehlt ich den in meiner bösen Zeit,

Damit die arme Zarin nichts erfuhr,

Sie war mir viel zu lieb dazu.

MNICZEK.

Doch du –

Wie kamst denn du – zu deinem Argwohn erst

Und dann zu dieser List?

BARBARA.

Das Spiel des Mönchs

War nicht zu fein! Was er auch immer sprach

Von schlechtem Blut, und wie es nötig sei,

Ein frisches Reis auf Ruriks Stamm zu pfropfen,

Man merkte schon, warum sichs handelte.

Da dacht ich denn: Dein Sohn ist auch ein Prinz,

Wenn auch ein halber nur, und – fragt nicht mehr,

Genug, ich gönnte ihm ein beßres Los,

Als ihn erwartete, und gab ihn lieber

An diesen Mönch, als in das Findelhaus.

MNICZEK.

Du bist am Ziel und dachtest also gut,

Nur hast du heut dein eignes Werk zerstört,

Und wenn du nicht freiwillig widerrufst,

Ist alles aus.

BARBARA.

O Gott, wenns nur noch hilft.

MNICZEK.

Wache!

DEMETRIUS.

Für mich? Ich habs schon selbst gedacht.

MNICZEK.

Für dich? Der Spaß ist prächtig! Nein, mein Fürst,

Für diese abgefeimte Gaunerin.

Die Schuiskois haben sie hieher geschickt

Und ihr das saubre Märchen einstudiert,

Doch hat ihr Gott nicht Witz genug verliehn,

Es durchzuführen, und ich hab sie schon.

BARBARA kniet nieder.

So ists, großmächtger Zar.

DEMETRIUS.

Steh auf, steh auf!

Ihr täuscht mich nicht durch eure Gaukelei,

Dies war die erste Lüge, die du sprachst!


Mit starken Schritten.[431]


Was ists denn auch! Wer straft mich, daß ich nicht

Allwissend bin? Die Krone wuchs ja nicht

Mit meinem Haupt zusammen!


Mit einer Bewegung.


Rußland, nimm,

Was übrigbleibt, ist mein. Herr Woiwod,

Erzeigt Ihr mir noch einen letzten Dienst?

Ihr sagt, die Reichs-Bojaren harren draußen,

Ruft sie herein!

MNICZEK.

Was sinnst du?

DEMETRIUS.

Fühlt Ihrs nicht?


Zu Barbara.


Gib mir die Hand, und wenn die hohen Herren

Erscheinen, wirf dich auf die Knie, wie ich.

MNICZEK.

Du willst?

DEMETRIUS.

Zur guten Stunde sind sie da,

Ich stelle mich sogleich vor ihr Gericht,

Und wenn Unwissenheit entschuldgen kann,

So geht, der eingezogen als ein Zar,

Wohl noch als Jäger frei und frank zurück!

MNICZEK.

Du rasest!

DEMETRIUS.

Weil ich tu nach meiner Pflicht?

Nein, nein, ich raste, wenn ich zögerte.

Noch bin ich rein, noch drückt mich keine Schuld:

Vom Todesblock, an dem ich willig kniete,

Riß man mich an den Locken wieder auf

Und zeigte, hoch in goldenem Gewölk,

Mir diese Krone als mein Eigentum;

Es wäre feig gewesen, zu verzichten,

Als Iwans Sohn hatt ich ein Recht auf sie,

Ich griff nach ihr und zwang sie auch herab.

Jetzt seh ich, daß ich ein Betrogner bin,

Was bleibt mir übrig, als sie wegzuwerfen,

Wenn ich nicht auch Betrüger werden will?

Drum rasch, damit die Stunde nicht entflieht,

Die mir zu dieser Tat noch Freiheit läßt,

Dann spricht ein Feind, ein Schuiskoi selbst, mich los,

Ich aber steig auf ein Kosaken-Pferd[432]

Und reite heim, und bitte, da ich doch

Nicht wieder Vogelsteller werden kann,

Den Freund im roten Mantel um den Streich,

Den er mir wider Willen schuldig blieb.

MNICZEK.

Und ich? Und wir? Ich will nicht lange warnen,

Daß du auch hier den Henker finden kannst:

Dich lockts, mit Beifall aus der Welt zu gehn,

Und Beifall wird man klatschen, hier wie dort.

Doch ich? Und wir? Wir alle, die dir blind

Gefolgt sind in das unwirtbare Land,

Weil uns dein plötzlich aufgetauchtes Haupt

Erglänzte, wie ein neu entdeckter Stern,

Was wird mit uns? Soll ich mit meiner Tochter

Am Bettelstab zurück nach Polen wandern,

Ich in den Turm zu Ratten und zu Mäusen,

Sie auf den Markt als Karten-Königin?

Hast du den Mut, bloß um dich rein zu halten

Vom kleinsten Hauch, der Seelen trüben kann,

Die große Wechsel-Rechnung durchzustreichen,

Die uns verknüpft, und Lieb und Treu zu opfern,

Und glaubst du, daß du rein bleibst, wenn dus tust?

Der Himmel selbst ruht auf gespaltnen Kräften,

Die ganze Welt auf Stoß und Gegenstoß:

Denkst du, der Mensch ist davon ausgenommen?

Pflicht gegen Pflicht, das ist auch sein Gesetz!

Du sinnst, mein Sohn! Laß das Gespenst der Nacht

Und wende dich dem Leben wieder zu:

Du bist der Zar, denn du bist Iwans Sproß.

DEMETRIUS.

Ich hab sein Blut geerbt, doch nicht sein Recht!

O, könnt ich in den Mutterleib zurück.

MNICZEK.

Und wenns so wär – ich räum es nimmer ein –

Doch wenn – Was würde folgen? Bist du nicht

Der letzte Träger eines großen Stamms,

So sei der erste eines größeren.

Was hindert dich denn noch, ein neues Haus

Zu gründen, wenn das alte dich nicht deckt,

Und Vater eines stolzeren Geschlechts

Zu werden, als es Rurik jemals war?[433]

Erwerben ist unendlich mehr, als erben,

Und dem Erobrer beugt die Welt sich gern.

DEMETRIUS.

Glaubst du, ich bin zu stumpf, um das zu fühlen?

So tief, wie du, und tiefer! Aber triffts?

Im Donner-Wagen über Berg und Tal

Einher zu brausen im Kometen-Glanz

Und, wie der Fleisch gewordne Geist der Erde,

Der sie und alle ihre Heimlichkeiten

Genauer kennt, wie seinen eignen Leib,

Auf Straßen, wie das Wild sie kaum erspäht,

Mit rotem Siegerschwert von Stadt zu Stadt,

Von Land zu Land zu ziehn und ganz zuletzt

Sich nach der Himmelsleiter umzuschaun:

Ja, das ist groß, das ist so göttlich groß,

Daß die Bewundrung alles, selbst den Jammer

Des armen menschlichen Geschlechts erstickt,

Und daß das Opfer jauchzt, indem es fällt!

MNICZEK.

Nun denn!

DEMETRIUS.

Nun denn? Paßt dieses Bild auf mich?

Ritt ich den Blitz? Ich ritt ein Manifest,

Ich sprach mein Erbteil an, und mit dem Recht

Erlischt der Anspruch.

MNICZEK.

Aber nicht die Pflicht.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 2, München 1963, S. 429-434.
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