Wie wir's lieben ...

[21] Schon will der liebe Morgenschein,

indes die Vöglein singen,

Mir in die Kemenat' herein

mit süßem Lächeln springen.

Der du in diesem stillen Tal

mich oft geweckt am Morgen,

Sei mir gegrüßt, mein holder Strahl,

du lichter Tod der Sorgen!

Aufdringlich plagt die Finsternuß

verworrner Seelenkämpfe,

Und wie der Qualm Johannen Huß

umbraun mich Nebeldämpfe:

Die große Eitelkeit der Welt,

die Roheit, Dummheit, Lüge,

Und die mich stets am Grips noch hält,

der eignen Schwachheit Rüge;

Der Zweifel an berufner Kraft,

Mißtraun in stolze Sendung,[21]

Die ungestillte Leidenschaft,

die Sehnsucht nach Vollendung.

Ein ganzes Bündel von Ideen,

ein wunderbarer Krempel,

Ach, könnt' ich aus mir selber gehn,

ich schmiss' ihn aus dem Tempel.

Doch da ich mal Karl Henckell bin

und leider nicht Hans Meier,

So führ' ich meinen Extrasinn

und meine Extraleier.

So leb' ich in den Tag hinein

und liebe gute Leute

Und setze über Stock und Stein,

bellt hinterdrein die Meute.

Herrn Drill und Söhne lieb' ich nicht,

der Kaiser ist mir schnuppe,

Des tollsten Rackers Angesicht

ist schöner als 'ne Puppe.

Ja, lieber ist mir noch der Lump,

verreckend hinterm Zaune,

Der Kunde lebt auf Schicksals Pump

und tanzt nach seiner Laune,

Und wenn du recht natürlich hopst,

bist du mir zehnmal lieber,

Als wenn du dich in Fischbein stoppst,

das Zwangskorsett darüber ...[22]

Das Leben wird vom Tod erstickt,

drein wir uns selber schnüren,

Moral, sie heuchelt ihr Verdikt –

nur ja nicht daran rühren!

Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 1: Buch des Lebens, München 1921, S. 21-23.
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