Zweiter Abschnitt

[142] Doch ich tue keinen Sprung. Ich gebe dem Menschen nicht gleich plötzlich neue Kräfte, keine sprachschaffende Fähigkeit, wie eine willkürliche qualitas occulta. Ich suche nur in den vorherbemerkten Lücken und Mängeln weiter.

Lücken und Mängel können doch nicht der Charakter seiner Gattung sein: oder die Natur war gegen ihn die härteste Stiefmutter, da sie gegen jedes Insekt die liebreichste Mutter war. Jedem Insekt gab sie, was und wieviel es brauchte: Sinne zu Vorstellungen, und Vorstellungen in Triebe gediegen; Organe zur Sprache, soviel es bedorfte, und Organe, diese Sprache zu verstehen. Bei dem Menschen ist alles in dem größten Mißverhältnis – Sinne[142] und Bedürfnisse, Kräfte und Kreis der Würksamkeit, der auf ihn wartet, seine Organe und seine Sprache – Es muß uns also ein gewisses Mittelglied fehlen, die so abstehende Glieder der Verhältnis zu berechnen.

Fänden wir's: so wäre nach aller Analogie der Natur diese Schadloshaltung seine Eigenheit, der Charakter seines Geschlechts: und alle Vernunft und Billigkeit foderte, diesen Fund für das gelten zu lassen, was er ist, für Naturgabe, ihm so wesentlich als den Tieren der Instinkt.

Ja fänden wir eben in diesem Charakter die Ursache jener Mängel, und eben in der Mitte dieser Mängel, in der Hoble jener großen Entbehrung von Kunsttrieben den Keim zum Ersatze: so wäre diese Einstimmung ein genetischer Beweis, daß hier die wahre Richtung der Menschheit liege und daß die Menschengattung über den Tieren nicht an Stufen des Mehr oder Weniger stehe, sondern an Art.

Und fänden wir in diesem neugefundnen Charakter der Menschheit sogar den notwendigen genetischen Grund zu Entstehung einer Sprache für diese neue Art Geschöpfe, wie wir in den Instinkten der Tiere den unmittelbaren Grund zur Sprache für jede Gattung fanden: so sind wir ganz am Ziele. In dem Falle würde die Sprache dem Menschen so wesentlich, als – er ein Mensch ist. Man siehet, ich entwickle aus keinen willkürlichen oder gesellschaftlichen Kräften, sondern aus der allgemeinen tierischen Ökonomie.

Und nun folgt, daß wenn der Mensch Sinne hat, die für einen kleinen Fleck der Erde, für die Arbeit und den Genuß einer Weltspanne den Sinnen des Tiers, das in dieser Spanne lebet, nachstehen an Schärfe: so bekommen sie eben dadurch Vorzug der Freiheit; eben weil sie nicht für einen Punkt sind, so sind sie allgemeinere Sinne der Welt.

Wenn der Mensch Vorstellungskräfte hat, die nicht auf den Bau einer Honigzelle und eines Spinngewebes bezirkt sind und also auch den Kunstfähigkeiten der Tiere in diesem Kreise nachstehen: so bekommen sie eben damit weitere Aussicht. Er hat kein einziges Werk, bei dem er also auch unverbesserlich handle; aber er hat freien Raum, sich an vielem zu üben, mithin sich immer zu verbessern. Jeder Gedanke ist nicht ein unmittelbares Werk der Natur, aber eben damit kann's sein eigen Werk werden.

Wenn also hiermit der Instinkt wegfallen muß, der bloß aus der Organisation der Sinne und dem Bezirk der Vorstellungen folgte und keine blinde Determination war, so bekommt eben[143] hiemit der Mensch mehrere Helle. Da er auf keinen Punkt blind fällt und blind liegenbleibt: so wird er freistehend, kann sich eine Sphäre der Bespiegelung suchen, kann sich in sich bespiegeln. Nicht mehr eine unfehlbare Maschine in den Händen der Natur, wird er sich selbst Zweck und Ziel der Bearbeitung.

Man nenne diese ganze Disposition seiner Kräfte, wie man wolle. Verstand, Vernunft, Besinnung usw. Wenn man diese Namen nicht für abgesonderte Kräfte oder für bloße Stufenerhöhungen der Tierkräfte annimmt: so gilt's mir gleich. Es ist die ganze Einrichtung aller menschlichen Kräfte; die ganze Haushaltung seiner sinnlichen und erkennenden, seiner erkennenden und wollenden Natur; oder vielmehr – Es ist die einzige positive Kraft des Denkens, die, mit einer gewissen Organisation des Körpers verbunden, bei den Menschen so Vernunft beißt, wie sie bei den Tieren Kunstfähigkeit wird: die bei ihm Freiheit beißt und bei den Tieren Instinkt wird. Der Unterschied ist nicht in Stufen oder Zugabe von Kräften, sondern in einer ganz verschiedenartigen Achtung und Auswickelung aller Kräfte. Man sei Leibnizianer oder Lockianer, Search oder Knowall11, Idealist oder Materialist, so muß man bei einem Einverständnis über die Worte, zufolge des Vorigen, die Sache zugeben, einen eignen Charakter der Menschheit, der hierin und in nichts anders bestehet.

Alle die dagegen Schwürigkeit gemacht, sind durch falsche Vorstellungen und unaufgeräumte Begriffe hintergangen. Man hat sich die Vernunft des Menschen als eine neue, ganz abgetrennte Kraft in die Seele hineingedacht, die dem Menschen als eine Zugabe vor allen Tieren zu eigen geworden und die also auch, wie die vierte Stufe einer Leiter nach den drei untersten, allein betrachtet werden müsse; und das ist freilich, es mögen es so große Philosophen sagen, als da wollen, philosophischer Unsinn. Alle Kräfte unsrer und der Tierseelen sind nichts als metaphysische Abstraktionen, Würkungen! sie werden abgeteilt, weil sie von unserm schwachen Geiste nicht auf einmal betrachtet werden konnten: sie stehen in Kapiteln, nicht, weil sie so kapitelweise in der Natur würkten, sondern ein Lehrling sie sich vielleicht so am besten entwickelt. Daß wir gewisse ihrer Verrichtungen unter gewisse Hauptnamen gebracht haben z. E. Witz, Scharfsinn, Phantasie, Vernunft, ist nicht, als wenn je eine einzige Handlung des Geistes möglich wäre, wo der Witz[144] oder die Vernunft allein würkt: sondern nur, weil wir in dieser Handlung am meisten von der Abstraktion entdecken, die wir Witz oder Vernunft nennen, z. E. Vergleichung oder Deutlichmachung der Ideen: überall aber würkt die ganze unabgeteilte Seele. Konnte ein Mensch je eine einzige Handlung tun, bei der er völlig wie ein Tier dachte: so ist er auch durchaus kein Mensch mehr, gar keiner menschlichen Handlung mehr fähig. War er einen einzigen Augenblick ohne Vernunft: so sähe ich nicht, wie er je in seinem Leben mit Vernunft denken könne: oder seine ganze Seele, die ganze Haushaltung seiner Natur ward geändert.

Nach richtigern Begriffen ist die Vernunftmäßigkeit des Menschen, der Charakter seiner Gattung, etwas anders, nämlich, die gänzliche Bestimmung seiner denkenden Kraft im Verhältnis seiner Sinnlichkeit und Triebe. Und da konnte es, alle vorigen Analogien zu Hülfe genommen, nichts anders sein, als daß –

wenn der Mensch Triebe der Tiere hätte, er das nicht haben könnte, was wir jetzt Vernunft in ihm nennen; denn eben diese Triebe rissen ja seine Kräfte so dunkel auf einen Punkt hin, daß ihm kein freier Besinnungskreis ward. Es mußte sein, daß –

wenn der Mensch Sinne der Tiere, er keine Vernunft hätte; denn eben die starke Reizbarkeit seiner Sinne, eben die durch sie mächtig andringenden Vorstellungen müßten alle kalte Besonnenheit ersticken. Aber umgekehrt mußte es auch nach ebendiesen Verbindungsgesetzen der haushaltenden Natur sein, daß –

wenn tierische Sinnlichkeit und Eingeschlossenheit auf einen Punkt wegfiele: so wurde ein ander Geschöpf, dessen positive Kraft sich in größerm Raume, nach feinerer Organisation, heller, äußerte: das abgetrennt und frei nicht bloß erkennet, will und würkt, sondern auch weiß, daß es erkenne, wolle und würke. Dies Geschöpf ist der Mensch und diese ganze Disposition seiner Natur wollen wir, um den Verwirrungen mit eignen Vernunftkräften usw. zu entkommen, Besonnenheit nennen. Es folgt also nach eben diesen Verbindungsregeln, da alle die Wörter Sinnlichkeit und Instinkt, Phantasie und Vernunft doch nur Bestimmungen einer einzigen Kraft sind, wo Entgegensetzungen einander aufheben, daß –

wenn der Mensch kein instinktmäßiges Tier sein sollte, er vermöge der freier würkenden positiven Kraft seiner Seele ein besonnenes Geschöpf sein mußte. – – – Wenn ich die Kette dieser Schlüsse noch[145] einige Schritte weiter ziehe, so bekomme ich damit vor künftigen Einwendungen einen den Weg sehr kürzenden Vorsprung.

Ist nämlich die Vernunft keine abgeteilte, einzelnwürkende Kraft, sondern eine seiner Gattung eigne Richtung aller Kräfte: so muß der Mensch sie im ersten Zustande haben, da er Mensch ist. Im ersten Gedanken des Kindes muß sich diese Besonnenheit zeigen, wie bei dem Insekt, daß es Insekt war. – – Das hat nun mehr als ein Schriftsteller nicht begreifen können, und daher ist die Materie, über die ich schreibe, mit den rohesten, ekelhaftesten Einwürfen angefüllet – aber sie konnten es nicht begreifen, weil sie es mißverstanden. Heißt denn vernünftig denken, mit ausgebildeter Vernunft denken? heißt's, der Säugling denke mit Besonnenheit, er räsoniere wie ein Sophist auf seinem Katheder oder der Staatsmann, in seinem Kabinett? Glücklich und dreimal glücklich, daß er von diesem ermattenden Wust von Vernünfteleien noch nichts wußte! Aber siehet man denn nicht, daß dieser Einwurf bloß einen so und nicht anders, einen mehr oder minder gebildeten Gebrauch der Seelenkräfte, und durchaus kein Positives einer Seelenkraft selbst leugne? und welcher Tor wird da behaupten, daß der Mensch im ersten Augenblick des Lebens so denke wie nach einer vieljährigen Übung – es sei denn, daß man zugleich das Wachstum aller Seelenkräfte leugne und sich eben damit selbst für einen Unmündigen bekenne? – So wie doch aber dies Wachstum in der Welt nichts bedeuten kann als einen leichtern, stärkern, vielfachern Gebrauch; muß denn das nicht schon da sein, was gebraucht werden? muß es nicht schon Keim sein, was da wachsen soll? und ist also nicht im Keime der ganze Baum enthalten? – Sowenig das Kind Klauen wie ein Greif und eine Löwenmähne hat: sowenig kann es, wie Greif und Löwe, denken; denkt es aber menschlich, so ist Besonnenheit, das ist die Mäßigung aller seiner Kräfte auf diese Hauptrichtung, schon so im ersten Augenblicke sein Los, wie sie es im letzten sein wird. Die Vernunft äußert sich unter seiner Sinnlichkeit schon so würklich, daß der Allwissende, der diese Seele schuf, in ihrem ersten Zustande schon das ganze Gewebe von Handlungen des Lebens sähe, wie etwa der Meßkünstler nach gegebner Klasse aus einem Gliede der Progression das ganze Verhältnis derselben findet.

»Aber so war doch diese Vernunft damals mehr Vernunftfähigkeit (réflexion en puissance) als würkliche Kraft?« Die Ausnahme sagt kein Wort. Bloße, nackte Fähigkeit, die auch[146] ohne vorliegendes Hindernis keine Kraft, nichts als Fähigkeit sei, ist so ein tauber Schall als plastische Formen, die da formen, aber selbst keine Formen sind. Ist mit der Fähigkeit nicht das geringste Positive zu einer Tendenz da: so ist nichts da – so ist das Wort bloß Abstraktion der Schule. Der neuere französische Philosoph12, der diese réflexion en puissance, diesen Scheinbegriff so blendend gemacht, hat, wie wir sehen werden, immer nur eine Luftblase blendend gemacht, die er eine Zeitlang vor sich hertreibt, die ihm selbst aber unvermutet auf seinem Wege zerspringt. Und ist in der Fähigkeit nichts da, wodurch soll es denn je in die Seele kommen? ist im ersten Zustande nichts Positives von Vernunft in der Seele, wie wird's bei Millionen der folgenden Zustände würklich werden? Es ist Worttrug, daß der Gebrauch eine Fähigkeit in Kraft, etwas bloß Mögliches in ein Würkliches verwandeln könne: ist nicht schon Kraft da, so kann sie ja nicht gebraucht und angewandt werden. Zudem endlich, was ist beides, eine abgetrennte Vernunftfähigkeit und Vernunftkraft in der Seele? Eines ist so unverständlich als das andre. Setzet den Menschen, als das Wesen, was er ist, mit dem Grade von Sinnlichkeit, und der Organisation ins Universum: von allen Seiten, durch alle Sinne strömt dies in Empfindungen auf ihn los; durch menschliche Sinne? auf menschliche Weise? so wird also, mit den Tieren verglichen, dies denkende Wesen weniger überströmt? Es hat Raum, seine Kraft freier zu äußern? und dieses Verhältnis heißt Vernunftmäßigkeit – wo ist da bloße Fähigkeit? wo abgesonderte Vernunftkraft? Es ist die positive einzige Kraft der Seele, die in solcher Anlage würket – mehr sinnlich, so weniger vernünftig; vernünftiger, so minder lebhaft, heller, so minder dunkel – das versteht sich ja alles! Aber der sinnlichste Zustand des Menschen war noch menschlich, und also würkte in ihm noch immer Besonnenheit, nur im minder merklichen Grade; und der am wenigsten sinnliche Zustand der Tiere war noch tierisch, und also würkte bei aller Klarheit ihrer Gedanken nie Besonnenheit eines menschlichen Begriffs. Und weiter lasset uns nicht mit Worten spielen! –

Es tut mir leid, daß ich so viele Zeit verloren habe, erst bloße Begriffe zu bestimmen und zu ordnen; allein der Verlust war nötig, da dieser ganze Teil der Psychologie in den neuem Zeiten so jämmerlich verwüstet daliegt: da französische Philosophen[147] über einige anscheinende Sonderbarkeiten in der tierischen und menschlichen Natur alles so über- und untereinander geworfen und deutsche Philosophen die meisten Begriffe dieser Art mehr für ihr System, und nach ihrem Sehepunkt, als darnach ordnen, damit sie Verwirrungen im Sehepunkt der gewöhnlichen Denkart vermeiden. Ich habe auch mit diesem Aufräumen der Begriffe keinen Umweg genommen: sondern wir sind mit einemmal am Ziele! Nämlich:

Der Mensch, in den Zustand von Besonnenheit gesetzt, der ihm eigen ist, und diese Besonnenheit (Reflexion) zum erstenmal frei würkend, hat Sprache erfunden. Denn was ist Reflexion? was ist Sprache?

Diese Besonnenheit ist ihm charakteristisch eigen, und seiner Gattung wesentlich: so auch Sprache und eigne Erfindung der Sprache.

Erfindung der Sprache ist ihm also so natürlich, als er ein Mensch ist! Lasset uns nur beide Begriffe entwickeln! Reflexion und Sprache –

Der Mensch beweiset Reflexion, wenn die Kraft seiner Seele so frei würket, daß sie in dem ganzen Ozean von Empfindungen, der sie durch, alle Sinnen durchrauschet, eine Welle, wenn ich so sagen darf, absondern, sie anhalten, die Aufmerksamkeit auf sie richten und sich bewußt sein kann, daß sie aufmerke. Er beweiset Reflexion, wenn er aus dem ganzen schwebenden Traum der Bilder, die seine Sinne vorbeistreichen, sich in ein Moment des Wachens sammlen, auf einem Bilde freiwillig verweilen, es in helle, ruhigere Obacht nehmen und sich Merkmale absondern kann, daß dies der Gegenstand und kein andrer sei. Er beweiset also Reflexion, wenn er nicht bloß alle Eigenschaften lebhaft oder klar erkennen, sondern eine oder mehrere als unterscheidende Eigenschaften bei sich anerkennen kann: der erste Aktus dieser Anerkenntnis13 gibt deutlichen Begriff; es ist das erste Urteil der Seele – und –

wodurch geschahe die Anerkennung? Durch ein Merkmal, was er absondern, mußte und was, als Merkmal der Besinnung, deutlich in ihn fiel. Wohlan! lasset uns ihm das εύρηκα zurufen! Dies erste Merkmal der Besinnung war Wort der Seele! Mit ihm ist die menschliche Sprache erfunden![148] Lasset jenes Lamm, als Bild, sein Auge vorbeigehn: ihm wie keinem andern Tiere. Nicht wie dem hungrigen, witternden Wolfe! nicht wie dem blutleckenden Löwen – die wittern und schmecken schon im Geiste! die Sinnlichkeit hat sie überwältigt! der Instinkt wirft sie darüber her! – Nicht wie dem brünstigen Schafmanne, der es nur als den Gegenstand seines Genusses fühlt, den also wieder die Sinnlichkeit überwältigt und der Instinkt darüber herwirft! – Nicht wie jedem andern Tier, dem das Schaf gleichgültig ist, das es also klar-dunkel vorbeistreichen läßt, weil ihn sein Instinkt auf etwas anders wendet! – Nicht so dem Menschen! Sobald er in die Bedürfnis kommt, das Schaf kennenzulernen: so störet ihn kein Instinkt: so reißt ihn kein Sinn auf dasselbe zu nahe hin oder davon ab: es steht da, ganz wie es sich seinen Sinnen äußert. Weiß, sanft, wollicht – seine besonnen sich übende Seele sucht ein Merkmal, – das Schaf blöket! sie hat Merkmal gefunden. Der innere Sinn würket. Dies Blöken, das ihr am stärksten Eindruck macht, das sich von allen andern Eigenschaften des Beschauens und Betastens losriß, hervorsprang, am tiefsten eindrang, bleibt ihr. Das Schaf kommt wieder. Weiß, sanft, wollicht – sie sieht, tastet, besinnet sich, sucht Merkmal – es blökt, und nun erkennet sie's wieder! »Hai du bist das Blökende!« fühlt sie innerlich, sie hat es menschlich erkannt, da sie's deutlich, das ist, mit einem Merkmal erkennet und nennet. Dunkler? so wäre es ihr gar nicht wahrgenommen, weil keine Sinnlichkeit, kein Instinkt zum Schafe ihr den Mangel des Deutlichen durch ein lebhafteres Klare ersetzte. Deutlich unmittelbar, ohne Merkmal? so kann kein sinnliches Geschöpf außer sich empfinden: da es immer andre Gefühle unterdrücken, gleichsam vernichten, und immer den Unterschied von Zween durch ein Drittes erkennen muß. Mit einem Merkmal also? und was war das anders, als ein innerliches Merkwort! Der Schall des Blökens, von einer menschlichen Seele als Kennzeichen des Schafs wahrgenommen, ward, Kraft dieser Besinnung, Name des Schafs, und wenn ihn nie seine Zunge zu stammeln versucht hätte. Er erkannte das Schaf am Blöken: es war gefaßtes Zeichen, bei welchem sich die Seele an eine Idee deutlich besann – was ist das anders als Wort? und was ist die ganze menschliche Sprache als eine Sammlung solcher Worte? Käme er also auch nie in den Fall, einem andern Geschöpf diese Idee zu geben und also dies Merkmal der Besinnung ihm mit den Lippen vorblöken zu wollen oder zu können;[149] seine Seele hat gleichsam in ihrem Inwendigen geblökt, da sie diesen Schall zum Erinnerungszeichen wählte, und wiedergeblökt, da sie ihn daran erkannte – die Sprache ist erfunden! ebenso natürlich und dem Menschen notwendig erfunden, als der Mensch ein Mensch war.

Die meisten, die über den Ursprung der Sprache geschrieben, haben ihn nicht da, auf dem einzigen Punkt gesucht, wo er gefunden werden konnte; und vielen haben also so viel dunkle Zweifel vorgeschwebt: ob er irgendwo in der menschlichen Seele zu finden sei? Man hat ihn in der bessern Artikulation der Sprachwerkzeuge gesucht; als ob je ein Orang-Utan mit ebenden Werkzeugen eine Sprache erfunden hätte? Man hat ihn in den Schällen der Leidenschaft gesucht; als ob nicht alle Tiere diese Schälle besäßen, und irgendein Tier aus ihnen Sprache erfunden hätte? Man hat ein Prinzipium angenommen, die Natur und also auch ihre Schälle nachzuahmen; als wenn sich bei einer solchen blinden Neigung was gedenken ließe? und als wenn der Affe mit eben dieser Neigung, die Amsel, die die Schälle so gut nachäffen kann, eine Sprache erfunden hätten? Die meisten endlich haben eine bloße Konvention, einen Einvertrag, angenommen, und dagegen hat Rousseau am stärksten geredet; denn was ist's auch für ein dunkles, verwickeltes Wort, ein natürlicher Einvertrag der Sprache? Diese so vielfache, unerträgliche Falschheiten, die über den menschlichen Ursprung der Sprache gesagt worden, haben endlich die gegenseitige Meinung beinahe allgemein gemacht – ich hoffe nicht, daß sie es bleiben werde. Hier ist es keine Organisation des Mundes, die die Sprache machet: denn auch der zeitlebens Stumme, war er Mensch, besann er sich: so lag Sprache in seiner Seele! Hier ist's kein Geschrei der Empfindung: denn nicht eine atmende Maschine, sondern ein besinnendes Geschöpf erfand Sprache! Kein Prinzipium der Nachahmung in der Seele; die etwanige Nachahmung der Natur ist bloß ein Mittel zu einem und dem einzigen Zweck, der hier erklärt werden soll. Am wenigsten ist's Einverständnis, willkürliche Konvention der Gesellschaft; der Wilde, der Einsame im Walde hätte Sprache für sich selbst erfinden müssen; hätte er sie auch nie geredet. Sie war Einverständnis seiner Seele mit sich und ein so notwendiges Einverständnis, als der Mensch Mensch war. Wenn's andern unbegreiflich war, wie eine menschliche Seele hat Sprache erfinden können, so ist's mir unbegreiflich, wie eine menschliche Seele, was[150] sie ist, sein konnte, ohne eben dadurch, schon ohne Mund und Gesellschaft, sich Sprache erfinden zu müssen.

Nichts wird diesen Ursprung deutlicher entwickeln als die Einwürfe der Gegner. Der gründlichste, der ausführlichste Verteidiger des göttlichen Ursprunges der Sprache14 wird, eben weil er durch die Oberfläche drang, die nur die andern berühren, fast ein Verteidiger des wahren menschlichen Ursprungs. Er ist unmittelbar am Rande des Beweises stehengeblieben; und sein Haupteinwurf, bloß etwas richtiger erkläret, wird Einwurf gegen ihn selbst und Beweis von seinem Gegenteile, der Menschenmöglichkeit der Sprache. Er will bewiesen haben, »daß der Gebrauch der Sprache zum Gebrauch der Vernunft notwendig sei!« Hätte er das, so wüßte ich nicht, was anders damit bewiesen wäre, »als daß, da der Gebrauch der Vernunft dem Menschen natürlich sei, der Gebrauch der Sprache es ebenso sein müßte!« Zum Unglück aber hat er seinen Satz nicht bewiesen. Er hat bloß mit vieler Mühe dargetan, daß so viel feine, verflochtne Handlungen, als Aufmerksamkeit, Reflexion, Abstraktion usw., nicht füglich ohne Zeichen geschehen können, auf die sich die Seele stütze; allein dies nicht füglich, nicht leicht, nicht wahrscheinlich erschöpfet noch nichts. So wie wir mit wenigen Abstraktionskräften nur wenige Abstraktion ohne sinnliche Zeichen denken können: so können andre Wesen mehr darohne denken; wenigstens folgt daraus noch gar nicht, daß an sich selbst keine Abstraktion ohne sinnliches Zeichen möglich sei. Ich habe erwiesen, daß der Gebrauch der Vernunft nicht etwa bloß füglich, sondern daß nicht der mindeste Gebrauch der Vernunft, nicht die einfachste, deutliche Anerkennung, nicht das simpelste Urteil einer menschlichen Besonnenheit ohne Merkmal möglich sei: denn der Unterschied von Zween läßt sich nur immer durch ein Drittes erkennen. Eben dies Dritte, dies Merkmal, wird mithin inneres Merkwort: also folgt die Sprache aus dem ersten Aktus der Vernunft ganz natürlich. – Herr Süßmilch will dartun15, daß die höhern Anwendungen der Vernunft nicht ohne Sprache vor sich gehen könnten, und führt dazu Wolffs Worte an, der aber auch nur von diesem Falle in Wahrscheinlichkeiten redet. Der Fall tut eigentlich nichts zur Sache: denn die höhern Anwendungen der Vernunft, wie sie in den spekulativen Wissenschaften Platz finden, waren ja nicht zu[151] dem ersten Grundstein der Sprachenlegung nöthig – Und doch ist auch dieser leicht zu erweisende Satz von Hr. S. nur erläutert; da ich erwiesen zu haben glaube, daß selbst die erste, niedrigste Anwendung der Vernunft nicht ohne Sprache geschehen konnte. Allein wenn er nun folgert: kein Mensch kann sich selbst Sprache erfunden haben, weil schon zur Erfindung der Sprache Vernunft gehöret, folglich schon Sprache hätte dasein müssen, ehe sie da war: so halte ich den ewigen Kreisel an, besehe ihn recht, und nun sagt er ganz was anders: ratio et oratio! Wenn keine Vernunft dem Menschen ohne Sprache möglich war: wohl! so ist die Erfindung dieser dem Menschen so natürlich, so alt, so ursprünglich, so charakteristisch, als der Gebrauch jener.

Ich habe Süßmilchs Schlußart einen ewigen Kreisel genannt: denn ich kann ihn ja ebensowohl gegen ihn, als er gegen mich drehen: und das Ding kreiselt immer fort. Ohne Sprache hat der Mensch keine Vernunft, und ohne Vernunft keine Sprache. Ohne Sprache und Vernunft ist er keines göttlichen Unterrichts fähig; und ohne göttlichen Unterricht hat er doch keine Vernunft und Sprache – wo kommen wir da je hin? Wie kann der Mensch durch göttlichen Unterricht Sprache lernen, wenn er keine Vernunft hat? und er hat ja nicht den mindsten Gebrauch der Vernunft ohne Sprache. Er soll also Sprache haben, ehe er sie hat und haben kann? oder vernünftig werden können ohne den mindesten eignen Gebrauch der Vernunft? Um der ersten Silbe im göttlichen Unterricht fähig zu sein, mußte er ja, wie Hr. Süßmilch selbst zugibt, ein Mensch sein, das ist, deutlich denken können, und bei dem ersten deutlichen Gedanken war schon Sprache in seiner Seele da, sie war also aus eignen Mitteln und nicht durch göttlichen Unterricht erfunden. – – Ich weiß wohl, was man bei diesem göttlichen Unterricht meistens im Sinne hat, nämlich den Sprachunterricht der Eltern an die Kinder; allein man besinne sich, daß das hier gar nicht der Fall ist. Eltern lehren die Kinder nie Sprache, ohne daß diese nicht immer selbst mit erfänden: jene machen diese nur auf Unterschiede der Sachen, mittelst gewisser Wortzeichen, aufmerksam, und so ersetzen sie ihnen nicht etwa, sondern erleichtern und befördern ihnen nur den Gebrauch der Vernunft durch die Sprache. Will man solche übernatürliche Erleichterung aus andern Gründen annehmen: so geht das meinen Zweck nichts an; nur alsdenn hat Gott durchaus für die Menschen keine Sprache erfunden,[152] sondern diese haben immer noch mit Würkung eigner Kräfte, nur unter höherer Veranstaltung, sich ihre Sprache finden müssen. Um das erste Wort als Wort, d.i. als Merkzeichen der Vernunft auch aus dem Munde Gottes empfangen zu können, war Vernunft nötig, und der Mensch mußte dieselbe Besinnung anwenden, dies Wort, als Wort, zu verstehen, als hätte er's ursprünglich ersonnen. Alsdenn fechten alle Waffen meines Gegners gegen ihn selbst; er mußte würklichen Gebrauch der Vernunft haben, um göttliche Sprache zu lernen: den hat immer ein lernendes Kind auch, wenn es nicht wie ein Papagei bloß Worte ohne Gedanken sagen soll – was wären aber das für würdige Schüler Gottes, die so lernten? – Und wenn die ewig so gelernt hätten, wo hätten wir denn unsre Vernunftsprache her?

Ich schmeichle mir, daß wenn mein würdiger Gegner noch lebte, er einsähe, daß sein Einwurf, etwas mehr bestimmt, selbst der stärkste Beweis gegen ihn werde und daß er also unwissend in seinem Buche selbst Materialien zu seiner Widerlegung zusammengetragen. Er würde sich nicht hinter das Wort »Vernunftfähigkeit, die aber noch nicht im mindsten Vernunft ist« verstecken: denn man kehre, wie man wolle, so werden Widersprüche! Ein vernünftiges Geschöpf ohne den mindsten Gebrauch der Vernunft; oder ein Vernunft gebrauchendes Geschöpf ohne – Sprache! Ein vernunftloses Geschöpf, dem Unterricht Vernunft geben kann; oder ein unterrichtfähiges Geschöpf, was doch ohne Vernunft ist! Ein Wesen ohne den mindsten Gebrauch der Vernunft; – und doch Mensch! Ein Wesen, das seine Vernunft aus natürlichen Kräften nicht brauchen konnte, und doch beim übernatürlichen Unterricht natürlich brauchen lernte! Eine menschliche Sprache, die gar nicht menschlich war, d.i. die durch keine menschliche Kraft entstehen konnte; und eine Sprache, die doch so menschlich ist, daß sich ohne sie keine seiner eigentlichen Kräfte äußern kann! Ein Ding, ohne das er nicht Mensch war, und doch ein Zustand, da er Mensch war und das Ding nicht hatte, das also da war, ehe es da war, sich äußern mußte, ehe es sich äußern konnte usw. – – alle diese Widersprüche sind offenbar, wenn Mensch, Vernunft und Sprache für das Würkliche genommen werden, was sie sind, und das Gespenst von Worte »Fähigkeit« (Menschenfähigkeit, Vernunftfähigkeit, Sprachfähigkeit) in seinem Unsinn entlarvt wird.[153]

»Aber die wilden Menschenkinder unter den Bären, hatten die Sprache? und waren sie nicht Menschen?«16 Allerdings! nur zuerst Menschen in einem widernatürlichen Zustande! Menschen in Verartung! Legt den Stein auf diese Pflanze; wird sie nicht krumm wachsen? und ist sie nicht demungeachtet ihrer Natur nach eine aufschießende Pflanze? und hat sich diese geradschießende Kraft nicht selbst da geäußert, da sie sich dem Steine krumm umschlang? Also zweitens, selbst die Möglichkeit dieser Verartung zeigt menschliche Natur. Eben weil der Mensch keine so hinreißende Instinkte hat als die Tiere: weil er zu so mancherlei und zu allem schwächer fähig – kurz! weil er Mensch ist: so konnte er Verarten. Würde er wohl so bärähnlich haben brummen und so bärähnlich haben kriechen lernen, wenn er nicht gelenksame Organe, wenn er nicht gelenksame Glieder gehabt hätte? Würde jedes andre Tier, ein Affe und Esel es so weit gebracht haben? Würkte also nicht würklich seine menschliche Natur dazu, daß er so unnatürlich werden konnte? Aber drittens blieb sie deswegen noch immer menschliche Natur: denn brummte, kroch, fraß, witterte er völlig wie ein Bär? oder wäre er nicht ewig ein strauchelnder, stammlender Menschenbär und also ein unvollkommenes Doppelgeschöpf geblieben? Sowenig sich nun seine Haut und sein Antlitz, seine Füße und seine Zunge in völlige Bärengestalt ändern und wandeln konnten: sowenig, lasset uns nimmer zweifeln! konnte es die Natur seiner Seele. Seine Vernunft lag unter dem Druck der Sinnlichkeit, der bärartigen Instinkte begraben: aber sie war noch immer menschliche Vernunft, weil jene Instinkte nimmer völlig bärmäßig waren. Und daß das so gewesen, zeugt ja endlich die Entwicklung der ganzen Szene. Als die Hindernisse weggewälzet, als diese Bärmenschen zu ihrem Geschlecht zurückgekehrt waren, lernten sie nicht natürlicher aufrechtgehen und sprechen, als sie dort, immer unnatürlich, kriechen und brummen gelernt hatten? Dies konnten sie immer nur bärähnlich, jenes lernten sie in weniger Zeit ganz menschlich. Welcher ihrer vorigen Mitbrüder des Waldes lernte das mit ihnen? Und weil es kein Bär lernen konnte, weil er nicht Anlage des Körpers und der Seele dazu besaß, mußte der Menschenbär diese nicht noch immer im Zustande seiner Verwilderung erhalten haben? Hätte sie ihm bloß Unterricht und Gewohnheit gegeben, warum nicht dem Bären? Und was hieße es doch, jemand durch Unterricht[154] Vernunft und Menschlichkeit geben, der sie nicht schon hat? Vermutlich hat alsdenn diese Nadel dem Auge die Sehkraft gegeben, dem sie die Starhaut wegschaffet – Was wollen wir also aus dem unnatürlichsten Falle von der Natur schließen? Gestehen wir aber ein, daß er ein unnatürlicher Fall sei – wohl! so bestätigt er die Natur!

Die ganze Rousseausche Hypothese von Ungleichheit der Menschen ist, bekannterweise, auf solche Fälle der Abartung gebauet, und seine Zweifel gegen die Menschlichkeit der Sprache betreffen entweder falsche Ursprungsarten oder die beregte Schwürigkeit, daß schon Vernunft zur Spracherfindung gehört hätte. Im ersten Fall haben sie recht; im zweiten sind sie widerlegt und lassen sich ja aus Rousseaus Munde selbst wiederlegen. Sein Phantom, der Naturmensch, dieses entartete Geschöpf, das er auf der einen Seite mit der Vernunftfähigkeit abspeiset, wird auf der andern mit der Perfektibilität, und zwar mit ihr als Charaktereigenschaft, und zwar mit ihr in so hohem Grade belehnet, daß er dadurch von allen Tiergattungen lernen könne – und was hat nun Rousseau ihm nicht zugestanden! Mehr, als wir wollen und brauchen! Der erste Gedanke »siehe! das ist dem Tier eigen! der Wolf heult! der Bär brummt!« – schon der ist (in einem solchen Lichte gedacht, daß er sich mit dem zweiten verbinden könnte »Das habe ich nicht!«) würkliche Reflexion; und nun der dritte und vierte »Wohl! das wäre auch meiner Natur gemäß! das könnte ich nachahmen! das will ich nachahmen! dadurch wird mein Geschlecht vollkommner!«, welche Menge von feinen, fortschließenden Reflexionen! da das Geschöpf, das nur die erste sich auseinandersetzen konnte, schon Sprache der Seele haben mußte! schon die Kunst zu denken besaß, die die Kunst zu sprechen schuf. Der Affe äffet immer nach, aber nachgeahmt hat er nie: nie mit Besonnenheit zu sich gesprochen: »Das will ich nachahmen, um mein Geschlecht vollkommner zu machen!«, denn hätte er das je, hätte er eine einzige Nachahmung sich zu eigen gemacht, sie in seinem Geschlecht mit Wahl und Absicht verewigt, hätte er auch nur ein einziges Mal eine einzige solche Reflexion denken können – denselben Augenblick war er kein Affe mehr! In aller seiner Affengestalt, ohne einen Laut seiner Zunge war er inwendig sprechender Mensch, der sich über kurz oder lang seine äußerliche Sprache erfinden mußte – welcher Orang-Utan aber hat je mit allen menschlichen[155] Sprachwerkzeugen ein einziges menschliches Wort gesprochen?

Es gibt freilich noch Negerbrüder in Europa, die da sagen: »ja vielleicht – wenn er nur sprechen wolltet – oder in Umstände käme! – oder könnte!« – – Könnte! das wäre wohl das beste, denn die beiden vorigen Wenn sind durch die Tiergeschichte gnugsam widerlegt; und durch die Werkzeuge wird, wie gesagt, bei ihm das Können nicht aufgehalten! Er hat einen Kopf von außen und innen wie wir; hat er aber je geredet? Papagei und Star haben gnug menschliche Schälle gelernet; aber auch ein menschliches Wort gedacht? – Überhaupt gehen uns hier noch die äußern Schälle der Worte nicht an; wir reden von der innern, notwendigen Genesis eines Worts, als das Merkmal einer deutlichen Besinnung – wenn aber hat das je eine Tierart, auf welche Weise es sei, geäußert? Abgemerkt müßte dieser Faden der Gedanken, dieser Diskurs der Seele immer werden können, er äußere sich, wie er wolle, wer hat das aber je? Der Fuchs hat tausendmal so gehandelt, als ihn Äsop handeln läßt; er hat aber nie in Äsops Sinne gehandelt, und das erstemal, daß er das kann, wird Meister Fuchs sich seine Sprache erfinden und über Äsop so fabeln können als Äsop jetzt über ihn. Der Hund hat viele Worte und Befehle verstehen gelernt; aber nicht als Worte, sondern als Zeichen, mit Gebärden, mit Handlungen verbunden; verstünde er je ein einziges Wort im menschlichen Sinne: so dienet er nicht mehr, so schaffet er sich selbst Kunst und Republik und Sprache. Man siehet, wenn man einmal den Punkt der genauen Genese verfehlt, so ist das Feld des Irrtums zu beiden Seiten unermeßlich groß! da ist die Sprache bald so übermenschlich, daß sie Gott erfinden muß, bald so unmenschlich, daß jedes Tier sie erfinden könnte, wenn es sich die Mühe nähme. Das Ziel der Wahrheit ist nur ein Punkt! auf den hingestellet, sehen wir aber auf alle Seiten: warum kein Tier Sprache erfinden kann, kein Gott Sprache erfinden darf und der Mensch, als Mensch, Sprache erfinden kann und muß.

Weiter mag ich aus der Metaphysik die Hypothese des göttlichen Sprachenursprunges nicht verfolgen, da psychologisch ihr Ungrund darin gezeigt ist, daß, um die Sprache der Götter im Olymp zu verstehen, der Mensch schon Vernunft, folglich schon Sprache haben müsse. Noch weniger kann ich mich in ein angenehmes Detail der Tiersprachen einlassen: da sie doch alle, wie wir gesehen, total und inkommensurabel von der menschlichen[156] Sprache abstehen. Dem ich am ungernsten entsage, wären hier die mancherlei Aussichten, die von diesem genetischen Punkt der Sprache in der menschlichen Seele in die weiten Felder der Logik, Ästhetik und Psychologie, insonderheit über die Frage gehen: wie weit kann man ohne – was muß man mit der Sprache denken? – eine Frage, die sich nachher in Anwendungen fast über alle Wissenschaften ausbreitet. Hier sei es gnug, die Sprache als den würklichen Unterscheidungscharakter unsrer Gattung von außen zu bemerken, wie es die Vernunft von innen ist.

In mehr als einer Sprache hat also auch Wort und Vernunft, Begriff und Wort, Sprache und Ursache einen Namen, und diese Synonymie enthält ihren ganzen genetischen Ursprung. Bei den Morgenländern ist's der gewöhnlichste Idiotismus geworden, das Anerkennen einer Sache Namengebung zu nennen: denn im Grunde der Seele sind beide Handlungen eins. Sie nennen den Menschen das redende Tier und die unvernünftigen Tiere die Stummen: der Ausdruck ist sinnlich charakteristisch: und das griechische αλογος fasset beides. Es wird sonach die Sprache ein natürliches Organ des Verstandes, ein solcher Sinn der menschlichen Seele, wie sich die Sehekraft jener sensitiven Seele der Alten das Auge und der Instinkt der Biene seine Zelle bauet.

Vortrefflich, daß dieser neue, selbstgemachte Sinn des Geistes gleich in seinem Ursprunge wieder ein Mittel der Verbindung ist – Ich kann nicht den ersten menschlichen Gedanken denken, nicht das erste besonnene Urteil reihen, ohne daß ich in meiner Seele dialogiere oder zu dialogieren strebe; der erste menschliche Gedanke bereitet also seinem Wesen nach, mit andern dialogieren zu können! Das erste Merkmal, was ich erfasse, ist Merkwort für mich, und Mitteilungswort für andre!


– Sic verba, quibus voces sensusque notarent,

Nominaque invenere – –


Horat.

11

Eine in einem neuen metaphysischen Werke beliebte Einteilung (Search's »Light of Nature Pursued«, Lond. 68).

12

Rousseau, »Über die Ungleichheit« etc.

13

Eine der schönsten Abhandlungen, das Wesen der Apperzeption aus physischen Versuchen, die so selten die Metaphysik der Seele erläutern! ins Licht zu setzen, ist die in den Schriften der Berlinschen Akademie von 1764.

14

Süßmilch, angef. Schr., Abschn. 2.

15

Ebendas., S. 49.

16

Süßmilch, S. 48.

Quelle:
Sturm und Drang. Weltanschauliche und ästhetische Schriften. Band 1, Berlin und Weimar 1978, S. 142-157.
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Abhandlung über den Ursprung der Sprache
Abhandlung über den Ursprung der Sprache. ( Literatur- Kommentar, 12). Text, Materialien, Kommentar.

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