Dritter Abschnitt

[157] Der Brennpunkt ist ausgemacht, auf welchem Prometheus' himmlischer Funke in der menschlichen Seele zündet – beim ersten Merkmal ward Sprache; aber welches waren die ersten Merkmale zu Elementen der Sprache?


1. Töne

[157] Cheseldens Blinder17 zeigt, wie langsam sich das Gesicht entwickle, wie schwer die Seele zu den Begriffen von Raum, Gestalt und Farbe komme, wie viel Versuche gemacht, wie viel Meßkunst erworben werden muß, um diese Merkmale deutlich zu gebrauchen: das war also nicht der füglichste Sinn zu Sprache. Zudem waren seine Phänomene so kalt und stumm: die Empfindungen der gröbern Sinne wiederum so undeutlich und ineinander, daß nach aller Natur entweder nichts oder das Ohr der erste Lehrmeister der Sprache wurde.

Da ist z. E. das Schaf. Als Bild schwebet es dem Auge mit allen Gegenständen, Bildern und Farben auf einer großen Naturtafel vor – wie viel, wie mühsam zu unterscheiden! Alle Merkmale sind fein verflochten, nebeneinander – alle noch unaussprechlich! Wer kann Gestalten reden? wer kann Farben tönen? Er nimmt das Schaf unter seine tastende Hand – das Gefühl ist sicherer und voller; aber so voll, so dunkel ineinander – wer kann, was er fühlt, sagen? Aber horch! das Schaf blöket! Da reißt sich ein Merkmal von der Leinwand des Farbenbildes, worin so wenig zu unterscheiden war, von selbst los: ist tief und deutlich in die Seele gedrungen. »Hai« sagt der lernende Unmündige, wie jener Blindgewesene Cheseldens: »nun werde ich dich wiederkennen – du blökst!« Die Turteltaube girrt! der Hund bellet! da sind drei Worte, weil er drei deutliche Ideen versuchte, diese in seine Logik, jene in sein Wörterbuch! Vernunft und Sprache taten gemeinschaftlich einen furchtsamen Schritt, und die Natur kam ihnen auf halbem Wege entgegen – durchs Gehör. Sie tönte das Merkmal nicht bloß vor, sondern tief in die Seele hinein! es klang! die Seele haschte – da hat sie ein tönendes Wort!

Der Mensch ist also als ein horchendes, merkendes Geschöpf zur Sprache natürlich gebildet, und selbst ein Blinder und Stummer, siehet man, müßte Sprache erfinden, wenn er nur nicht fühllos und taub ist. Setzet ihn gemächlich und behaglich auf eine einsame Insel: die Natur wird sich ihm durchs Ohr offenbaren: tausend Geschöpfe, die er nicht sehen kann, werden doch mit ihm zu sprechen scheinen, und, bliebe auch ewig sein Mund und sein[158] Auge verschlossen, seine Seele bleibt nicht ganz ohne Sprache. Wenn die Blätter des Baumes dem armen Einsamen Kühlung herabrauschen, wenn der vorbeimurmelnde Bach ihn in den Schlaf wieget und der hinzusäuselnde West seine Wangen fächelt – das blökende Schaf gibt ihm Milch, die rieselnde Quelle Wasser, der rauschende Baum Früchte – Interesse gnug, die wohltätigen Wesen zu kennen, Dringnis gnug, ohne Augen und Zunge in seiner Seele sie zu nennen. Der Baum wird der Rauscher, der West Säusler, die Quelle Riesler heißen – da liegt ein kleines Wörterbuch fertig und wartet auf das Gepräge der Sprachorgane. Wie arm und sonderbar aber müßten die Vorstellungen sein, die dieser Verstümmelte mit solchen Schällen verbindet!18

Nun lasset dem Menschen alle Sinne frei: er sehe und taste und fühle zugleich alle Wesen, die in sein Ohr reden – Himmel! welch ein Lehrsaal der Ideen und der Sprache! Führet keinen Merkur und Apollo als Opernmaschinen von den Wolken herunter – die ganze, vieltönige, göttliche Natur ist Sprachlehrerin und Muse! Da führet sie alle Geschöpfe bei ihm vorbei: jedes trägt seinen Namen auf der Zunge und nennet sich, diesem verhülleten sichtbaren Gotte! als Vasall und Diener. Es liefert ihm sein Merkwort ins Buch seiner Herrschaft wie einen Tribut, damit er sich bei diesem Namen seiner erinnere, es künftig rufe und genieße. Ich frage, ob je diese Wahrheit: »Eben der Verstand, durch den der Mensch über die Natur herrschet, war der Vater einer lebendigen Sprache, die er aus Tönen schallender Wesen zu Merkmalen der Unterscheidung sich abzog!«, ich frage, ob je diese trockne Wahrheit auf morgenländische Weise edler und schöner könne gesagt werden als: »Gott führte die Tiere zu ihm, daß er sähe, wie er sie nennete! und wie er sie nennen würde, so sollten sie heißen!« Wo kann es auf morgenländische, poetische Weise bestimmter gesagt werden: der Mensch erfand sich selbst Sprache! – aus Tönen lebender Natur! – zu Merkmalen seines herrschenden Verstandes! – Und das ist, was ich beweise.

Hätte Engel oder himmlischer Geist die Sprache erfunden: wie anders, als daß ihr ganzer Bau ein Abdruck von der Denkart dieses Geistes sein müßte: denn woran könnte ich ein Bild, von einem Engel gemalt, kennen, als an dem Englischen, Überirdischen seiner Züge? Wo findet das aber bei unsrer Sprache[159] statt? Bau und Grundriß, ja selbst der erste Grundstein dieses Palastes verrät Menschheit!

In welcher Sprache sind himmlische, geistige Begriffe die ersten? jene Begriffe, die auch nach der Ordnung unsres denkenden Geistes die ersten sein müßten – Subjekte, notiones communes, die Samenkörner unsrer Erkenntnis, die Punkte, um die sich alles wendet und alles zurückführt – sind diese lebende Punkte Elemente der Sprache? Die Subjekte müßten doch natürlicherweise vor dem Prädikat, und die einfachsten Subjekte vor den zusammengesetzten; was da tut und handelt, vor dem, was es handelt, das Wesentliche und Gewisse vor dem Ungewissen, Zufälligen, vorhergegangen sein – Ja, was man nicht alles schließen könnte, und – in unsern ursprünglichen Sprachen findet durchgängig das offenbare Gegenteil statt. Ein hörendes, aufhorchendes Geschöpf ist kennbar, aber kein himmlischer Geist: denn –

tönende Verba sind die ersten Machtelemente. Tönende Verba? Handlungen, und noch nichts, was da handelt? Prädikate und noch kein Subjekt? Der himmlische Genius mag sich dessen zu schämen haben, aber nicht das sinnliche menschliche Geschöpf: denn was rührte dies, wie wir gesehen, inniger als diese tönenden Handlungen? Und was ist also die ganze Bauart der Sprache anders, als eine Entwicklungsweise seines Geistes, eine Geschichte seiner Entdeckung! Der göttliche Ursprung erklärt nichts und läßt nichts aus sich erklären; er ist, wie Baco von einer andern Sache sagt, heilige Vestalin – gottgeweihet, aber unfruchtbar, fromm, aber zu nichts nütze!

Das erste Wörterbuch war also aus den Lauten aller Welt gesammlet. Von jedem tönenden Wesen klang sein Name: die menschliche Seele prägte ihr Bild drauf, dachte sie als Merkzeichen – wie anders, als daß diese tönenden Interjektionen die ersten wurden, und so sind z. E. die morgenländischen Sprachen voll Verba als Grundwurzeln der Sprache. Der Gedanke an die Sache selbst schwebte noch zwischen dem Handelnden und der Handlung: der Ton mußte die Sache bezeichnen, so wie die Sache den Ton gab; aus den Verbis wurden also Nomina und nicht Verba aus den Nominibus. Das Kind nennet das Schaf als Schaf nicht: sondern als ein blökendes Geschöpf und macht also die Interjektion zu einem Verbo. Im Stufengange der menschlichen Sinnlichkeit wird diese Sache erklärbar, aber nicht in der Logik des höhern Geistes.[160]

Alle alte, wilde Sprachen sind voll von diesem Ursprunge, und in einem philosophischen Wörterbuch der Morgenländer wäre jedes Stammwort mit seiner Familie, recht gestellet und gesund entwickelt, eine Charte vom Gange des menschlichen Geistes, eine Geschichte seiner Entwicklung, und ein ganzes solches Wörterbuch die vortrefflichste Probe von der Erfindungskunst der menschlichen Seele – ob aber auch von der Sprach- und Lehrmethode Gottes? ich zweifle!

Indem die ganze Natur tönt, so ist einem sinnlichen Menschen nichts natürlicher, als daß sie lebt, sie spricht, sie handelt. Jener Wilde sähe den hohen Baum mit seinem prächtigen Gipfel und bewunderte: der Gipfel rauschte! das ist webende Gottheit! der Wilde fällt nieder und betet an! Sehet da die Geschichte des sinnlichen Menschen, das dunkle Band, wie aus den Verbis Nomina werden – und den leichtesten Schritt zur Abstraktion! Bei den Wilden von Nordamerika z.B. ist noch alles belebt: jede Sache hat ihren Genius, ihren Geist, und daß es bei Griechen und Morgenländern ebenso gewesen, zeugt ihr ältestes Wörterbuch und Grammatik – sie sind, wie die ganze Natur dem Erfinder war, ein Pantheon! ein Reich belebter, handelnder Wesen!

Indem der Mensch aber alles auf sich bezog: indem alles mit ihm zu sprechen schien und würklich für oder gegen ihn handelte: indem er also mit oder dagegen teilnahm, liebte oder haßte und sich alles menschlich vorstellte; alle diese Spuren der Menschlichkeit drückten sich auch in die ersten Namen! Auch sie sprachen Liebe oder Haß, Fluch oder Segen, Sanftes oder Widrigkeit, und insonderheit wurden aus diesem Gefühl in so vielen Sprachen die Artikel! Da wurde alles menschlich, zu Weib und Mann personifiziert: überall Götter, Göttinnen, handelnde, bösartige oder gute Wesen! Der brausende Sturm, und der süße Zephir, die klare Wasserquelle und der mächtige Ozean – ihre ganze Mythologie liegt in den Fundgruben, den Verbis und Nominibus der alten Sprachen, und das älteste Wörterbuch war so ein tönendes Pantheon, ein Versammlungssaal beider Geschlechter, als den Sinnen des ersten Erfinders die Natur. Hier ist die Sprache jener alten Wilden ein Studium in den Irrgängen menschlicher Phantasie und Leidenschaften, wie ihre Mythologie. Jede Familie von Wörtern ist ein verwachsnes Gebüsche um eine sinnliche Hauptidee, um eine heilige Eiche, auf der noch Spuren sind, welchen Eindruck der Erfinder von dieser[161] Dryade hatte. Die Gefühle sind ihm zusammengewebt: was sich beweget, lebt: was da tönet, spricht – und da es für oder wider dich tönt, so ist's Freund, oder Feind: Gott oder Göttin: es handelt aus Leidenschaften, wie du!

Ein menschliches, sinnliches Geschöpf liebe ich über diese Denkart: ich sehe überall den schwachen, schüchternen Empfindsamen, der lieben oder hassen, trauen oder fürchten muß und diese Empfindungen aus seiner Brust über alle Wesen ausbreiten möchte. Ich sehe überall das schwache und doch mächtige Geschöpf, das das ganze Weltall nötig hat und alles mit sich in Krieg und Frieden verwickelt; das von allem abhangt, und doch über alles herrschet – Die Dichtung und die Geschlechterschaffung der Sprache sind also Interesse der Menschheit, und die Genetalien der Rede gleichsam das Mittel ihrer Fortpflanzung. Aber nun – wenn sie ein höherer Genius aus den Sternen hinuntergebracht – wie? wurde dieser Genius aus den Sternen auf unsrer Erde unter dem Monde in solche Leidenschaften von Liebe und Schwachheit, von Haß und Furcht verwickelt? daß er alles in Zuneigung und Haß verflocht, daß er alle Worte mit Furcht und Freude bezeichnete, daß er endlich alles auf Begattungen bauete? Sähe und fühlte er, wie ein Mensch siehet, daß sich ihm die Nomina in Geschlechter und Artikel paaren mußten, daß er die Verba tätig und leidend zusammengab, ihnen so viel echte und Doppelkinder zuerkannte, kurz, daß er die ganze Sprache auf das Gefühl menschlicher Schwachheiten bauete? – sähe und fühlte er so?

Einem Verteidiger des übernatürlichen Ursprunges ist's göttliche Ordnung der Sprache, »daß die meisten Stammwörter einsilbig, die Verba meistens zweisilbig sind und also die Sprache nach dem Maße des Gedächtnisses eingeteilt sei«. Das Faktum ist nicht genau und der Schluß unsicher. In den Resten der für die älteste angenommenen Sprache sind die Wurzeln alle zweisilbige Verba; welches ich nun aus dem vorigen sehr gut erklären kann, da die Hypothese des Gegenteils keinen Grund findet. Diese Verba nämlich sind unmittelbar auf die Laute und Interjektionen der tönenden Natur gebauet, die oft noch in ihnen tönen, hie und da auch noch als Interjektionen aufbehalten sind; meistens aber mußten sie, als halbinartikulierte Töne, verlorengehen, da sich die Sprache formte. In den morgenländischen Sprachen fehlen also diese ersten Versuche der stammelnden Zunge; aber daß sie fehlen und nur ihre regelmäßigen Reste in den[162] Verbis tönen, das eben zeigt von der Ursprünglichkeit und – Menschlichkeit der Sprache. Sind diese Stämme Schätze und Abstraktionen aus dem Verstande Gottes oder die ersten Laute des horchenden Ohrs? die ersten Schälle der stammelnden Zunge? Das Menschengeschlecht in seiner Kindheit hat sich ja eben die Sprache geformet, die ein Unmündiger stammlet: es ist das lallende Wörterbuch der Ammenstube – wo bleibt das im Munde der Erwachsnen?

Was so viele Alten sagen und so viel Neuere ohne Sinn nachgesagt, nimmt hieraus sein sinnliches Leben: »daß nämlich Poesie älter gewesen als Prosa!«; denn was war diese erste Sprache als eine Sammlung von Elementen der Poesie? Nachahmung der tönenden, handelnden, sich regenden Natur! Aus den Interjektionen aller Wesen genommen und von Interjektion menschlicher Empfindung belebet! Die Natursprache aller Geschöpfe, vom Verstande in Laute gedichtet, in Bilder von Handlung, Leidenschaft und lebender Einwürkung! Ein Wörterbuch der Seele, was zugleich Mythologie und eine wunderbare Epopee von den Handlungen und Reden aller Wesen ist! Also eine beständige Fabeldichtung mit Leidenschaft und Interesse! – Was ist Poesie anders? –

Ferner. Die Tradition des Altertums sagt, die erste Sprache des menschlichen Geschlechts sei Gesang gewesen, und viele gute musikalische Leute haben geglaubt, die Menschen könnten diesen Gesang wohl den Vögeln abgelernt haben. – Das ist freilich viel geglaubt! Eine große, wichtige Uhr mit allen ihren scharfen Rädern und neugespannten Federn und Zentnergewichten kann wohl ein Glockenspiel von Tönen machen; aber den neugeschaffnen Menschen mit seinen würksamen Triebfedern, mit seinen Bedürfnissen, mit seinen starken Empfindungen, mit seiner fast blind beschäftigten Aufmerksamkeit und endlich mit seiner rohen Kehle dahinsetzen, um die Nachtigall nachzuäffen und sich von ihr eine Sprache zu ersingen, ist, in wie vielen Geschichten der Musik und Poesie es auch stehe, für mich unbegreiflich. Freilich wäre eine Sprache durch musikalische Töne möglich (wie auch Leibniz19 auf den Gedanken gekommen!), aber für die ersten Naturmenschen war diese Sprache nicht möglich, so künstlich und fein sie ist. In der Reihe der Wesen hat jedes Ding seine Stimme und eine Sprache nach seiner Stimme. Die Sprache der Liebe ist im Nest der Nachtigall süßer[163] Gesang wie in der Höhle des Löwen Gebrüll, im Forste des Wildes wiehernde Brunst und im Winkel der Katze Zetergeschrei; jede Gattung redet die ihrige, nicht für den Menschen, sondern für sich und für sich so angenehm als Petrarchs Gesang an seine Laura! Sowenig also die Nachtigall singt, um den Menschen, wie man sich einbildet, vorzusingen: sowenig wird der Mensch sich dadurch je Sprache erfinden wollen, daß er der Nachtigall nachtrillert – und was ist's doch für ein Ungeheuer, eine menschliche Nachtigall in einer Höhle oder im Walde der Jagd? –

War also die erste Menschensprache Gesang: so war's Gesang, der ihm so natürlich, seinen Organen und Naturtrieben so angemessen war als der Nachtigallengesang ihr selbst, die gleichsam eine schwebende Lunge ist, und das war – eben unsre tönende Sprache. Condillac, Rousseau und andre sind hier halb auf den Weg gekommen, indem sie die Prosodie und den Gesang der ältesten Sprachen vom Geschrei der Empfindung herleiten, und ohne Zweifel belebte Empfindung freilich die ersten Töne und erhob sie; so wie aber aus den bloßen Tönen der Empfindung nie menschliche Sprache entstehen konnte, die dieser Gesang doch war, so fehlt noch etwas, ihn hervorzubringen: und das war eben die Namennennung eines jeden Geschöpfs nach seiner Sprache. Da sang und tönte also die ganze Natur vor: und der Gesang des Menschen war ein Konzert aller dieser Stimmen, sofern sie sein Verstand brauchte, seine Empfindung faßte, seine Organe sie ausdrücken konnten – Es ward Gesang, aber weder Nachtigallenlied noch Leibnizens musikalische Sprache, noch ein bloßes Empfindungsgeschrei der Tiere: Ausdruck der Sprache aller Geschöpfe, innerhalb der natürlichen Tonleiter der menschlichen Stimme!

Selbst da die Sprache später mehr regelmäßig, eintönig und gereihet wurde, blieb sie noch immer eine Gattung Gesang, wie es die Akzente so vieler Wilden bezeugen; und daß aus diesem Gesange, nachher veredelt und verfeinert, die älteste Poesie und Musik entstanden, hat jetzt schon mehr als einer bewiesen. Der philosophische Engländer20, der sich in unserm Jahrhunderte an diesen Ursprung der Poesie und Musik gemacht, hätte am weitsten kommen können, wenn er nicht den Geist der Sprache von seiner Untersuchung ausgeschlossen und minder auf sein System ausgegangen wäre, Poesie und Musik auf einen Vereinigungspunkt[164] einzuschließen, auf welchem keine sich recht zeigen kann, als auf den Ursprung von beiden aus der ganzen Natur des Menschen. Überhaupt da die besten Stücke der alten Poesie Reste dieser sprachsingenden Zeiten sind: so sind die Mißkenntnisse, die Veruntreuungen und die schiefen Geschmacksfehler ganz unzählig, die man aus dem Gange der ältesten Gedichte, der griechischen Trauerspiele und Deklamationen herausbuchstabiert hat. Wie viel hätte hier noch ein Philosoph zu sagen, der unter den Wilden, wo noch dies Zeitalter lebt, den Ton gelernt hätte, diese Stücke zu lesen! Sonst und gewöhnlich sieht man immer nur Gewebe des verkehrten Teppichs! disiecti membra poetae! – – Doch ich verlöre mich in ein unermeßliches Feld, wenn ich mich in einzelne Sprachanmerkungen einlassen wollte – also zurück auf den ersten Erfindungsweg der Sprache!


Wie aus Tönen zu Merkmalen, vom Verstande geprägt, Worte wurden, war sehr begreiflich; aber nicht alle Gegenstände tönen, woher nun für diese Merkworte, bei denen die Seele sie nenne? woher dem Menschen die Kunst, was nicht Schall ist, in Schall zu verwandeln? Was hat die Farbe, die Rundheit mit dem Namen gemein, der aus ihr so entstehe wie der Name Blöken aus dem Schafe? – Die Verteidiger des übernatürlichen Ursprungs wissen hier gleich Rat: »willkürlich! wer kann's begreifen und im Verstande Gottes nachsuchen, warum grün, grün und nicht blau heißt? Ohne Zweifel hat's ihm so beliebt!«, und damit ist der Faden abgeschnitten! Alle Philosophie über die Erfindungskunst der Sprache schwebt also willkürlich in den Wolken, und für uns ist jedes Wort eine qualitas occulta, etwas Willkürliches! – Nun mag man's nicht übelnehmen, daß ich in diesem Falle das Wort willkürlich nicht begreife. Eine Sprache willkürlich und ohne allen Grund der Wahl aus dem Gehirn zu erfinden, ist wenigstens für eine menschliche Seele, die zu allem einen, wenn auch nur einigen Grund haben will, solch eine Qual, als für den Körper, sich zu Tode streicheln zu lassen. Bei einem rohen, sinnlichen Naturmenschen überdem, dessen Kräfte noch nicht fein gnug sind, um ins Unnütze hinzuspielen, der, ungeübt und stark, nichts ohne dringende Ursache tut und nichts vergebens tun will, bei dem ist die Erfindung einer Sprache aus schaler, leerer Willkür der ganzen Analogie seiner Natur entgegen: und es ist überhaupt der ganzen Analogie aller menschlichen Seelenkräfte entgegen, eine aus reiner Willkür ausgedachte Sprache.[165]

Also zur Sache. Wie hat der Mensch, seinen Kräften überlassen, sich auch


2. eine Sprache, wo ihm kein Ton vortönte,

erfinden können? Wie hängt Gesicht und Gehör, Farbe und Wort, Duft und Ton zusammen?

Nicht unter sich in den Gegenständen; aber was sind denn diese Eigenschaften in den Gegenständen? Sie sind bloß sinnliche Empfindungen in uns, und als solche, fließen sie nicht alle in eins? Wir sind ein denkendes sensorium commune, nur von verschiednen Seiten berührt – da liegt die Erklärung.

Allen Sinnen liegt Gefühl zum Grunde, und dies gibt den verschiedenartigsten Sensationen schon ein so inniges, starkes, unaussprechliches Band, daß aus dieser Verbindung die sonderbarsten Erscheinungen entstehen. Mir ist mehr als ein Beispiel bekannt, da Personen natürlich, vielleicht aus einem Eindruck der Kindheit, nicht anders konnten, als unmittelbar durch eine schnelle Anwandelung mit diesem Schall jene Farbe, mit dieser Erscheinung jenes ganz verschiedne, dunkle Gefühl verbinden, was durch die Vergleichung der langsamen Vernunft mit ihr gar keine Verwandtschaft hat: denn wer kann Schall und Farbe, Erscheinung und Gefühl vergleichen? Wir sind voll solcher Verknüpfungen der verschiedensten Sinne; nur wir bemerken sie nicht anders als in Anwandlungen, die uns aus der Fassung setzen, in Krankheiten der Phantasie oder bei Gelegenheiten, wo sie außerordentlich merkbar werden. Der gewöhnliche Lauf unsrer Gedanken geht so schnell; die Wellen unsrer Empfindungen rauschen so dunkel ineinander: es ist auf einmal so viel in unsrer Seele, daß wir in Absicht der meisten Ideen wie im Schlummer an einer Wasserquelle sind, wo wir freilich noch das Rauschen jeder Welle hören, aber so dunkel, daß uns endlich der Schlaf alles merkbare Gefühl nimmt. Wäre es möglich, daß wir die Kette unsrer Gedanken anhalten und an jedem Gliede seine Verbindung suchen könnten – welche Sonderbarkeiten! welche fremde Analogien der verschiedensten Sinne, nach denen doch die Seele geläufig handelt! Wir wären alle für ein bloß vernünftiges Wesen jener Gattung von Verrückten ähnlich, die klug denken, aber sehr unbegreiflich und albern verbinden!

[166] Bei sinnlichen Geschöpfen, die durch viele verschiedne Sinne auf einmal empfinden, ist diese Versammlung von Ideen unvermeidlich; denn was sind alle Sinne anders als bloße Vorstellungsarten einer positiven Kraft der Seele? Wir unterscheiden sie; aber wieder nur durch Sinne; also Vorstellungsarten durch Vorstellungsarten. Wir lernen mit vieler Mühe sie im Gebrauche trennen – in einem gewissen Grunde aber würken sie noch immer zusammen. Alle Zergliederungen der Sensation bei Buffons, Condillacs und Bonnets empfindendem Menschen sind Abstraktionen: der Philosoph muß einen Faden der Empfindung liegenlassen, indem er den andern verfolgt – in der Natur aber sind alle die Fäden ein Gewebe! – Je dunkler nun die Sinne sind, desto mehr fließen sie ineinander; und je ungeübter, je weniger man noch gelernt hat, einen ohne den andern zu brauchen, mit Adresse und Deutlichkeit zu brauchen; desto dunkler! – Laßt uns dies auf den Anfang der Sprache anwenden! Die Kindheit und Unerfahrenheit des menschlichen Geschlechts hat sie erleichtert!

Der Mensch trat in die Welt hin; von welchem Ozean wurde er auf einmal bestürmt! mit welcher Mühe lernte er unterscheiden! Sinne erkennen! erkannte Sinne allein gebrauchen! Das Sehen ist der kälteste Sinn, und wäre er immer so kalt, so entfernt, so deutlich gewesen, als er's uns durch eine Mühe und Übung vieler Jahre geworden ist: so sehe ich freilich nicht, wie man, was man sieht, hörbar machen könne? Allein die Natur hat dafür gesorgt und den Weg näher angezogen: denn selbst dies Gesiebt war, wie Kinder und Blindgewesene zeugen, anfangs nur Gefühl. Die meisten sichtbaren Dinge bewegen sich; viele tönen in der Bewegung: wo nicht, so liegen sie dem Auge in seinem ersten Zustande gleichsam näher, unmittelbar auf ihm, und lassen sich also fühlen. Das Gefühl liegt dem Gehör so nahe: seine Bezeichnungen, z. E. hart, rauh, weich, wollicht, sammet, haaricht, starr, glatt, schlicht, borstig usw., die doch alle nur Oberflächen betreffen und nicht einmal tief einwürken, tönen alle, als ob man's fühlte: die Seele, die im Gedränge solcher zusammenströmenden Empfindungen und in der Bedürfnis war, ein Wort zu schaffen, griff und bekam vielleicht das Wort eines nachbarlichen Sinnes, dessen Gefühl mit diesem zusammenfloß – so wurden für alle und selbst für den kältesten Sinn Worte. Der Blitz schallet nicht: wenn er nun aber ausgedrückt werden soll, dieser Bote der Mitternacht!
[167]

Der jetzt im Nu enthüllet Himml und Erd

Und eh ein Mensch noch sagen kann: Sieh da!

Schon in den. Schlund der Finsternis hinab ist –


natürlich wird's ein Wort machen, das durch Hülfe eines Mittelgefühls dem Ohr die Empfindung des Urplötzlichschnellen gibt, die das Auge hatte – Blitz! – Das Wort: Duft, Ton, süß, bitter, sauer usw. tönen alle, als ob man fühlte: denn was sind ursprünglich alle Sinne anders als Gefühl? – Wie aber Gefühl sich in Laut äußern könne, das haben wir schon im ersten Abschnitte als ein unmittelbares Naturgesetz der empfindenden Maschine angenommen, das wir weiter nicht erklären mögen!

Und so führen sich alle Schwürigkeiten auf folgende zwo erwiesene deutliche Sätze zurück.

1. Da alle Sinne nichts als Vorstellungsarten der Seele sind: so habe sie nur deutliche Vorstellung: mithin Merkmal, mit dem Merkmal hat sie innere Sprache.

2. Da alle Sinne, insonderheit im Zustande der menschlichen Kindheit, nichts als Gefühlsarten einer Seele sind, alles Gefühl aber nach einem Empfindungsgesetz der tierischen Natur unmittelbar seinen Laut Bat; so werde dies Gefühl nur zum Deutlichen eines Merkmals erhöht: so ist das Wort zur äußern Sprache da. Hier kommen wir auf eine Menge sonderbarer Betrachtungen, wie die Weisheit der Natur den Menschen durchaus dazu organisiert hat, um sich selbst Sprache zu erfinden. Hier ist die Hauptbemerkung:

»Da der Mensch bloß durch das Gehör die Sprache der lehrenden Natur empfängt und ohne das die Sprache nicht erfinden kann: so ist Gehör auf gewisse Weise der Mittlere seiner Sinne, die eigentliche Tür zur Seele und das Verbindungsband der übrigen Sinne geworden.« Ich will mich erklären!

1. Das Gehör ist der mittlere der menschlichen Sinne, an Sphäre der Empfindbarkeit von außen. Gefühl empfindet alles nur in sich und in seinem Organ; das Gesicht wirft uns große Strecken weit aus uns hinaus: das Gehör steht an Grad der Mitteilbarkeit in der Mitte. Was das für die Sprache tut? Setzet ein Geschöpf, selbst ein vernünftiges Geschöpf, dem das Gefühl Hauptsinn wäre (im Fall dies möglich ist!), wie klein ist seine Welt! und da es diese nicht durchs Gehör empfindet, so wird es sich wohl vielleicht wie das Insekt ein Gewebe, aber nicht durch Töne eine Sprache bauen! Wiederum ein Geschöpf, ganz Auge – wie unerschöpflich ist die Welt seiner Beschauungen! wie unermeßlich[168] weit wird es aus sich geworfen! in welche unendliche Mannigfaltigkeit zerstreuet! Seine Sprache (wir haben davon keinen Begriff!) würde eine Art unendlich feiner Pantomime; seine Schrift eine Algebra durch Farben und Striche werden – aber tönende Sprache nie! Wir hörende Geschöpfe stehn in der Mitte: wir sehen, wir fühlen; aber die gesehene, gefühlte Natur tönet! Sie wird Lehrmeisterin zur Sprache durch Töne! Wir werden gleichsam Gehör durch alle Sinne!

Lasset uns die Bequemlichkeit unsrer Stelle fühlen – dadurch wird jeder Sinn sprachfähig. Freilich gibt Gehör nur eigentlich Töne, und der Mensch kann nichts erfinden, sondern nur finden, nur nachahmen; allein auf der einen Seite liegt das Gefühl nebenan: auf der andern ist das Gesicht der nachbarliche Sinn: die Empfindungen vereinigen sich und kommen also alle der Gegend nahe, wo Merkmale zu Schällen werden. So wird, was man sieht, so wird, was man fühlt, auch tönbar. Der Sinn zur Sprache ist unser Mittel- und Vereinigungssinn geworden; wir sind Sprachgeschöpfe.

2. Das Gehör ist der mittlere unter den Sinnen an Deutlichkeit und Klarheit; und also wiederum Sinn zur Sprache. Wie dunkel ist das Gefühl! es wird übertäubt! es empfindet alles ineinander. Da ist mit Mühe ein Merkmal der Anerkennung abzusondern: es wird unaussprechlich!

Wiederum das Gesicht ist so helle und überglänzend, es liefert eine solche Menge von Merkmalen, daß die Seele unter der Mannigfaltigkeit erliegt und etwa eins nur so schwach absondern kann, daß die Wiedererkennung daran schwer wird. Das Gehör ist in der Mitte. Alle ineinander fallende dunkle Merkmale des Gefühls läßt's liegen! alle zu feine Merkmale des Gesichts auch! aber da reißt sich vom betasteten, betrachteten Objekt ein Ton los? In den sammlen sich die Merkmale jener beiden Sinne – der wird Merkwort! Das Gehör greift also von beiden Seiten um sich: macht klar, was zu dunkel, macht angenehmer, was zu helle war: bringt in das dunkel Mannigfaltige des Gefühls mehr Einheit und in das zu hell Mannigfaltige des Gesichts auch: und da diese Anerkennung des Mannigfaltigen durch eins, durch ein Merkmal, Sprache wird, ist's Organ der Sprache.

3. Das Gehör ist der mittlere Sinn in Ansehung der Lebhaftigkeit und also Sinn der Sprache. Das Gefühl überwältigt; das Gesicht ist zu kalt und gleichgültig; jenes dringt zu tief in uns, als daß es Sprache werden könnte; dies bleibt zu ruhig vor uns.[169] Der Ton des Gehörs dringt so innig in unsre Seele, daß er Merkmal werden muß; aber noch nicht so übertäubend, daß er nicht klares Merkmal werden könnte – das ist Sinn der Sprache.

Wie kurz, ermüdend und unausstehlich wäre die Sprache jedes gröbern Sinnes für uns! wie verwirrend und kopfleerend für uns die Sprache des zu feinen Gesichts! Wer kann immer schmecken, fühlen und riechen, ohne nicht bald, wie Pope sagt, einen aromatischen. Tod zu sterben? und wer immer mit Aufmerksamkeit ein Farbenklavier begaffen, ohne nicht bald zu erblinden? Aber hören, gleichsam hörend Worte denken, können wir länger und fast immer – das Gehör ist für die Seele, was die grüne, die Mittelfarbe, fürs Gesiebt ist. Der Mensch ist zum Sprachgeschöpfe gebildet.

4. Das Gehör ist der mittlere Sinn in Betracht der Zeit, in der es würkt, und also Sinn der Sprache. Das Gefühl wirft alles auf einmal in uns hin: es regt unsre Saiten stark, aber kurz und springend; das Gesicht stellt uns alles auf einmal vor, und schreckt also den Lehrling durch die unermeßliche Tafel des Nebeneinander ab. Durchs Gehör, sehet! wie uns die Lehrmeisterin der Sprache schonet! Sie zählt uns nur einen Ton nach dem andern in die Seele. gibt und ermüdet nie, gibt und hat immer mehr zu geben – sie übet also das ganze Kunststück der Methode: sie lehret progressiv! Wer könnte da nicht Sprache fassen? sich Sprache erfinden?

5. Das Gehör ist der mittlere Sinn in Absicht des Bedürfnisses, sich auszudrücken, und also Sinn der Sprache. Das Gefühl würkt unaussprechlich dunkel; allein um so weniger darf's ausgesprochen werden – es geht so sehr unser Selbst an! es ist so eigennützig und in sich gesenkt! – – Das Gesicht ist für den Spracherfinder unaussprechlich; allein was braucht's sogleich ausgesprochen zu werden? Die Gegenstände bleiben! sie lassen sich durch Winke zeigen! Die Gegenstände des Gehörs aber sind mit Bewegung verbunden: sie streichen vorbei; eben dadurch aber tönen sie auch. Sie werden aussprechlich, weil sie ausgesprochen werden müssen, und dadurch, daß sie ausgesprochen werden müssen, durch ihre Bewegung, werden sie aussprechlich – welche Fähigkeit zur Sprache!

6. Das Gehör ist der mittlere Sinn in Absicht seiner Entwicklung, und also Sinn der Sprache. Gefühl ist der Mensch ganz: der Embryon in seinem ersten Augenblick des Lebens fühlet wie der Junggeborne: das ist Stamm der Natur, aus dem die zartem Aste der Sinnlichkeit wachsen, und der verflochtne Knäuel, aus dem sich alle feinere Seelenkräfte entwickeln. Wie[170] entwickeln sich diese? wie wir gesehen, durchs Gehör, da die Natur die Seele zur ersten deutlichen Empfindung durch Schälle wecket – also gleichsam aus dem dunkeln Schlaf des Gefühls wecket: und zu noch feinerer Sinnlichkeit reifet. Wäre z.B. das Gesicht schon vor ihm entwickelt da oder wäre es möglich, daß es anders als durch den Mittelsinn des Gehörs aus dem Gefühl erwecket wäre – welche weise Armut! welche hellsehende Dummheit! Wie schwürig würde es einem solchen Geschöpf, ganz Auge!, wenn es doch Mensch sein sollte, das, was es sähe, zu benennen! das kalte Gesicht mit dem warmem Gefühl, mit dem ganzen Stamme der Menschheit zu einverbinden! – Doch die Instanz selbst wird widersprechend: der Weg zu Entwicklung der menschlichen Natur – ist besser und einzig! Da alle Sinne zusammenwürken, sind wir durchs Gehör gleichsam immer in der Schule der Natur, lernen abstrahieren und zugleich sprechen; das Gesicht verfeinert sich mit der Vernunft: Vernunft und die Gabe der Bezeichnung, und so, wenn der Mensch zu der feinsten Charakteristik sichtlicher Phänomene kommt – welch ein Vorrat von Sprache und Sprachähnlichkeiten liegt schon fertig! Er nahm den Weg aus dem Gefühl in den Sinn seiner Phantasmen nicht anders als über den Sinn der Sprache und hat also gelernt tönen, sowohl was er siehet als was er fühlte.

Könnte ich nun hier alle Enden zusammennehmen und mit einmal das Gewebe sichtbar machen, was menschliche Natur heißt: durchaus ein Gewebe zur Sprache. Dazu, sahen wir, war dieser positiven Denkkraft Raum und Sphäre erteilet: dazu ihr Stoff und Materie abgewogen: dazu Gestalt und Form geschaffen: dazu endlich Sinne organisiert und gereihet – zu Sprache! Darum denkt der Mensch nicht heller, nicht dunkler; darum sieht und fühlt er nicht schärfer, nicht länger, nicht lebhafter : darum hat er diese, nicht mehr und nicht andre Sinne – alles wiegt gegeneinander! ist ausgespart und ersetzt! mit Absicht angelegt und verteilt! Einheit und Zusammenhang! Proportion und Ordnung! Ein Ganzes! Ein System! ein Geschöpf von Besonnenheit und Sprache, von Besinnung und Sprachschaffung! Wollte jemand, nach allen Beobachtungen, noch diese Bestimmung zum Sprachgeschöpfe leugnen, der müßte aus dem Beobachter der Natur erst ihr Zerstörer werden! alle angezeigte Harmonien in Mißtöne zerreißen, das ganze Prachtgebäude der menschlichen Kräfte in Trümmern[171] schlagen, seine Sinnlichkeit verwüsten und statt des Meisterstücks der Natur ein Geschöpf fühlen, voll Mängel und Lücken, voll Schwächen und Konvulsionen! Und wenn denn nun auf der andern Seite die Sprache auch genauso ist, wie sie nach dem Grundriß und der Wucht des vorigen Geschöpfes hat entstehen müssen? –

– – – Ich gehe das letzte zu beweisen, obgleich hier mir noch ein sehr angenehmer Spaziergang vorläge, es nach den Regeln der Sulzerschen Theorie des Vergnügens zu berechnen, was eine Sprache durchs Gehör für uns für Vorzüge und Annehmlichkeiten für der Sprache andrer Sinne hätte? – – Der Spaziergang führte aber zu weit; und man muß ihm entsagen, wenn noch die Hauptstraße zu sichern und zu berichtigen weit vorliegt. – Also erstlich

I. »Je älter und ursprünglicher die Sprachen sind: desto mehr wird diese Analogie der Sinne in ihren Wurzeln merklich!«

Wenn wir in spätern Sprachen den Zorn schon als Phänomenen des Gesichts oder als Abstraktum in den Wurzeln charakterisieren, z. E. durch das Funkeln der Augen, das Glühen der Wangen usw., und ihn also nur sehen oder denken: so höret ihn der Morgenländer! Höret ihn schnauben! höret ihn brennenden Rauch und stürmende Funken sprühen! Das ward Stamm des Worts: die Nase Sitz des Zorns: das ganze Geschlecht der Zornwärter und Zornmetaphern schnauben ihren Ursprung.

Wenn uns das Leben sich durch Pulsschlag, durch Wallen und feine Merkmale auch in der Sprache äußert: so offenbarte es sich jenem laut othmend. Der Mensch lebte, da er hauchte; starb, da er aushauchte: und man hört die Wurzel des Worts wie den ersten belebten Adam hauchen.

Wenn wir das Gebären nach unsrer Art charakterisieren: so hört jener auch in den Benennungen Geschrei der Mutterangst oder bei Tieren das Ausschütteln eines Fruchtschlauches: um diese Mittelidee – wenden sich seine Bilder!

Wenn wir im Wort Morgenröte etwa das Schöne, Glänzende, Frische dunkel hören: so fühlt der harrende Wandrer in Orient auch in der Wurzel des Worts den ersten, schnellen, erfreulichen Lichtstrahl, den unsereiner vielleicht nie gesehen, wenigstens nie mit dem Gefühl gefühlet. – Die Beispiele aus den alten und wilden Sprachen werden unzählig, wie herzlich und starkempfindend[172] sie aus Gehör und Gefühl charakterisieren, und ein Werk von der Art, was so recht das Grundgefühl solcher Ideen bei verschiednen Völkern aufsuchte, wäre eine völlige Demonstration für meinen Satz und für die menschliche Erfindung der Sprache.

II. »Je älter und ursprünglicher die Sprachen sind, desto mehr durchkreuzen sich auch die Gefühle in den Wurzeln der Wörter!«

Man schlage das erste beste morgenländische Wörterbuch auf, und man wird den Drang sehen, sich ausdrücken zu wollen! Wie der Erfinder Ideen aus einem Gefühl hinausriß und für ein anderes borgte! wie er bei den schwersten, kältesten, deutlichsten Sinnen am meisten borgte! wie alles Gefühl und Laut werden mußte, um Ausdruck zu werden! Daher die starken kühnen Metaphern in den Wurzeln der Worte! daher die Übertragungen aus Gefühl in Gefühl, so daß die Bedeutungen eines Stammworts und noch mehr seiner Abstammungen, gegeneinander gesetzt, das buntscheckigste Gemälde werden. Die genetische Ursache liegt in der Armut der menschlichen Seele und im Zusammenfluß der Empfindungen eines rohen Menschen. Man sieht sein Bedürfnis, sich auszudrücken, so deutlich: man sieht's in immer größerm Maß, je weiter die Idee vom Gefühl und Ton in der Empfindung weglag, daß man nicht mehr an der Menschlichkeit des Ursprungs der Sprache zweifeln darf. Denn wie wollen die Verfechter einer andern Entstehung diese Durchwebung der Ideen in den Wurzeln der Wörter erklären? War Gott so ideen- und wortarm, daß er zu dergleichen verwirrendem Wortgebrauch seine Zuflucht nehmen mußte? oder war er so sehr Liebhaber von Hyperbolen, ungereimten Metaphern, daß er diesen Geist bis in die Grundwurzeln seiner Sprache prägte?

Die sogenannte göttliche Sprache, die ebräische, ist von diesen Kühnheiten ganz geprägt, so daß der Orient auch die Ehre hat, sie mit seinem Namen zu bezeichnen; allein daß man doch ja nicht diesen Metapherngeist asiatisch nenne, als wenn er sonst nirgend anzutreffen wäre! In allen wilden Sprachen lebt er; nur freilich in jeder nach Maß der Bildung der Nation und nach Eigenheit ihrer Denkart. Ein Volk, das seine Gefühle nicht viel und nicht scharf unterschied: ein Volk, das nicht Herz gnug hatte, sich auszudrücken und Ausdrücke mächtig zu rauben – wird auch wegen Nuancen des Gefühls weniger verlegen sein oder sich mit schleichenden Halbausdrücken behelfen. Eine[173] feurige Nation offenbart ihren Mut in solchen Metaphern, sie mag in Orient oder Nordamerika wohnen; die aber in ihrem tiefsten Grunde die meisten solcher Verpflanzungen zeigt, deren Sprache ist voraus die ärmste, die älteste, die ursprünglichste gewesen, und die war ohne Zweifel in Orient.

Man siehet, wie schwer bei einer solchen Sprache ein wahres Etymologikon sein müsse? Die so verschiedne Bedeutungen eines Radicis, die in einer Stammtafel abgeleitet und auf ihren Ursprung zurückgeführt werden sollen, sind nur durch so dunkle Gefühle, durch flüchtige Nebenideen, durch Mitempfindungen verwandt, die aus dem Grunde der Seele steigen und wenig in Regeln gefasset werden können! Ihre Verwandtschaften sind ferner so national, so sehr nach der eignen Denk- und Sehart des Volks, des Erfinders, in dem Lande, in der Zeit, in den Umständen, daß sie von einem Nord- und Abendländer unendlich schwer zu treffen sind und in langen, kalten Umschreibungen unendlich leiden müssen. Da sie ferner von der Not erzwungen und im Affekt, im Gefühl, in der Verlegenheit des Ausdrucks erfunden wurden – welch ein Glück gehört dazu, dasselbe Gefühl zu treffen? und endlich, da im Wörterbuche von der Art die Wörter und die Bedeutungen eines Worts aus so verschiednen Zeiten, Anlässen und Denkarten gesammlet werden sollen und sich also diese augenblickliche Bestimmungen ins Unendliche vermehren – wie vervielfältigt sich da die Mühe! Welch ein Scharfsinn, in diese Umstände und Bedürfnisse einzudringen, und welche Mäßigung, bei den Auslegungen verschiedner Zeiten darin maßzuhalten! Welche Kenntnis und Biegsamkeit der Seele gehört dazu, sich so ganz diesen rohen Witz, diese kühne Phantasie, dies Nationalgefühl fremder Zeiten zu geben und es nach den unsrigen zu modernisieren! Aber eben damit würde auch nicht bloß in die Geschichte, Denkart und Literatur des Landes, sondern überhaupt in die dunkle Gegend der menschlichen Seele eine Fackel getragen, wo sich die Begriffe durchkreuzen und verwickeln! wo die verschiedenste Gefühle einander erzeugen; wo eine dringende Gelegenheit alle Kräfte der Seele aufbietet und die ganze Erfindungskunst, der sie fähig ist, zeiget. Jeder Schritt wäre in einem solchen Werk Entdeckung! und jede neue Bemerkung der vollständigste Beweis von der Menschlichkeit des Ursprungs der Sprache.

Schultens hat sich an der Entwicklung einiger solchen Originum der hebräischen Sprache Ruhm erworben: jede Entwicklung[174] ist eine Probe meiner Regel: ich glaube aber, vieler Ursachen wegen, nicht, daß die Origines der ersten menschlichen Sprache, wenn es auch die Hebräische wäre, je vollständig entwickelt werden können – –

Ich folgre noch eine Anmerkung, die zu allgemein und wichtig ist, um übergangen zu werden. Der Grund der kühnen Wortmetaphern lag in der ersten Empfindung; aber wie? wenn spät nachher, wenn schon alles Bedürfnis weggefallen ist, aus bloßer Nachahmungssucht oder Liebe zum Altertum dergleichen Wort- und Bildergattungen bleiben? und gar noch ausgedehnt und erhöhet werden? Denn, o denn wird der erhabne Unsinn, das aufgedunsne Wortspiel daraus, was es im Anfang eigentlich nicht war. Dort war's kühner, männlicher Witz, der denn vielleicht am wenigsten spielen wollte, wenn er am meisten zu spielen schien! es war rohe Erhabenheit der Phantasie, die solch Gefühl in solchem Worte herausarbeitete; aber nun im Gebrauche schaler Nachahmer, ohne solches Gefühl, ohne solche Gelegenheit – ach! Ampullen von Worten ohne Geist! und das ist das Schicksal aller derer Sprachen in spätern Zeiten gewesen, deren erste Formen so kühn waren. Die spätern französischen Dichter können sich nicht versteigen, weil die ersten Erfinder ihrer Sprache sich nicht verstiegen haben: ihre ganze Sprache ist Prose der gesunden Vernunft und hat ursprünglich fast kein poetisches Wort, das dem Dichter eigen wäre; aber die Morgenländer? die Griechen? die Engländer? und wir Deutschen?

Daraus folgt: daß je älter eine Sprache ist, je mehr solcher Kühnheiten in ihren Wurzeln ist, hat sie lange gelebt, sich lange fortgebildet, um so weniger muß man auf jede Kühnheit des Ursprungs losdringen, als wenn jeder dieser sich durchkreuzenden Begriffe auch jedesmal in jedem späten Gebrauch mitgedacht worden wäre. Die Metapher des Anfangs war Drang zu sprechen; nimmt man's nachher in jedem Fall, wo das Wort schon geläufig geworden war und seine Schärfe abgenutzt hatte, für Fruchtbarkeit und Energie, als solche Sonderbarkeiten zu verbinden – was für klägliche Beispiele wimmern da in ganzen Schulen der morgenländischen Sprachen!

Noch eins. Wenn gar an solchen kühnen Wortkämpfen, an solchen Versetzungen der Gefühle in einen Ausdruck, an solchen Durchkreuzungen der Ideen ohne Regel und Richtschnur – gewisse feine Begriffe eines Dogma, eines Systems[175] kleben – oder daran geheftet werden – oder daraus untersucht werden sollen; – Himmel! wie wenig waren diese Wortversuche einer werdenden oder frühgewordnen Sprache Definitionen eines Systems, und wie oft kommt man in den Fall, Wortidole zu schaffen, an die der Erfinder oder der spätere Gebrauch nicht dachte! – – Doch solche Anmerkungen wären unendlich: ich gehe zu einem neuen Kanon:

III. »Je ursprünglicher eine Sprache ist, je häufiger solche Gefühle sich in ihr durchkreuzen, desto weniger können diese sich genau und logisch untergeordnet sein. Die Sprache ist reich an Synonymen: bei aller wesentlichen Dürftigkeit hat sie den größten unnötigen Überfluß.«

Die Verteidiger des göttlichen Ursprunges, die in allem göttliche Ordnung zu finden wissen, können ihn hier schwerlich finden und leugnen die Synonyme21 – Sie leugnen? wohlan nun, laß es sein, daß unter den 50 Wörtern, die der Araber für den Löwen, unter den 200, die er für die Schlange, unter den 80, die er für den Honig, und mehr als 1000, die er fürs Schwert hat, sich feine Unterschiede finden oder gefunden hätten, die aber verlorengegangen wären – warum waren sie da, wenn sie verlorengehen mußten? Warum erfand Gott einen unnötigen Wortschatz, den nur, wie die Araber sagen, ein göttlicher Prophet in seinem ganzen Umfange fassen konnte? erfand er ins Leere der Vergessenheit? Vergleichungsweise aber sind diese Worte doch immer Synonymen, in Betracht der vielen andern Ideen, für die Wörter gar mangeln – nun entwickle man doch darin göttliche Ordnung, daß Er, der den Plan der Sprache übersahe, für den Stein 70 Wörter erfand und für alle so nötige Ideen, innerliche Gefühle, und Abstraktionen keine? daß er dort mit unnötigem Überfluß überhäufte, hier in der größten Dürftigkeit ließ, zu stehlen, Metaphern zu usurpieren, halben Unsinn zu reden usw.

Menschlich erklärt sich die Sache von selbst. So uneigentlich schwere, seltne Ideen ausgedrückt werden mußten: so häufig konnten's die vorliegenden und leichten. Je unbekannter man mit der Natur war; von je mehrern Seiten man sie aus Unerfahrenheit ansehen und kaum wiedererkennen konnte; je weniger man a priori, sondern nach sinnlichen Umständen erfand: desto mehr Synonyme! Je mehrere erfanden, je umherirrender und abgetrennter sie erfanden, und doch nur[176] meistens in einem Kreise für einerlei Sachen erfanden; wenn sie nachher zusammenkamen, wenn ihre Sprachen in einen Ozean von Wörterbuch flossen: desto mehr Synonyme! Verworfen konnten alle nicht werden; denn welche sollten's? sie waren bei diesem Stamm, bei dieser Familie, bei diesem Dichter bräuchlich; es ward also, wie jener arabische Wörterbuchschreiber sagt, da er 400 Wörter von Elend aufgezählt hatte, das vierhunderterste Elend, die Wörter des Elends aufzählen zu müssen. Eine solche Sprache ist reich, weil sie arm ist, weil ihre Erfinder noch nicht Plan gnug hatten, arm zu werden – und der müßige Erfinder eben der unvollkommensten Sprache wäre Gott?

Die Analogien aller wilden Sprachen bestätigen meinen Satz: jede ist auf ihre Weise verschwenderisch und dürftig: nur jede auf eigne Art. Wenn der Araber für Stein, Kamel, Schwert, Schlange (Dinge, unter denen er lebt!) so viel Wörter hat, so ist die ceylanische Sprache, den Neigungen ihres Volks gemäß, reich an Schmeicheleien, Titeln und Wortgepränge. Für das Wort »Frauenzimmer« hat sie nach Stand und Range zwölferlei Namen, da selbst wir unhöfliche Deutsche z. E. hierin von unsern Nachbarn borgen müssen. Nach Stand und Range wird das Du und Ihr auf achterlei Weise gegeben, und das sowohl vom Tagelöhner als vom Hofmanne: der Wust ist Form der Sprache. In Siam gibt es achterlei Manieren, ich und wir zu sagen, nachdem der Herr mit dem Knechte oder der Knecht mit dem Herrn redet. Die Sprache der wilden Kariben ist beinahe in zwo Sprachen, der Weiber und Männer verteilt, und die gemeinsten Sachen: Bette, Mond, Sonne, Bogen benennen beide anders; welch ein Überfluß von Synonymen! Und doch haben ebendiese Kariben nur vier Wörter für die Farben, auf die sie alle andre beziehen müssen – welche Armut! – Die Huronen haben jedesmal ein doppeltes Verbum für eine beseelte und unbeseelte Sache: so daß Sehen bei »einen Stein sehen« und Sehen bei »einen Menschen sehen« immer zween verschiedne Ausdrücke sind – man verfolge das durch die ganze Natur – welch ein Reichtum! »Sich seines Eigentums bedienen« oder »des Eigentums dessen, mit dem man redet« hat immer zwei verschiedne Wörter – welch ein Reichtum! – In der peruanischen Hauptsprache nennen sich die Geschlechter so sonderbar abgetrennt, daß die Schwester des Bruders und die Schwester der Schwester, das Kind des Vaters[177] und der Mutter ganz verschieden heißt, und doch hat ebendiese Sprache keinen wahren Pluralis! – Jede dieser Synonymien hängt so sehr mit Sitte, Charakter und Ursprung des Volks zusammen; überall aber charakterisiert sich der erfindende menschliche Geist. – Ein neuer Kanon:

IV. »So wie die menschliche Seele sich keiner Abstraktion aus dem Reiche der Geister erinnern kann, zu der sie nicht durch Gelegenheiten und Erweckungen der Sinne gelangte: so hat auch keine Sprache ein Abstraktum, zu dem sie nicht durch Ton und Gefühl gelangt wäre. Und je ursprünglicher die Sprache, desto weniger Abstraktionen, desto mehr Gefühle.« Ich kann in diesem unermeßlichen Felde wieder nur Blumen brechen:

Der ganze Bau der morgenländischen Sprachen zeuget, daß alle ihre Abstrakta voraus Sinnlichkeiten gewesen: der Geist war Wind, Hauch, Nachtsturm! Heilig hieß abgesondert, einsam; die Seele hieß der Othem; der Zorn das Schnauben der Nase usw. Die allgemeinem Begriffe wurden ihr also erst später durch Abstraktion, Witz, Phantasie, Gleichnis, Analogie usw. angebildet – im tiefsten Abgrunde der Sprache liegt keine einzige!

Bei allen Wilden findet dasselbe nach Maß der Kultur statt. In der Sprache von Barantola wußte man nicht heilig und bei den Hottentotten nicht das Wort Geist zu finden. Alle Missionarien in allen Weltteilen klagen über die Schwürigkeit, christliche Begriffe den Wilden in ihren Sprachen mitzuteilen, und doch dürften diese Mitteilungen ja nimmer eine scholastische Dogmatik, sondern nur die gemeinen Begriffe des gemeinen Verstandes sein. Wenn man hie und da Proben dieses Vertrages unter den Wilden, auch nur unter den ungebildeten Sprachen Europens, z. E. der lappländischen, finnischen, estnischen, übersetzt lieset und die Sprachlehren und Wörterbücher dieser Völker siehet: so werden die Schwürigkeiten offenbar.

Will man den Missionarien nicht glauben: so lese man die Philosophen, de la Condamine in Peru und am Amazonenstrome, Maupertuis in Lappland usw. Zeit, Dauer, Raum, Wesen, Stoff, Körper, Tugend, Gerechtigkeit, Freiheit, Erkenntlichkeit – sind im Munde der Peruaner nicht, wenn sie gleich mit ihrer Vernunft oft zeigen, daß sie nach diesen Begriffen schließen, und mit ihren Taten zeigen, daß sie die Tugenden haben. Solange sie die[178] Idee nicht als Merkmal sich deutlich gemacht: so haben sie dazu kein Wort.

Wo also solche Worte in die Sprache hineingekommen, siehet man ihnen offenbar ihren Ursprung an. Die Kirchensprache der russischen Nation ist meistens griechisch: die christlichen Begriffe der Letten sind deutsche Worte, oder deutsche Begriffe lettisiert. Der Mexikaner, der seinen armen Sünder ausdrücken will, malt ihn wie einen Knienden, der Ohrenbeicht ableget, und seine Dreieinigkeit wie drei Gesichte mit Scheinen. Man weiß, auf welchen Wegen die meisten Abstraktionen in unsre wissenschaftliche Sprache gekommen sind, in Theologie und Rechtsgelehrsamkeit, in Philosophie und andre. Man weiß, wie oft Scholastiker und Polemiker nicht einmal mit Worten ihrer Sprache streiten konnten, und also Streitgewehr (Hypostasis und Substanz, όμοουσιος und όμοιουσιος) aus denen Sprachen herüberholen mußten, in denen die Begriffe abstrahiert, in denen das Streitgewehr geschärft war! Unsre ganze Psychologie, so verfeinert und bestimmt sie ist, hat kein eigentliches Wort.

Dies ist so wahr, daß es sogar Schwärmern und Entzückten nicht möglich ist, ihre neue Geheimnisse aus der Natur, aus Himmel und Hölle anders als durch Bilder und sinnliche Vorstellungen zu charakterisieren. Schwedenborg konnte seine Engel und Geister nicht anders als aus allen Sinnen zusammenwittern, und der erhabne Klopstock – jenem die größeste Antithese! – seinen Himmel und Hölle nicht anders als aus sinnlichen Materialien bauen. Der Neger wittert sich seine Götter vom Gipfel der Bäume herunter, und der Chingulese erhört sich seinen Teufel aus dem Geklatsche der Wälder. Ich bin einigen dieser Abstraktionen unter verschiednen Völkern, in verschiednen Sprachen nachgeschlichen und habe die sonderbarsten Erfindungskunstgriffe des menschlichen Geistes wahrgenommen; der Gegenstand ist viel zu groß; der Grund ist immer derselbe. Wenn der Wilde denkt, daß dies Ding einen Geist hat: so muß ein sinnliches Ding dasein, aus dem er sich den Geist abstrahiert. Nur hat die Abstraktion ihre sehr verschiedne Arten, Stufen und Methoden. Das leichteste Beispiel, daß keine Nation in ihrer Sprache mehr und andre Wörter habe, als sie abstrahieren gelernt, sind die ohne Zweifel sehr leichte Abstraktionen, die Zahlen. Wie wenige haben die meisten Wilden, so reich, vortrefflich und ausgebildet ihre Sprachen sein mögen! nie mehr,[179] als sie brauchten. Der handelnde Phönizier war der erste, der die Rechenkunst erfand; der seine Herde überzählende Hirte lernt auch zählen; die Jagdnationen, die nie vielzählige Geschäfte haben, wissen eine Armee nicht anders zu bezeichnen als wie Haare auf dem Haupt! wer mag sie zählen? wer, der nie so weit hinauf gezählt hat, hat dazu Worte?

Ist's möglich, von allen diesen Spuren des wandelnden, sprachschaffenden Geistes wegzusehen und Ursprung in den Wolken zu suchen? Was hat man für einen Beweis von einem einzigen Worte, was nur Gott erfinden konnte? Existiert in irgendeiner Sprache nur ein einziger reiner, allgemeiner Begriff, der dem Menschen vom Himmel gekommen? wo ist er auch nur möglich?22 – Und was für 1000000 Gründe und Analogien und Beweise von der Genesis der Sprache in der menschlichen Seele, nach den menschlichen Sinnen und Seharten! Was für Beweise von der Fortwandrung der Sprache mit der Vernunft und ihrer Entwicklung aus derselben unter allen Völkern, Weltgürteln und Umständen! welches Ohr ist, das diese allgemeine Stimme der Nationen nicht höre?

Und doch seh ich mit Verwundrung, daß Hr. Süßmilch sich wieder mit mir begegne und auf dem Wege göttliche Ordnung finde, wo ich die allermenschlichste entdecke.23 »Daß man noch zur Zeit keine Sprache entdeckt hat, die ganz zu Künsten und Wissenschaften ungeschickt gewesen«, was zeugt denn das anders, als daß keine Sprache viehisch, daß sie alle menschlich sind? Wo hat man denn einen Menschen entdeckt, der ganz zu Künsten und Wissenschaften ungeschickt wäre, und war das ein Wunder? oder nicht eben die gemeinste Sache, weil er Mensch war? »Alle Missionarien haben mit den wildesten Völkern reden und sie überzeugen können: das konnte ohne Schlüsse und Gründe nicht geschehen: ihre Sprachen mußten also terminos abstractos enthalten usw.« Und wenn das, so war's göttliche Ordnung? oder war es nicht eben die menschlichste Sache, sich Worte zu abstrahieren, wo man sie brauchte? Und welches Volk hat je eine einzige Abstraktion in seiner Sprache gehabt, die es sich nicht selbst erworben? Und waren denn bei allen Völkern gleich viel? Konnten die Missionarien sich überall gleich leicht ausdrucken, oder hat man nicht das[180] Gegenteil aus allen Weltteilen gelesen? Und wie druckten sie sich denn aus, als daß sie ihre neuen Begriffe der Sprache nach Analogie derselben anbogen? Und geschähe dies überall auf gleiche Art? – Über das Faktum wäre so viel, so viel zu sagen! der Schluß sagt gar das Gegenteil. Eben weil die menschliche Vernunft nicht ohne Abstraktion sein kann und jede Abstraktion nicht ohne Sprache wird: so muß die Sprache auch in jedem Volk Abstraktionen enthalten, das ist, ein Abdruck der Vernunft sein, von der sie ein Werkzeug gewesen. Wie aber jede nur soviel enthält, als das Volk hat machen können, und keine einzige, die ohne Sinne gemacht wäre, als welches ihr ursprünglich sinnlicher Ausdruck zeigt: so ist nirgends göttliche Ordnung zu sehen, als – sofern die Sprache durchaus menschlich ist.

V. Endlich: »da jede Grammatik nur eine Philosophie über die Sprache und eine Methode ihres Gebrauchs ist, so muß, je ursprünglicher die Sprache, desto weniger Grammatik in ihr sein, und die älteste ist bloß das vorangezeigte Wörterbuch der Natur!« Ich reiße einige Steigerungen ab.

1. Deklinationen und Konjugationen sind nichts anders als Verkürzungen und Bestimmungen des Gebrauchs der Nominum und Verborum nach Zahl, Zeit und Art und Person. Je roher also eine Sprache, desto unregelmäßiger ist sie in diesen Bestimmungen und zeigt bei jedem Schritte den Gang der menschlichen Vernunft. Hintenan ohne Kunst des Gebrauchs ist sie simples Wörterbuch.

2. Wie Verba einer Sprache eher sind als die von ihnen rund abstrahierten Nomina: so auch anfangs um so mehr Konjugationen, je weniger man Begriffe untereinander zu ordnen gelernt hat. Wie viel haben die Morgenländer! und doch sind's eigentlich keine, denn was gibt's noch immer für Verpflanzungen und Umwerfungen der Verborum aus Konjugation in Konjugation! Die Sache ist ganz natürlich. Da nichts den Menschen so angeht und wenigstens so sprachartig ihn trifft, als was er erzählen soll. Taten, Handlungen, Begebenheiten: so müssen sich ursprünglich eine solche Menge Taten und Begebenheiten sammeln, daß fast für jeden Zustand ein neues Verbum wird. »In der huronischen Sprache wird alles konjugiert. Eine Kunst, die nicht kann erkläret werden, läßt darin von den Zeitwörtern die Nenn-, die Für-, die Zuwörter unterscheiden. Die einfachen Zeitwörter haben eine doppelte Konjugation, eine für sich und eine, die sich auf andre Dinge beziehet. Die dritten Personen[181] haben die beiden Geschlechter. Was die Tempora anbetrifft, findet man die feinen Unterschiede, die man z. E. im Griechischen bemerket; ja wenn man die Erzählung einer Reise tun will, so drückt man sich verschieden aus, wenn man sie zu Lande und zu Wasser getan hat. Die Activa vervielfältigen sich so oft, als es Sachen gibt, die unter das Tun kommen; das Wort essen verändert sich mit jeder eßbaren Sache. Das Tun einer beseelten Sache wird anders ausgedrückt als einer unbeseelten. Sich seines und des Eigentums dessen bedienen, mit dem man redet, hat zweierlei Ausdruck usw.« Man denke sich alle diese Vielheit von Verbis, Modis, Temporibus, Personen, Zuständen, Geschlechtern usw., welche Mühe und Kunst, das einigermaßen untereinander zu bringen? aus dem, was ganz Wörterbuch war, einigermaßen Grammatik zu machen? – Des P. Lery Grammatik der Topinambuer in Brasilien zeigt ebendasselbe! – Denn wie das erste Wörterbuch der menschlichen Seele eine lebendige Epopee der tönenden, handelnden Natur war: so war die erste Grammatik fast nichts als ein philosophischer Versuch, diese Epopee zur regelmäßigem Geschichte zu machen. Sie zerarbeitet sich also mit lauter Verbis und arbeitet in einem Chaos, was für die Dichtkunst unerschöpflich; mehr geordnet, sehr reich für die Bestimmung der Geschichte; am spätsten aber für Axiome und Demonstrationen brauchbar ist.

3. Das Wort, was unmittelbar auf den Schall der Natur, nachahmend, folgte: folgte schon einem Vergangnen: Präterita sind also die Wurzeln der Verborum, aber Präterita, die noch fast für die Gegenwart gelten. A priori ist das Faktum sonderbar und unerklärlich, da die gegenwärtige Zeit die erste sein müßte, wie sie es auch in allen spätergebildeten Sprachen geworden; nach der Geschichte der Spracherfindung konnte es nicht anders sein. Die Gegenwart zeigt man; aber das Vergangne muß man erzählen. Und da man dies auf so viel Art erzählen konnte und anfangs im Bedürfnis, Worte zu finden, es so vielfältig tun mußte: so wurden in allen alten Sprachen viel Präterita, aber nur ein oder kein Präsens. Dessen hatte sich nun in den gebildetem Zeiten Dichtkunst und Geschichte sehr, die Philosophie aber sehr wenig zu erfreuen, weil die keinen verwirrenden Vorrat liebt. – Hier sind wieder Huronen, Brasilianer, Morgenländer und Griechen gleich: überall Spuren vom Gange des menschlichen Geistes![182]

4. Alle neuere philosophische Sprachen haben das Nomen feiner, das Verbum weniger, aber regelmäßiger modifiziert: denn die Sprache erwuchs mehr zur kalten Beschauung dessen, was da ist und was gewesen ist, als daß sie noch ein unregelmäßig stammelndes Gemisch von dem, was etwa gewesen ist, geblieben wäre. Jenes gewöhnte man sich, nacheinander zu sagen, und also durch Numeros und Artikel und Kasus usw. zu bestimmen; die alten Erfinder wollten alles auf einmal sagen, nicht bloß, was getan wäre, sondern wer es getan, wenn, wie und wo es geschehen.24 Sie brachten also in die Nomina gleich den Zustand: in jede Person des Verbi gleich das Genus: sie unterschieden gleich durch Prä- und Afformativa: durch Af- und Suffixa: Verbum und Adverbium, Verbum und Nomen, alles floß zusammen. Je später, desto mehr wurde unterschieden und hergezählt: aus den Hauchen wurden Artikel, aus den Ansätzen Personen, aus den Vorsätzen Modi oder Adverbia: die Teile der Rede flossen auseinander: nun ward allmählich Grammatik. So ist diese Kunst zu reden, diese Philosophie über die Sprache erst langsam und Schritt vor Schritt, Jahrhunderte und Zeiten hinab gebildet, und der erste Kopf, der an eine wahre Philosophie der Grammatik, an »die Kunst zu reden!« denkt, muß gewiß erst die Geschichte derselben durch Völker und Stufen hinab überdacht haben. Hätten wir doch eine solche Geschichte! Sie wäre mit allen Fortgängen und Abweichungen eine Charte von der Menschlichkeit der Sprache.

5. Aber wie hat eine Sprache ganz ohne Grammatik bestehen können? ein bloßer Zusammenfluß von Bildern und Empfindungen ohne Zusammenhang und Bestimmung? – Für beide war gesorgt: es war lebende Sprache. Da gab die große Einstimmung der Gebärden gleichsam den Takt und die Sphäre, wohin es gehörte; und der große Reichtum der Bestimmungen, der im Wörterbuch selbst lag, ersetzte die Kunst der Grammatik. Sehet die alte Schrift der Mexikaner! sie malen lauter einzelne Bilder; wo kein Bild in die Sinne fällt, haben sie sich über Striche vereinigt, und den Zusammenhang zu allem muß die Welt geben, in die es gehört, aus der es geweissagt wird. Diese Weissagungskunst, aus einzelnen Zeichen Zusammenhang zu erraten – wie weit können sie noch nur einzelne Stumme und Taube treiben! und wenn diese Kunst selbst mit zur Sprache gehört, von Jugend auf, als Sprache, mitgelernt wird; wenn sie sich[183] mit der Tradition von Geschlechtern immer mehr erleichtert und vervollkommet: so sehe ich nichts Unbegreifliches. – – – Je mehr sie aber erleichtert wird, desto mehr nimmt sie ab; desto mehr wird Grammatik – und das ist Stufengang des menschlichen Geistes!

Proben davon sind z. E. des la Loubère Nachrichten von der siamischen Sprache: wie ähnlich ist sie noch dem Zusammenhange der Morgenländer, insonderheit ehe durch spätere Bildung noch mehr von ihm hineinkam. Der Siamer will sagen: »Wäre ich zu Siam, so wäre ich vergnügt!«, und sagt: »Wenn ich sein Stadt Siam; ich wohl Herz viel!« – Er will das Vaterunser beten: und muß sagen: »Vater, uns sein Himmel! Namen Gottes wollen heiligen aller Ort« usw. – wie morgenländisch und ursprünglich ist das? geradeso zusammenhangend als eine Mexikanische Bilderschrift oder das Stammeln der Ungelehrigen aus fremden Sprachen!

6. Ich muß hier noch eine Sonderbarkeit erklären, die ich auch in Herrn Süßmilchs göttlicher Ordnung mißverstanden sehe: »nämlich die Mannigfaltigkeit der Bedeutungen eines Worts nach dem Unterschiede kleiner Artikulationen!« Ich finde diesen Kunstgriff fast unter allen Wilden, wie ihn z. E. Garcilaso di Vega von den Peruanern, Condamine von den Brasilianern, la Loubère von den Siamesen, Resnel von den Nordamerikanern anführt. Ich finde ihn ebenso bei den alten Sprachen, z. E. der chinesischen und den morgenländischen, vorzüglich der hebräischen, wo ein kleiner Schall, Akzent, Hauch die ganze Bedeutung ändert, und ich finde doch nichts als etwas sehr Menschliches in ihm, Dürftigkeit und Bequemlichkeit der Erfinder! Sie hatten ein neues Wort nötig; und da das müßige Erfinden aus leerem Kopf so schwer ist: so nahmen sie ein ähnliches mit der Veränderung vielleicht nur eines Hauchs. Das war Gesetz der Sparsamkeit, ihnen anfangs bei ihren sich durchwebenden Gefühlen sehr natürlich und bei ihrer mächtigern Aussprache der Wörter noch ziemlich bequem; aber für einen Fremden, der sein Ohr nicht von Jugend auf daran gewöhnt hat und dem die Sprache jetzt mit Phlegma, wo der Schall halb im Munde bleibt, vorgezischt wird, macht dies Gesetz der Sparsamkeit und Notdurft die Rede unvernehmlich und unaussprechlich. Je mehr eine gesunde Grammatik in die Sprachen Haushaltung eingeführt, desto minder wird diese Kargheit nötig – also gerade das Gegenteil als Kennzeichen göttlicher[184] Erfindung, wo der Erfinder sich gewiß sehr schlecht zu helfen gewußt, wenn er so etwas nötig hatte.

7. Am offenbarsten wird endlich der Fortgang der Sprache durch die Vernunft und der Vernunft durch die Sprache, wenn diese schon einige Schritte getan, wenn in ihr schon Stücke der Kunst, z.B. Gedichte, existieren, wenn Schrift erfunden ist, wenn sich eine Gattung der Schreibart nach der andern ausbildet. Da kann kein Schritt getan, kein neues Wort erfunden, keine neue glückliche Form in Gang gebracht werden, wo nicht Abdruck der menschlichen Seele liege. Da kommen durch Gedichte Silbenmaße, Wahl der stärksten Worte und Farben, Ordnung und Schwung der Bilder, da kommt durch Geschichte Unterschied der Zeiten, Genauigkeit des Ausdrucks, da kommt endlich durch die Redner die völlige Rundung des Perioden in die Sprache. So wie nun vor jedem solchen Zusatz nichts dergleichen vorher in der Sprache da lag, aber alles durch die menschliche Seele hineingebracht wurde und hineingebracht werden konnte: wo will man dieser Hervorbringung, dieser Fruchtbarkeit Grenzen setzen? wo will man sagen: hier fing die menschliche Seele zu würken an, aber eher nicht? Hat sie das Feinste, das Schwerste erfinden können, warum nicht das Leichteste? Konnte sie zustande bringen, warum nicht Versuche machen, warum nicht anfangen? Denn was war doch der Anfang als die Produktion eines einzigen Worts, als Zeichen der Vernunft, und das mußte sie, blind und stumm in ihrem Innern, so wahr sie Vernunft besaß.

Ich bilde mir ein, das Können der Erfindung menschlicher Sprache sei mit dem, was ich gesagt, von innen aus der menschlichen Seele, von außen aus der Organisation des Menschen und aus der Analogie aller Sprachen und Völker, teils in den Bestandteilen aller Rede, teils im ganzen großen Fortgange der Sprache mit der Vernunft so bewiesen, daß wer dem Menschen nicht Vernunft abspricht, oder, was ebensoviel ist, wer nur weiß, was Vernunft ist; wer sich ferner je um die Elemente der Sprache philosophisch bekümmert; wer dazu die Beschaffenheit und Geschichte der Sprachen auf dem Erdboden mit dem Auge des Beobachters in Rücksicht genommen, der kann nicht einen Augenblick zweifeln, wenn ich auch weiter kein Wort mehr hinzusetzte. Die Genesis in der menschlichen Seele ist so demonstrativ als irgendein philosophischer Beweis, und die äußere Analogie aller Zeiten, Sprachen[185] und Völker solch ein Grad der Wahrscheinlichkeit, als bei der gewissesten Sache der Geschichte möglich ist. Indessen um auf immer allen Einwendungen vorzubeugen und den Satz gleichsam auch äußerlich so gewiß zu machen, als eine philosophische Wahrheit sein kann: so lasset uns noch aus allen äußern Umständen und aus der ganzen Analogie der menschlichen Natur beweisen: daß der Mensch sich seine Sprache hat erfinden müssen, und unter welchen Umständen er sie sich am füglichsten habe erfinden können.

17

Philos. Transact. – Abridgment – auch in Cheseldens Anatomy, in Smith-Kästners Optik, in Buffons Naturgeschichte, Encyklopädie und zehn kleinen französischen Wörterbüchern unter »Aveugle«.

18

Diderot ist in seinem ganzen Briefe »Sur les sourds et muets« kaum auf diese Hauptmaterie gekommen, da er sich nur bei Inversionen und hundert andern Kleinigkeiten aufhält.

19

»Œuvres philosophiques«, publitées p. Raspe, p. 232.

20

Brown.

21

Süßmilch, § 9.

22

Die beste Abhandlung, die ich über diese Materie kenne, ist eines Engländers; »Things Divine and Supernatural Conceived by Analogy with Things Natural and Human«, Lond. 1755. By the author of »The Procedure, Extent und Limits of Human Understanding«.

23

Süßmilch, § 11.

24

Rousseau hat diesen Sitz in seiner Hypothese diviniert, den ich hier bestimme und beweise.

Quelle:
Sturm und Drang. Weltanschauliche und ästhetische Schriften. Band 1, Berlin und Weimar 1978, S. 157-186.
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