Sechste Scene.


[411] Vorige. Brünnow der inzwischen eingetreten, tritt plötzlich vor.


BRÜNNOW.

Mein Herr Commandant, ich komme

Zu melden, daß Ihr ganzes Offiziercorps

Gewärtig ist, den neuen Chef zu grüßen.

Erlauben Sie, den Bürgern Ihren Namen

Zu nennen: Herr Major von Gneisenau,

Dem Seine Majestät die Commandantschaft

Von Colberg anvertraut.


Bewegung unter den Bürgern.


GNEISENAU.

Ja, meine Freunde,

Mein Herr und König hat mich hergesandt,[411]

Sein treues Colberg, neben Danzig jetzt

Das letzte Bollwerk, das die Küste schirmt,

Mit aller Macht zu halten. Sag' ich's nur:

Ich kam nicht leichten Herzens, und der Anblick

Der lang versäumten Werke war kein froher.

Doch dieser Mann hier


Auf Nettelbeck zeigend.


sprach das rechte Wort:

Das Herz giebt hier den Ausschlag, und dies Herz

Fand ich so wacker, daß ich freudig hoffe,

Das Zutrau'n meines Königs nicht zu täuschen,

Die Stadt zu retten, oder wenn der Drang

Der Uebermacht zu furchtbar um uns schwillt,

Mich unter Colberg's Trümmern zu begraben.

Und so, nicht nur als Commandant, als Bürger

Und Freund der Bürger tret' ich unter euch,

Und bitte: steht zu mir, wie ich zu euch

Vertraut mir, helft mir, harret aus mit mir;

Der Ausgang steht bei Gott. Darauf schlagt ein!

NETTELBECK.

Amen!


Gneisenau's Hand fassend.


Mit diesem Handschlag, Herr Major,

Gelob' ich Ihnen Treue bis zum Tod

Im Namen Colberg's.

DIE BÜRGER lebhaft einfallend.

Treue bis zum Tod!

GNEISENAU.

Wohlan! Noch diese Nacht fordr' ich von euch

Den ersten Dienst. Denn merken soll der Feind

Daß andres Regiment hier eingekehrt.

Ich will die Nacht zu einem Ausfall nützen,

Sein Schanzenwerk zu stören. Euch vertrau' ich

Den Wall- und Postendienst. In einer Stunde

Erwart' ich euch in Waffen auf dem Markt.

Bis dahin – Gott befohlen! Ihr, mein Freund,


Zu Nettelbeck.
[412]

Begleitet mich; denn Eu'r erprobter Rath

Soll mir vor Allem jetzt zur Seite stehen.

NETTELBECK.

Zuviel der Ehre! Doch mein Schöpfer weiß,

Ich suche nur die Ehre meiner Stadt

Und meines Vaterlands. Es lebe der König

Und unser neuer Commandant!

BÜRGER.

Hoch! Hoch!


Gneisenau und Nettelbeck gehen hinaus, ihnen nach die Bürger, Würges mit triumphierender Miene auf Gneisenau zeigend.

Der Vorhang fällt.


Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke. Band 10, Berlin 1872–1910, S. 411-413.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Colberg
Dramatische Dichtungen: Bändchen 5. Colberg
Colberg: Historisches Schauspiel in Fünf Akten (German Edition)

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Condor / Das Haidedorf

Der Condor / Das Haidedorf

Die ersten beiden literarischen Veröffentlichungen Stifters sind noch voll romantischen Nachklanges. Im »Condor« will die Wienerin Cornelia zwei englischen Wissenschaftlern beweisen wozu Frauen fähig sind, indem sie sie auf einer Fahrt mit dem Ballon »Condor« begleitet - bedauerlicherweise wird sie dabei ohnmächtig. Über das »Haidedorf« schreibt Stifter in einem Brief an seinen Bruder: »Es war meine Mutter und mein Vater, die mir bei der Dichtung dieses Werkes vorschwebten, und alle Liebe, welche nur so treuherzig auf dem Lande, und unter armen Menschen zu finden ist..., alle diese Liebe liegt in der kleinen Erzählung.«

48 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon