5.
Tagtäglich

[61] Tagtäglich wispert die Kritik:

»O wirf ihn fort den Hungerknochen!

Es hat die leidige Politik

Schon Manchem hier den Hals gebrochen.


Auch meine Galle schwimmt in Groll,

Doch wozu ihn versificiren?

Die Welt ist heute prosatoll

Und wird ihn schwerlich honoriren.


Such lieber hohe Protection,

Dein Sozialismus ist uns schnuppe,

Denn schliesslich wärmst du nur, mein Sohn,

Die achtundvierzger Bettelsuppe.


Drum still, du Sturm im Wasserglas,

Und reime fortab nur auf »Triebe« –

Du säst wie Lucifer nur Hass,

Das Herz der Kunst heisst aber Liebe!«[61]


Ich hör's und fluche: Sapprement!

Zwar lieblich locken die Moneten,

Doch fehlt mir leider das Talent

Zum schwarzweissrothen Hofpoeten.


Ich pfeif auf euern Fahneneid,

Ich pfeif auf eure feigen Possen!

Ins schwarze Schuldbuch unsrer Zeit

Sind meine Verse rothe Glossen!


Drum bitte, mir drei Schritt vom Leib

Mit euern Tombackpoesieen

Und zischt nicht wie ein feiles Weib:

Tritt ein in unsre Koterieen!


Thät ich's, ich wär ein Halb-Poet,

So aber ruf ich durch die Gassen:

Die Welt, die sich um Liebe dreht,

Weiss auch das Hungertuch zu hassen![62]


Quelle:
Arno Holz: Buch der Zeit. Berlin 21892, S. 61-63.
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