6.
Weder Glück noch Stern!

[108] Es war ein Narr! sprach mitleidslos die Welt,

Ein Träumer! milderte die Nachbarschaft

Und nur sein Herzfreund sprach: Er war ein Dichter!


Vor seinem Krankenlager aber sass

Die bleiche Schwester der Barmherzigkeit

Und blickte sinnend auf ein Blatt Papier,

Das gestern erst der flinke Telegraph,

Mit seinen krausen Zügen überdeckt,

Und nur mit Mühe konnte sie entziffern:

»Ihr erstes Stück! Ein Sensationserfolg!

Berühmt mit einem Schlag! Wir gratuliren!«

Er aber, dem dies kleine Blatt Papier

Die heissersehnte Botschaft künden sollte:

Glück auf, nun hast du nicht umsonst gelebt –

Er schlief und sah es nicht, denn er war todt.

Der dunkle Winterabend warf sein Licht

Kalt durch die zugefrornen Fensterscheiben

Und spielte zitternd um ein Frauenbild,

Das auf die bleiche Stirn des todten Dulders

Unsäglich schön und mitleidsvoll herabsah.[108]


Darunter aber wand ein welker Kranz

Sich grün um ein vergilbtes Atlasband;

Drauf stand, voreinst von Freundeshand geschrieben,

Das Sprüchlein: Lorbeerbaum und Bettelstab![109]


Quelle:
Arno Holz: Buch der Zeit. Berlin 21892, S. 108-110.
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