XIX. Gesang.

[334] Am Morgen bringt Thetis die Waffen und sichert den Leichnam vor Verwesung. Achilleus beruft die Achaier, entsagt dem Zorn und verlangt sogleich Schlacht. Agamemnon erkennt sein Vergehen und erbietet sich, die Geschenke holen zu lassen. Auf Odysseus' Rat nehmen die Achaier das Frühmahl, die Geschenke nebst der Briseis werden gebracht, und Agamemnon schwört, sie niemals berührt zu haben. Achilleus, ohne Nahrung, wird von Athene gestärkt und zieht mit dem Heere gerüstet zum Kampf. Sein Roß weissagt ihm nach dem heutigen Siege den nahen Tod, den er verachtet.


Eos, im Safrangewand Okeanos' Fluten entsteigend,

Hub sich, Göttern das Licht und sterblichen Menschen zu bringen.

Jene nun kam zu den Schiffen, vom Gott herbringend die Gaben.

Jetzo fand sie den Sohn gestreckt um den lieben Patroklos,

Weinend mit lauter Stimm, und viel umher der Genossen

Jammerten. Unter sie trat die silberfüßige Göttin,

Und sie faßt' ihm die Hand und redete, also beginnend:

Lieber Sohn, ihn, denk ich, nun lassen wir, herzlich betrübt zwar,

Ruhen, nachdem ihn der Rat der ewigen Götter bezwungen.

Du nimm hier von Hephästos die hochgepriesene Rüstung,

Wunderschön, wie sie nimmer ein Mann um die Schulter getragen.

Also sprach die Göttin und legete nieder die Waffen

Vor dem Sohn; da rasselte laut das Wundergeschmeide.

Alle die Myrmidonen durchdrang Furcht, keiner auch wagt' es,

Grade sie anzuschaun; sie entzitterten. Aber Achilleus,

Sowie er sah, so ergriff ihn noch stärkerer Zorn, und die Augen

Strahlten ihm unter den Wimpern wie schreckliche Flamme des Feuers;

Freudig umfaßt' und hielt er die herrliche Gabe des Gottes.

Aber nachdem er sein Herz gesättiget, schauend das Wunder,

Schnell zur Mutter gewandt die geflügelten Worte begann er:[334]

Mutter, die Waffen verlieh ein Gott mir, so wie sie wahrlich

Schafft der Unsterblichen Hand, kein sterblicher Mann sie bereitet.

Gleich denn jetzt erschein ich in Rüstungen. Aber bekümmert

Sorg ich, daß mir indes Menötios' tapferem Sprößling

Fliegen, hineingeschmiegt in die erzgeschlagenen Wunden,

Drinnen Gewürm erzeugen und ganz entstellten den Leichnam

(Denn sein Geist ist entflohn!) und der Leib hinsink in Verwesung.

Ihm antwortete drauf die silberfüßige Thetis:

Mutig, o Sohn, und laß nicht dieses dein Herz dir bekümmern.

Jenem versuch ich selber hinwegzuscheuchen die Fliegen,

Deren Geschlecht raubgierig erschlagene Männer verzehret.

Wenn er sogar daläge bis ganz zur Vollendung des Jahres,

Dennoch soll ihm der Leib unversehrt sein oder noch schöner.

Rufe demnach zur Versammlung die edelsten Helden Achaias,

Ausgesöhnt von dem Zorne mit Atreus' Sohn Agamemnon;

Schnell dann eile gewappnet zum Kampf und gürte mit Kraft dich.

Also redete jen' und gab ihm entschlossene Kühnheit.

Drauf dem Patroklos goß sie Ambrosiasaft in die Nase

Und rotfunkelnden Nektar, den Leib unversehrt zu erhalten.

Er nun ging am Gestade des Meeres, der edle Achilleus,

Schreiend mit grausem Getön, und erregte der Danaer Helden.

Jene sogar, die zuvor im Kreis der Schiffe beharret,

Auch die Steuerer selbst, die am Ruder saßen der Schiffe,

Auch die Schaffner der Schiffe, das Brot zu verteilen geordnet:

Sie auch eilten nunmehr zur Versammelung, weil Achilleus

Wieder erschien, der lange vom schrecklichen Kampfe gerastet.

Jene beid auch hinkten daher, die Genossen des Ares,

Tydeus' Sohn, der streitbare Held, und der edle Odysseus,

Matt auf die Lanze gestützt, denn sie trugen noch schmerzende Wunden;

Und sie setzten sich beid' in den vordersten Reihn der Versammlung.

Doch am spätesten kam der Herrscher des Volks Agamemnon,

Krank an der Wund; ihm hatt in schreckenvoller Entscheidung

Koon, Antenors Sohn, mit ehernem Speer sie gebohret.

Aber nachdem sich alle zusammengedrängt die Achaier,

Jetzo erstand vor ihnen und sprach der schnelle Achilleus:

Atreus' Sohn, traun, dieses war jüngst schon beiden erwünschter,

Dir und mir selber zugleich, als wir, unmutiger Seele,[335]

Mit herzkränkendem Zank uns ereiferten wegen des Mägdleins!

Hätte doch an den Schiffen der Artemis Pfeil sie getötet

Jenes Tags, da ich selbst sie erkor aus der Beute Lyrnessos',

Ehe so viel Achaier den Staub mit den Zähnen gebissen

Unter der Feinde Gewalt, weil ich im Zorne beharrte!

Hektorn war's und den Troern erfreulicher; doch die Achaier

Werden noch lang, ich meine, sich unseres Zwistes erinnern.

Aber vergangen sei das Vergangene, wie es auch kränkte;

Dennoch das Herz im Busen bezähmen wir auch mit Gewalt uns.

Meinen Zorn nun hab ich besänftiget; denn mir gebührt nicht,

Rastlos stets zu eifern voll Unmuts. Auf denn, sogleich nun

Angereizt zum Gefechte die hauptumlockten Achaier,

Daß ich noch die Troer einmal versuche begegnend,

Ob an den Schiffen zu ruhn sie geneigt sind. Mancher indes wohl

Möchte sich herzlich froh die ermüdeten Knie beugen,

Wenn er entrinnt dem blutigen Kampf und unserer Lanze!

Jener sprach's; froh wurden die hellumschienten Achaier,

Als dem Zorn entsagte der mutige Peleione.

Jetzo begann vor ihnen der Völkerfürst Agamemnon,

Dort von dem Sitz aufstehend und nicht vortretend im Kreise:

Freund', ihr Helden des Danaerstammes, o Genossen des Ares!

Ihn, der steht, anhören geziemet sich, nicht in die Red ihm

Fallen; denn solches beschwert, wie viel auch wisse der Störer.

Bei so großem Getümmel des Volks, wer vermag da zu hören,

Wer zu reden? Betäubt wird sogar ein tönender Redner.

Peleus' Sohne nunmehr erklär ich mich; aber ihr andern,

Merkt, Argeier, es wohl und beherziget jeder die Worte.

Oft schon haben mir dieses Achaias Söhne gerüget

Und mich bitter geschmäht; doch trag ich dessen die Schuld nicht,

Sondern Zeus, das Geschick und das nächtliche Schrecken Erinnys,

Die in der Volksversammlung zum heftigen Fehl mich verblendet

Jenes Tags, da ich selber Achilleus' Gab ihm entwandte.

Aber was konnt ich tun? Die Göttin wirkt ja zu allem,

Zeus' erhabene Tochter, die Schuld, die alle betöret,

Schreckenvoll; leicht schweben die Füß' ihr. Nimmer dem Grund auch

Nahet sie; nein, hoch wandelt sie her auf den Häuptern der Männer,

Reizend die Menschen zum Fehl, und wenigstens einen verstrickt sie.[336]

Ihn ja selber einmal, Zeus, irrte sie, der an Gewalt doch

Weit vor Menschen und Göttern emporragt; aber auch ihn hat

Here, wiewohl ein Weib, durch listige Ränke verleitet

Jenes Tags, wie Alkmene die hohe Kraft Herakles'

Jetzo gebären sollt in der starkummauerten Thebe.

Rühmend redete Zeus in der Schar der seligen Götter:

Hört mein Wort, ihr Götter umher und ihr Göttinnen alle,

Daß ich rede, wie mir das Herz im Busen gebietet.

Heute schafft an das Licht die ringende Eileithya

Einen Mann, der hinfort die Umwohnenden alle beherrschet

Jenes Heldengeschlechts, die aus meinem Blute gezeugt sind.

Listenreich antwortete drauf die Herrscherin Here:

Wahrlich du trügst, und nimmer zum Ausgang führst du die Rede.

Oder wohlan, gleich schwör, Olympier, heiligen Eid mir,

Daß gewiß er hinfort die Umwohnenden alle beherrsche,

Welcher an diesem Tage dem Schoß des Weibes entsinket,

Jenes Heldengeschlechts, die aus deinem Blute gezeugt sind.

Jene sprach's, doch Zeus argwöhnete nichts des Betruges,

Sondern schwur ihr den Eid und büßte darauf die Verblendung.

Here, voll Ungestüms, entschwang sich den Höhn des Olympos,

Und zur achaiischen Argos gelangte sie, wo ihr bekannt war

Sthenelos' edles Weib, des perseiadischen Königs.

Jene trug ein Knäblein, und jetzt war der siebente Monat.

Dies nun zog sie ans Licht, unzeitig annoch, und hemmte

Dort der Alkmene Geburt, die Eileithyen entfernend.

Selber nunmehr es verkündend, zu Zeus Kronion begann sie:

Vater Zeus, Strahlschwinger, ein Wort nun leg ich ans Herz dir.

Schon ist geboren der Held, der einst die Argeier beherrschet,

Sthenelos' Sohn Eurystheus, des perseiadischen Königs,

Dein Geschlecht und kein unwürdiger Herrscher für Argos.

Jene sprach's; und heftiger Gram durchwühlte das Herz ihm.

Eilend faßt' er die Schuld an den glänzenden Locken des Hauptes,

Tief im Herzen ergrimmt, und schwur den heiligen Eidschwur,

Nie zum Olympos hinfort und dem sternumleuchteten Himmel

Solle sie wiederkehren, die Schuld, die alle betöret.

Also Zeus, und warf sie vom sternumleuchteten Himmel

Aus umschwingender Hand, und sie stürzt' auf die Werke der Menschen.[337]

Diese fortan beseufzt' er, wann seinen Sohn er erblickte,

Wie mühselig er rang im harten Dienst des Eurystheus.

Also auch ich, solange der helmumflatterte Hektor

Argos' Scharen vertilgt' um die ragenden Steuer der Schiffe,

Konnt ich nicht vergessen der Schuld, die zuerst mich verblendet.

Aber nachdem ich gefehlt und Zeus die Besinnung mir wegnahm,

Will ich gern es vergelten und biet unendliche Sühnung.

Auf denn, zeuch in den Kampf und treib auch die anderen Völker!

Auch die Geschenke zu reichen erbiet ich mich, alle die gestern

Dir im Gezelt ankommend verhieß der edle Odysseus.

Oder willst du, so bleib, wie sehr dich verlangt nach der Feldschlacht,

Und dir sollen Genossen aus meinem Schiff die Geschenke

Bringen, damit du sehest, was dir zur Versöhnung ich gebe.

Ihm antwortete drauf der mutige Renner Achilleus:

Atreus' Sohn, Ruhmvoller, du Völkerfürst Agamemnon,

Ob die Geschenke zu reichen dir gut deucht, wie es geziemet,

Ob zu behalten, du magst! Jetzt laß uns gedenken der Kampflust,

Ohne Verzug; nichts frommt es, allhier im Gespräche zu zaudern

Und mit dem Werke zu säumen; denn viel ist annoch unvollendet!

Daß man Achilleus wieder im Vordertreffen erblicke,

Wie sein eherner Speer hinstreckt die Geschwader der Troer!

Also auch ihr seid jeder bedacht, mit dem Feinde zu kämpfen!

Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:

Nicht also, wie tapfer du seist, gottgleicher Achilleus

Treibe sie ungegessen vor Ilios hin, die Achaier,

Trojas Volk zu bekämpfen! Denn nicht für wenige Zeit nur

Währt das Gefecht, wenn sich einmal begegnet sind die Geschwader

Kämpfender, aber ein Gott Mut einhaucht jeglicher Heerschar.

Laß sich erquicken zuvor an den rüstigen Schiffen die Männer

Alle mit Speis und Wein; denn Kraft gibt solches und Stärke.

Denn kein Mann vermöchte den Tag bis zur sinkenden Sonne,

Ungestärkt von Speise, dem Feind entgegen zu kämpfen.

Wenn ihn auch sein mutiges Herz antreibt zum Gefechte,

Dennoch werden gemach die Glieder ihm schwer und es quälet

Hunger zugleich und Durst, und dem Gehenden wanken die Knie.

Aber ein Mann, der mit Weine sich erst und Speise gesättigt,

Ob feindselige Männer den ganzen Tag er bekämpfe,[338]

Bleibt ihm getrost sein Herz in der Brust, und nimmer erstarren

Eher die Knie, eh alle zurückziehn aus dem Gefechte.

Aber wohlan, zerstreue das Volk und heiß sie das Frühmahl

Rüsten. Es mag die Geschenke der Völkerfürst Agamemnon

Bringen in unseren Kreis, damit ein jeder Achaier

Hier mit den Augen sie schau und du im Herzen dich freuest.

Dann auch schwör er den Eid, vor Argos' Volk sich erhebend,

Daß er nie ihr Lager verunehrt noch ihr genahet,

Wie in der Menschen Geschlecht der Mann dem Weibe sich nahet.

Und nun sei dir selber das Herz im Busen besänftigt.

Drauf bewirt er dich endlich mit köstlichem Mahl im Gezelte

Feierlich, daß du nichts der schuldigen Ehren vermissest.

Atreus' Sohn, du wirst auch billiger gegen die andern

Künftig sein; denn es ist nicht unanständig dem König,

Einen Mann zu versöhnen, nachdem er zuerst ihn beleidigt.

Wieder begann dagegen der Völkerfürst Agamemnon:

Freudig vernahm ich dein Wort, du edler Sohn des Laertes,

Weil du mit Fug das alles hinausgeführt und geordnet.

Gern auch will ich schwören den Eid, denn die Seele gebeut mir's,

Und, beim schirmenden Gott, nicht Meineid! Aber Achilleus

Weile noch hier so lange, wie sehr ihn verlangt nach der Feldschlacht;

Auch verweilt miteinander ihr übrigen, bis die Geschenke

Aus dem Gezelt herkommen und treuen Bund wir beschwören.

Dieses sei dir selber noch anvertraut und befohlen.

Wähle der Jünglinge dir, die edelsten aller Achaier,

Bringe dann die Geschenk' aus meinem Schiff, die wir gestern

Peleus' Sohn zu geben bestimmt, auch führe die Weiber.

Aber Talthybios schaff aus dem weiten Heer der Achaier

Einen Eber, für Zeus' und Helios' Macht ihn zu opfern.

Ihm antwortete drauf der mutige Renner Achilleus:

Atreus' Sohn, Ruhmvoller, du Völkerfürst Agamemnon,

Mehr zu anderer Zeit geziemet euch das zu besorgen,

Wann einmal uns Erholungsfrist vom Gefechte sich darbeut

Und mir der Zorn nicht also das Herz im Busen durchwütet;

Doch nun liegen ja dort Erschlagene, welche zerfleischt hat

Hektor, Priamos' Sohn, als ihm Zeus Ehre gewährte!

Ihr nun treibt erst beide zum Mahle sie! Wahrlich, ich selber,[339]

Gleich ermahnt ich vielmehr in die Schlacht zu gehn die Achaier,

Nüchtern und ungespeist, und dann mit der sinkenden Sonne

Allen ein Mahl zu bereiten, nachdem wir gerächt die Beschimpfung.

Mir soll wenigstens nichts zuvor die Kehle durchgleiten,

Weder Trank noch Speise, da tot mein Freund mir hinsank,

Welcher mir im Gezelte zerfleischt von der Schärfe des Erzes

Daliegt, gegen die Türe gewandt; und Genossen umstehn ihn

Wehmutsvoll! Nein wahrlich, mir liegt nicht solches am Herzen,

Sondern Mord nur und Blut und schreckliches Männergeröchel!

Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:

Peleus' Sohn Achilleus, erhabenster Held der Achaier,

Stärker bist du denn ich und tapferer, nicht um ein kleines,

Mit dem Speer, doch möcht ich's an Rat dir etwa zuvortun

Weit, da ich länger gelebt und mehr gesehn und erfahren.

Drum gehorche dein Herz besänftiget meiner Ermahnung.

Bald ja des Menschengewürgs ersättigen sich die Menschen,

Wo in Menge die Halme das Erz zur Erde dahinstreckt;

Kurz auch dauert das Mähn, nachdem herneigte die Waagschal

Zeus, der dem Menschengeschlecht des Kriegs Obwalter erscheinet.

Nicht mit dem Bauch ja müssen die Danaer Tote betrauern,

Denn zu viel aufeinander und scharweis jeglichen Tages

Fallen sie; wer vermöchte dann aufzuatmen vom Kummer?

Billig demnach jedweden beerdiget, wie er gestorben,

Mit verhärteter Seel, und einen Tag ihn beweinend.

Doch wie viel entrannen des Kriegs graunvoller Vertilgung,

Müssen mit Trank und Speise sich kräftigen, daß noch entflammter

Wir ausdauernden Muts feindselige Männer bekämpfen

Unter der ehernen Last der Rüstungen. Aber daß niemand,

Harrend des zweiten Befehls, in Argos' Volke verweile!

Dieser Befehl bringt wahrlich Verderben ihm, welcher zurückbleibt

Unter den Schiffen des Heers! Nein, alle zugleich ausstürmend

Gegen die reisigen Troer erheben wir grause Vertilgung!

Sprach's, und Nestors Söhne gesellt' er sich, jenes Erhabnen,

Meges zugleich, den Phyleiden, Meriones auch und Thoas,

Kreions tapferen Sohn Lykomedes und Melanippos.

Eilend gingen sie nun zum Kriegsgezelt Agamemnons.

Schnell dann war, wie geredet das Wort, so die Sache vollendet.[340]

Sieben nahmen sie dort dreifüßiger Kessel im Zelte,

Die er versprach, zwölf Ross' und zwanzig schimmernde Becken,

Führten dann schnell die Weiber, untadlige, kundig der Arbeit,

Sieben, zugleich die achte, des Brises rosige Tochter.

Aber Odysseus wog die zehn Talente des Goldes,

Ging dann voran; ihm folgten die Jünglinge alle mit Gaben.

Die nun stellten sie dort in den Volkskreis. Doch Agamemnon

Hob sich, Talthybios dann, Unsterblichen ähnlich an Stimme,

Trat zum Hirten des Volks und hielt in den Händen den Eber.

Doch der Atreid, ausziehend mit hurtigen Händen das Messer,

Das an der großen Scheide des Schwerts ihm immer herabhing,

Schor von des Ebers Haupte das Erstlingshaar und erhob dann

Betend die Hände zu Zeus; rings saßen indes die Argeier

Still umher nach der Sitte, des Königes Wort zu vernehmen.

Flehend nunmehr begann er, den Blick gen Himmel gewendet:

Höre nun Zeus zuerst, der Seligen Höchster und Bester,

Erd und Helios auch und Erinnyen, unter der Erde

Einst die Toten bestrafend, wer hier Meineide geschworen!

Niemals hab ich die Hand an Brises' Tochter geleget,

Weder des Lagers Genuß abnötigend, weder ein andres,

Sondern sie blieb unberührt in den Wohnungen meines Gezeltes!

Schwör ich einiges falsch, dann senden mir Elend die Götter

Ohne Maß, wie sie senden dem frevelnden Schwörer des Meineids!

Sprach's, und des Ebers Kehle zerschnitt er mit grausamem Erze,

Welchen Talthybios drauf in des Meers grauwogende Fluten

Wirbelnd den Fischen zum Fraß hinschleuderte. Aber Achilleus

Stand empor und begann vor Argos' kriegrischen Söhnen:

Vater Zeus, traun, große Verblendungen gibst du den Männern!

Nimmermehr wohl hätte den Mut in der Tiefe des Herzens

Atreus' Sohn mir empört so fürchterlich oder das Mägdlein

Weg mir geführt mit Gewalt, der Unbeugsame; sondern fürwahr Zeus

Wollte nur vielen den Tod in Argos' Volke bereiten!

Doch nun geht zum Mahle, damit wir rüsten den Angriff!

Jener sprach's und trennte sofort die rege Versammlung.

Alle zerstreuten sich rings, zum eigenen Schiff ein jeder.

Doch die Geschenk' umeilten die Myrmidonen geschäftig,

Brachten sie dann zum Schiffe des göttergleichen Achilleus.[341]

Dies nun legten sie dort im Gezelt und setzten die Weiber;

Aber die Ross' entführten zur Herd hochherzige Diener.

Brises' Tochter nunmehr, wie die goldene Aphrodite,

Als sie gesehn Patroklos zerfleischt von der Schärfe des Erzes,

Goß sie um jenen sich hin und weinete laut und zerriß sich

Beide Brüst' und den blühenden Hals und ihr rosiges Antlitz.

Also sprach mit Tränen das Weib, den Göttinnen ähnlich:

Ach mein teurer Patroklos, gefälligster Freund mir im Elend!

Lebend noch verließ ich im Zelte dich, als ich hinwegging,

Und ich Kehrende finde dich tot nun, Völkergebieter,

Hingestreckt! So verfolgt mich Unheil immer auf Unheil!

Meinen Mann, dem der Vater mich gab und die würdige Mutter,

Sah ich dort vor der Stadt zerfleischt von der Schärfe des Erzes,

Auch drei leibliche Brüder, von einer Mutter geboren,

Herzlich geliebt, die mir alle der Tag des Verderbens hinwegriß.

Dennoch wolltest du nicht, da den Mann der schnelle Achilleus

Mir erschlug und verheerte die Stadt des göttlichen Mynes,

Weinen mich sehn; du versprachst mir, des göttergleichen Achilleus

Jugendlich Weib zu werden, der einst in Schiffen gen Phthia

Heim mich brächt und feirte den Myrmidonen das Brautmahl.

Ach du starbst, und ohn Ende bewein ich dich, freundlicher Jüngling!

Also sprach sie weinend, und ringsum seufzten die Weiber

Um Patroklos zum Schein, doch jed um ihr eigenes Elend.

Jenen indes umringten die edleren Helden Achaias,

Flehend, des Mahls zu genießen; allein er versagt' es mit Seufzen:

Trauteste Freund', ich fleh euch, wofern ihr Liebe mir heget,

Eher nicht ermahnt mich, mit Trank und nährender Speise

Meinen Geist zu erfrischen, denn heftiger Kummer durchdringt mich!

Nein, bis die Sonne sich senkt, ich harr und gedulde mich standhaft!

Dieses gesagt, entließ er die anderen Fürsten des Heeres.

Atreus' Söhne nur blieben zurück und der edle Odysseus,

Nestor, Idomeneus auch und der graue reisige Phönix,

Sorgsam all aufheiternd den Trauernden; aber sein Herz floh

Heiterkeit, eh in den Schlund des blutigen Kriegs er hineindrang.

Stets gedacht' er des Freundes und redete schnell aufatmend:

Ach, du hast mir vordem, Unglücklicher, liebster der Freunde,

Selber so oft im Gezelte gebracht ein labendes Frühmahl,[342]

Schnell, in geschäftiger Hast, wenn das Heer der Achaier hinausdrang,

Gegen die reisigen Troer das Graun des Krieges zu tragen!

Und nun liegest du ein Erschlagener; aber das Herz mir

Will nicht Trank genießen noch Kost von dem reichlichen Vorrat,

Schmachtend nach dir! Nie könnt auch ein herberes Wehe mich treffen,

Nicht, und wenn ich sogar des Vaters Ende vernähme,

Der wohl nun in Phthia die bittersten Tränen vergießet,

Solchen Sohns zu entbehren, der hier im Lande des Fremdlings

Um die entsetzliche Helena kämpft mit den Reisigen Trojas;

Oder den Tod des Sohnes, der mir in Skyros ernährt wird,

Wenn er etwa noch lebt, Neoptolemos, göttlich von Bildung!

Ehmals hegte mir immer das Herz im Busen die Hoffnung,

Sterben würd ich allein, von der rossenährenden Argos

Fern, im troischen Land, und du heimkehren gen Phthia,

Daß du mir den Sohn im dunklen gebogenen Schiffe

Brächtest aus Skyros' Flur und dort jedwedes ihm zeigtest,

Meine Hab und die Knecht' und die hohe gewölbete Wohnung.

Denn schon ahnd' ich im Geist, daß Peleus tot in der Erde

Schlummere oder vielleicht noch kümmerlich leb in Schwermut,

Niedergebeut von Alter und Traurigkeit, weil er beständig

Harrt des schrecklichen Boten, der meinen Tod ihm verkündigt!

Also sprach er weinend, und ringsum seufzten die Fürsten,

Eingedenk, was jeder in seinem Hause zurückließ.

Mitleidsvoll erblickte die Trauernden Zeus Kronion;

Schnell zur Athene gewandt, die geflügelten Worte begann er:

Trautes Kind, so gänzlich verlässest du jetzo den Helden?

Gar nicht kümmert sich mehr dein Herz um den edlen Achilleus?

Schau, wie jener dort vor des Meers hochhauptigen Schiffen

Sitzt, um den Freund wehklagend, den teuersten! Alle die andern

Gingen zum Frühmahl hin; er rührt nicht Speise noch Trank an.

Eile denn, jenem Ambrosia jetzt und lieblichen Nektar

Sanft in die Brust zu flößen, daß nicht ihn quäle der Hunger.

Also Zeus, und erregte die schon verlangende Göttin.

Schnell wie ein schreiender Adler mit weitverbreiteten Flügeln

Schwang sie vom Himmel herab durch den Äther sich. Dort die Achaier

Rüsteten emsig im Heere die Feldschlacht. Doch dem Achilleus

Flößt' Athen' Ambrosia jetzt und lieblichen Nektar[343]

Sanft in die Brust, daß nicht vor Hunger ihm starrten die Knie.

Selbst dann heim zum Palaste des allgewaltigen Vaters

Kehrte sie. Jen' entströmten den hurtigen Schiffen des Meeres.

Wie wenn häufige Flocken des Schnees von Zeus sich ergießen,

Kalt heruntergestürmt vom heiterfrierenden Nordwind,

So dort häufige Helm', umstrahlt von freudigem Schimmer,

Drangen hervor aus den Schiffen und hochgenabelte Schilde,

Auch Brustharnische, mächtig gewölbt, und eschene Lanzen.

Glanz erreichte den Himmel, und ringsum lachte die Erde,

Hell von dem Erze bestrahlt, und Getön scholl unter dem Fußtritt

Wandelnder. Mitten auch wappnete sich der edle Achilleus.

Ihm von den Zähnen ertönt' ein Geknirsch her, aber die Augen

Funkelten gleichwie lodernde Glut; und das Herz ihm erfüllte

Unausduldsamer Schmerz. So heftig ergrimmt auf die Troer,

Nahm er das Göttergeschenk, das Hephästos' Kunst ihm geschmiedet.

Eilend fügt' er zuerst um die Beine sich bergende Schienen,

Blank und schön, anschließend mit silberner Knöchelbedeckung;

Weiter umschirmt' er die Brust ringsher mit dem ehernen Harnisch,

Hängte sodann um die Schulter das Schwert voll silberner Buckeln,

Eherner Kling, und darauf den Schild auch, groß und gediegen,

Nahm er, der ferne den Glanz hinsendete, ähnlich dem Vollmond.

Wie wenn draußen im Meere der Glanz herleuchtet den Schiffern

Vom auflodernden Feuer, das, hoch auf Bergen entflammet,

Brennt in einsamer Hürd, indes mit Gewalt sie der Sturmwind

Fern in des Meers fischwimmelnde Flut von den Freunden hinwegträgt:

So von Achilleus' Schild entleuchtete Glanz in den Äther,

Schön wie er prangt' an Kunst. Den schweren Helm nun erhebend,

Deckt' er das Haupt ringsher; und es strahlete gleich dem Gestirne

Sein hochbuschiger Helm, und die Mähn aus gesponnenem Golde

Flatterte, welche der Gott auf dem Kegel ihm häufig geordnet.

Jetzo versucht' in der Rüstung sich selbst der edle Achilleus,

Ob sie genau anschlöß und leicht sich bewegten die Glieder;

Und wie Flügel ihm war sie und hob den Hirten der Völker.

Auch dem schönen Gehäus entzog er den Speer des Erzeugers,

Schwer und groß und gediegen (es konnt ihn der Danaer keiner

Schwingen, allein vermocht' ihn umherzuschwingen Achilleus):

Pelions ragende Esche, die Cheiron schenkte dem Vater,[344]

Pelions Gipfel enthaun, zum Mord den Heldengeschlechtern.

Aber Automedon jetzt und Alkimos fügten die Rosse

Schnell in die Seile des Jochs, die zierlichen; drauf in die Mäuler

Legten sie jedem Gezäum und spanneten rückwärts die Zügel

Zum gebildeten Sessel. Automedon faßte die Geißel,

Blank und bequem, mit der Hand und sprang in den Sessel des Wagens.

Hinter ihn drauf, gerüstet zur Feldschlacht, schwang sich Achilleus,

Leuchtend im Waffenschmuck wie die strahlende Sonne des Himmels.

Schrecklichen Rufs nun ermahnt' er die mutigen Rosse des Vaters:

Xanthos und Balios ihr, ruhmvolles Geschlecht der Podarge,

Anders jetzo gedenkt den Wagenlenker zu bringen

Wieder ins Heer der Achaier, nachdem wir des Kampfs uns gesättigt,

Aber nicht, wie Patroklos, verlaßt ihn tot im Gefilde!

Unter dem Joch antwortete drauf das geflügelte Streitroß

Xanthos und neigte das Haupt; ihm sank die blühende Mähne

Wallend hervor aus dem Ringe des Jochs und erreichte den Boden.

Aber die Stimme gewährt' ihm die lilienarmige Here:

Ja, wohl bringen wir jetzt dich Lebenden, starker Achilleus;

Doch des Verderbens Tag ist nahe dir! Dessen sind wir nicht

Schuldig, sondern der mächtige Gott und das harte Verhängnis.

Nicht fürwahr durch Säumnis und Langsamkeit unserer Schenkel

Raubte der Troer Volk von Patroklos' Schulter die Rüstung;

Nein, der gewaltigste Gott, der Sohn der lockigen Leto,

Schlug ihn im Vordergefecht, dem Hektor Ehre gewährend.

Wir zwar wollten im Lauf auch Zephyros' Atem ereilen,

Welcher doch schnell vor allen daherstürmt, aber dir selber

Ward bestimmt, dem Gott und dem sterblichen Manne zu fallen.

Jener sprach's; da verschloß der Erinnyen Hand ihm die Stimme.

Unmutsvoll antwortete drauf der schnelle Achilleus:

Xanthos, warum mir den Tod weissagest du? Solches bedarf's nicht!

Selber weiß ich es wohl, daß fern von Vater und Mutter

Hier des Todes Verhängnis mich hinrafft. Aber auch so nicht

Rast ich, bevor ich die Troer genug im Kampfe getummelt!

Sprach's und lenkte voran mit Geschrei die stampfenden Rosse.

Quelle:
Homer: Ilias / Odyssee. München 1976, S. 334-345.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Ilias
Ilias
Ilias · Odyssee
Ilias
Ilias (insel taschenbuch)
Ilias (Fischer Klassik)

Buchempfehlung

Aristoteles

Physik

Physik

Der Schluß vom Allgemeinen auf das Besondere, vom Prinzipiellen zum Indiviudellen ist der Kern der naturphilosophischen Lehrschrift über die Grundlagen unserer Begrifflichkeit von Raum, Zeit, Bewegung und Ursache. »Nennen doch die Kinder zunächst alle Männer Vater und alle Frauen Mutter und lernen erst später zu unterscheiden.«

158 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon