VII. Gesang.

[525] Nach Nausikaa geht Odysseus in die Stadt, von Athene in Nebel gehüllt und zum Palaste des Königs geführt, wo die Fürsten versammelt sind. Er fleht der Königin Arete um Heimsendung und wird von Alkinoos als Gast aufgenommen. Nach dem Mahle, da Arete um die Kleider ihn fragt, erzählt er seine Geschichte seit der Abfahrt von Kalypso.


Also betete dort der herrliche Dulder Odysseus.

Aber Nausikaa flog in die Stadt mit der Stärke der Mäuler.

Als sie die prächtige Burg des Vaters jetzo erreichte,

Hielt sie still an der Pforte des Hofs. Da kamen die Brüder

Ringsumher, an Gestalt den Unsterblichen ähnlich; sie spannten

Von dem Wagen die Mäuler und trugen die Wäsch in die Kammer.

Jetzo ging sie hinein, und ihre Kammerbediente

Zündete Feuer an, die alte Eurymedusa.

Einst entführten die Schiffer sie aus Epeiros und wählten

Für Alkinoos sie zum Ehrengeschenke, den König,

Welcher hoch, wie ein Gott, im phaiakischen Volke geehrt ward;

Und sie erzog ihm die schöne Nausikaa in dem Palaste.

Als das Feuer nun brannte, besorgte sie hurtig die Mahlzeit.

Aber Odysseus ging in die Stadt, und Pallas Athene

Hüllt' ihn in finstre Nacht, aus Sorge für ihren Geliebten,

Daß ihn nicht auf dem Wege der hochgesinnten Phaiaken

Einer mit Schmähungen kränkte, noch fragte, von wannen er käme.

Als er die schöne Stadt der Phaiaken jetzo erreichte,

Da begegnet' ihm Zeus' blauäugichte Tochter Athene.

Wie ein blühendes Mädchen mit einem Wassergefäße

Stand sie nahe vor ihm. Da sprach der edle Odysseus:

Liebe Tochter, willst du mir nicht Alkinoos' Wohnung

Zeigen, welchem dies Volk als seinem König gehorchet?

Denn ich komme zu euch, ein armer irrender Fremdling,[525]

Ferne von hier aus dem apischen Land, und kenne der Menschen

Keinen, welche die Stadt und diese Gefilde bewohnen.

Ihm antwortete Zeus' blauäugichte Tochter Athene:

Gerne will ich dir, Vater, das Haus, wohin du verlangest,

Zeigen, denn nahe dabei wohnt mein rechtschaffener Vater.

Gehe so ruhig fort und folge mir, wie ich dich führe;

Schaue nach keinem Menschen dich um und rede mit niemand.

Denn die Leute sind hier den Fremden nicht allzu gewogen

Und bewirten sie nicht sehr freundlich, woher sie auch kommen.

Sie bekümmern sich nur um schnelle hurtige Schiffe,

Über die Meere zu fliegen: denn dies gab ihnen Poseidon.

Ihre Schiffe sind hurtig wie Flügel und schnell wie Gedanken.

Als sie die Worte geredet, da wandelte Pallas Athene

Eilend voran, und er folgte den Schritten der wandelnden Göttin.

Ihn bemerkte keiner der segelberühmten Phaiaken,

Als er die Stadt durchging: die schöngelockte Athene

Ließ es nicht zu, die furchtbare Göttin, die heiliges Dunkel

Über sein Haupt hingoß, aus Sorge für ihren Geliebten.

Wundernd sah er die Häfen und gleichgezimmerten Schiffe

Und die Versammlungsplätze des Volks und die türmenden Mauern,

Lang und hoch, mit Pfählen umringt, ein Wunder zu schauen!

Als sie die prächtige Burg des Königes jetzo erreichten,

Siehe, da redete Zeus' blauäugichte Tochter Athene:

Fremder Vater, hier ist das Haus, wohin du verlangtest,

Daß ich dich führte. Du wirst die göttergesegneten Fürsten

Hier am festlichen Schmause versammelt finden; doch gehe

Dreist hinein und fürchte dich nicht! Dem Kühnen gelinget

Jedes Beginnen am besten, und käm er auch aus der Fremde.

Aber suche zuerst die Königin drinnen im Saale.

Diese heißt Arete mit Namen und ward von denselben

Eltern gezeugt, von welchen der König Alkinoos herstammt.

Denn Nausithoos war des Erdumstürmers Poseidon

Und Periböens Sohn, der schönsten unter den Weibern

Und des hochgesinnten Eurymedons jüngsten Tochter.

Dieser beherrschte vordem die ungeheuren Giganten;

Aber er stürzte sich selbst und sein frevelndes Volk ins Verderben.

Seine Tochter bezwang der Gott, und aus ihrer Gemeinschaft[526]

Wuchs Nausithoos auf, der edle Phaiakenbeherrscher.

Und Nausithoos zeugte Alkinoos und Rexenor;

Dieser starb ohne Söhne vom silbernen Bogen Apollons,

Neuvermählt im Palast; die einzige Tochter Arete

Seines Bruders nahm Alkinoos drauf zur Gemahlin:

Welcher sie ehrt, wie nirgends ein Weib auf Erden geehrt wird,

Keines von allen, die jetzo das Haus der Männer verwalten.

Also wird Arete mit herzlicher Liebe geehret

Von Alkinoos selbst und ihren blühenden Kindern

Und dem Volke, das sie wie eine Göttin betrachtet

Und mit Segen begrüßt, sooft sie die Gassen durchwandelt.

Denn es fehlet ihr nicht an königlichem Verstande,

Und sie entscheidet selbst der Männer Zwiste mit Weisheit.

Fremdling, ist diese dir nur in ihrem Herzen gewogen,

O dann hoffe getrost, die Freunde wiederzusehen

Und dein prächtiges Haus und deiner Väter Gefilde!

Also redete Zeus' blauäugichte Tochter und eilte

Über das wüste Meer aus Scherias lieblichen Auen,

Bis sie gen Marathon kam und den weiten Gassen Athenais,

In die prächtige Wohnung Erechtheus'. Aber Odysseus

Ging zu Alkinoos' hohem Palast. Nun stand er und dachte

Vieles im Herzen, bevor er der ehernen Schwelle sich nahte.

Gleich dem Strahle der Sonn und gleich dem Schimmer des Mondes

Blinkte des edelgesinnten Alkinoos prächtige Wohnung.

Eherne Wände liefen an jeglicher Seite des Hauses

Tief hinein von der Schwelle, gekrönt mit blauem Gesimse.

Eine goldene Pforte verschloß die innere Wohnung;

Silberne Pfosten, gepflanzt auf ihrer ehernen Schwelle,

Trugen den silbernen Kranz; der Ring der Pforte war golden.

Jegliche Seit umstanden die goldnen und silbernen Hunde,

Welche Hephaistos selbst mit hohem Verstande gebildet,

Um des edelgesinnten Alkinoos Wohnung zu hüten;

Drohend standen sie dort, unsterblich und nimmer veralternd.

Innerhalb reihten sich Sessel um alle Wände des Saales,

Tief hinein von der Schwell; und Teppiche deckten die Sessel,

Fein und zierlich gestickt, der Weiber künstliche Arbeit.

Allda saßen stets der Phaiaken hohe Beherrscher[527]

Festlich bei Speis und Trank und schmausten von Tage zu Tage.

Goldene Jünglinge standen auf schöngebauten Altären

Ringsumher und hielten in Händen brennende Fackeln,

Um den Gästen im Saale beim nächtlichen Schmause zu leuchten.

Fünfzig Weiber dienten im weiten Palaste des Königs.

Diese, bei rasselnden Mühlen, zermalmeten gelbes Getreide,

Jene saßen und webten und dreheten emsig die Spindel,

Anzuschaun wie die Blätter der hohen wehenden Pappel:

Und es glänzte wie Öl die schöngewebete Leinwand.

Denn gleichwie die Phaiaken vor allen übrigen Männern

Hurtige Schiffe zu lenken verstehn, so siegen die Weiber

In der Kunst des Gewebes: sie lehrete selber Athene

Wundervolle Gewande mit klugem Geiste zu wirken.

Außer dem Hofe liegt ein Garten, nahe der Pforte,

Eine Huf ins Gevierte, mit ringsumzogener Mauer.

Allda streben die Bäume mit laubichtem Wipfel gen Himmel,

Voll balsamischer Birnen, Granaten und grüner Oliven,

Oder voll süßer Feigen und rötlichgesprenkelter Äpfel.

Diese tragen beständig und mangeln des lieblichen Obstes

Weder im Sommer noch Winter; vom linden Weste gefächelt,

Blühen die Knospen dort, hier zeitigen schwellende Früchte.

Birnen reifen auf Birnen, auf Äpfel röten sich Äpfel,

Trauben auf Trauben erdunkeln, und Feigen schrumpfen auf Feigen.

Allda prangt auch ein Feld, von edlen Reben beschattet.

Einige Trauben dorren auf weiter Ebne des Gartens,

An der Sonne verbreitet, und andre schneidet der Winzer,

Andere keltert man schon. Hier stehen die Herling in Reihen,

Dort entblühen sie erst, dort bräunen sich leise die Beeren.

An dem Ende des Gartens sind immerduftende Beete

Voll balsamischer Kräuter und tausendfarbiger Blumen.

Auch zwo Quellen sind dort: die eine durchschlängelt den Garten,

Und die andere gießt sich unter die Schwelle des Hofes

An den hohen Palast, allwo die Bürger sie schöpfen.

Siehe, so reichlich schmückten Alkinoos' Wohnung die Götter.

Lange stand bewundernd der herrliche Dulder Odysseus.

Und nachdem er alles in seinem Herzen bewundert,

Eilet' er über die Schwell und ging in die strahlende Wohnung.[528]

Und er fand der Phaiaken erhabene Fürsten und Pfleger.

Diese gossen des Weines dem rüstigen Argosbesieger,

Denn ihm opferte man zuletzt, der Ruhe gedenkend.

Schnell durchging er den Saal, der herrliche Dulder Odysseus,

Rings in Nebel gehüllt, den ihm Athene umgossen,

Bis er Alkinoos fand und seine Gemahlin Arete.

Und Odysseus umschlang mit den Händen der Königin Kniee,

Und mit einmal zerfloß um ihn das heilige Dunkel.

Alle verstummten im Saale, da sie den Fremdling erblickten,

Und sahn staunend ihn an. Jetzt flehte der edle Odysseus:

O Arete, du Tochter des göttergleichen Rexenor,

Deinem Gemahle fleh ich und dir, ein bekümmerter Fremdling,

Und den Gästen umher! Euch allen schenken die Götter

Langes Leben und Heil, und jeder lasse den Kindern

Reichtum im Hause nach und die Würde, die ihm das Volk gab!

Aber erbarmet euch mein und sendet mich eilig zur Heimat,

Denn ich irre schon lang, entfernt von den Freunden, in Trübsal!

Also sprach er und setzt' am Herd in die Asche sich nieder

Neben dem Feur; und alle verstummten umher und schwiegen.

Endlich brach die Stille der graue Held Echeneos,

Welcher der älteste war der hohen phaiakischen Fürsten,

An Beredsamkeit reich und geübt in der Kunde der Vorzeit.

Dieser erhub anitzo die Stimme der Weisheit und sagte:

König, es ziemet sich nicht und ist den Gebräuchen entgegen,

Einen Fremdling am Herd in der Asche sitzen zu lassen.

Diese Männer schweigen und harren deiner Befehle.

Auf und führe den Fremdling zum silberbeschlagenen Sessel,

Daß er bei uns sich setze, und laß die Herolde wieder

Füllen mit Weine den Kelch, damit wir dem Gotte des Donners

Opfer bringen, der über die Hilfeflehenden waltet.

Und die Schaffnerin speise von ihrem Vorrat den Fremdling.

Als die heilige Macht Alkinoos' solches vernommen,

Faßt' er die Hand des tapfern, erfindungsreichen Odysseus,

Richtet' ihn auf aus der Asch und führt' ihn zum schimmernden Sessel,

Nahe bei sich, und hieß den edlen Laodamas aufstehn,

Seinen mutigen Sohn, den er am zärtlichsten liebte.

Eine Dienerin trug in der schönen goldenen Kanne[529]

Über dem silbernen Becken das Wasser, beströmte zum Waschen

Ihm die Händ' und stellte vor ihn die geglättete Tafel.

Auch die ehrbare Schaffnerin kam und tischte das Brot auf

Und der Gerichte viel aus ihrem gesammelten Vorrat.

Und nun aß er und trank, der herrliche Dulder Odysseus.

Aber die heilige Macht Alkinoos' sprach zu dem Herold:

Mische Wein in dem Kelche, Pontonoos; reiche dann allen

Männern im Saal umher, damit wir dem Gotte des Donners

Opfer bringen, der über die Hilfeflehenden waltet.

Sprach's, und Pontonoos mischte des süßen Weines im Kelche

Und verteilte von neuem, sich rechtshin wendend, die Becher.

Als sie des Trankes geopfert und nach Verlangen getrunken,

Hub Alkinoos an und sprach zur edlen Versammlung:

Merket auf, der Phaiaken erhabene Fürsten und Pfleger,

Daß ich rede, wie mir das Herz im Busen gebietet.

Jetzo, nachdem ihr gespeist, geht heim und legt euch zur Ruhe.

Morgen wollen wir hier noch mehr der Ältesten laden

Und den Fremdling im Hause bewirten, mit heiligen Opfern

Uns die Götter versöhnen und dann die geforderte Heimfahrt

Überdenken, damit er, vor Not und Kummer gesichert,

Unter unserm Geleit in seiner Väter Gefilde

Freudig komme und bald, er wohn auch ferne von hinnen,

Und ihm nicht auf dem Weg ein neues Übel begegne,

Eh er sein Vaterland erreicht hat. Dort begegn' ihm,

Was ihm das Schicksal bestimmt und die unerbittlichen Schwestern

Ihm bei seiner Geburt in den werdenden Faden gesponnen.

Aber kam vielleicht der Unsterblichen einer vom Himmel,

Wahrlich dann haben mit uns die Götter ein andres im Sinne!

Sonst erscheinen uns stets die Götter in sichtbarer Bildung,

Wann wir mit festlicher Pracht der Hekatomben sie grüßen,

Sitzen mit uns in Reihen und essen von unserem Mahle;

Oft auch, wann ihnen irgendein einsamer Wandrer begegnet,

Hüllen sie sich in Gestalt, denn wir sind ihnen so nahe

Wie die wilden Kyklopen und ungezähmten Giganten.

Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:

O Alkinoos, hege nicht solche Gedanken! Ich sehe

Keinem Unsterblichen gleich, die den weiten Himmel bewohnen,[530]

Weder an Kleidung noch Wuchs; ich gleiche sterblichen Menschen.

Kennt ihr einen, der euch der unglückseligste aller

Sterblichen scheint, ich bin ihm gleich zu achten an Elend!

Ja, ich wüßte vielleicht noch größere Leiden zu nennen,

Welche der Götter Rat auf meine Seele gehäuft hat!

Aber erlaubt mir nun zu essen, wie sehr ich auch traure.

Denn nichts ist unbändiger als der zürnende Hunger,

Der mit tyrannischer Wut an sich die Menschen erinnert,

Selbst den leidenden Mann mit tief bekümmerter Seele.

Also bin ich von Herzen bekümmert, aber beständig

Fordert er Speis und Trank, der Wüterich! Und ich vergesse

Alles, was ich gelitten, bis ich den Hunger gesättigt.

Aber eilet, ihr Fürsten, sobald der Morgen sich rötet,

Mich unglücklichen Mann in meine Heimat zu senden!

Denn soviel ich erlitten, ich stürbe sogar um den Anblick

Meiner Güter und Knechte und meines hohen Palastes!

Also sprach er; da lobten ihn alle Fürsten und rieten,

Heimzusenden den Gast, weil seine Bitte gerecht war.

Als sie des Trankes geopfert und nach Verlangen getrunken,

Gingen sie alle heim, der süßen Ruhe zu pflegen.

Aber im Saale blieb der göttergleiche Odysseus;

Neben ihm saß der König und seine Gemahlin Arete.

Und die Mägde räumten des Mahls Geräte von hinnen.

Jetzo begann Arete, die lilienarmige Fürstin

(Denn sie erkannte den Mantel und Rock, die schönen Gewande,

Welche sie selber gewirkt mit ihren dienenden Jungfraun),

Und sie redet' ihn an und sprach die geflügelten Worte:

Hierum muß ich dich, Fremdling, vor allen Dingen befragen:

Wer und von wannen bist du? Wer gab dir diese Gewande?

Sagtest du nicht, du kämest hieher vom Sturme verschlagen?

Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:

Schwer, o Königin, ist es, dir alle Leiden von Anfang

Herzunennen, die mir die himmlischen Götter gesendet.

Dennoch will ich dir dieses, warum du mich fragest, erzählen.

Fern auf dem Meere liegt Ogygia, eine der Inseln,

Wo des Atlas' Tochter, die listenreiche Kalypso,

Wohnet, die schöngelockte, die furchtbare Göttin. Es pfleget[531]

Keiner der Götter mit ihr und keiner der Menschen Gemeinschaft.

Mich Unglücklichen nur, mich führte zu ihrer Behausung

Irgendein Dämon, nachdem mir der Gott hochrollender Donner

Mitten im Meere mein Schiff mit dem dampfenden Strahle zerschmettert!

Alle tapfern Gefährten versanken mir dort in den Abgrund,

Aber ich, der den Kiel des zertrümmerten Schiffes umschlungen,

Trieb neun Tage herum. In der zehnten der schrecklichen Nächte

Führten die Himmlischen mich gen Ogygia, wo Kalypso

Wohnet, die schöngelockte, die furchtbare Göttin. Sie nahm mich

Freundlich und gastfrei auf und reichte mir Nahrung und sagte

Mir Unsterblichkeit zu und nimmerverblühende Jugend.

Dennoch vermochte sie nimmer mein standhaftes Herz zu bewegen.

Sieben Jahre blieb ich bei ihr und netzte mit Tränen

Stets die ambrosischen Kleider, die mir Kalypso geschenket.

Als nun endlich das achte der rollenden Jahre gekommen,

Da gebot sie mir selber die Heimfahrt, weil es Kronion

Ordnete oder ihr Herz sich geändert hatte. Sie sandte

Mich auf vielgebundenem Floß und schenkte mir reichlich

Speise und süßen Wein und gab mir ambrosische Kleider;

Ließ dann leise vor mir ein laues Lüftchen einherwehn.

Siebzehn Tage befuhr ich die ungeheuren Gewässer.

Am achtzehnten erblickt' ich die hohen schattigen Berge

Eures Landes von fern und freute mich herzlich des Anblicks.

Ich Unglücklicher! Ach, noch viele schreckliche Trübsal

Stand mir bevor vom Zorne des Erderschüttrers Poseidon!

Plötzlich hemmt' er die Fahrt mit reißenden Stürmen, und hochauf

Schwoll das unendliche Meer; und die rollende Woge verbot mir,

Daß ich länger im Floße mit bangem Seufzen dahinfuhr:

Ihn zerschmetterte schnell die Gewalt der kommenden Windsbraut.

Aber schwimmend durchkämpft ich die ungeheuren Gewässer,

Bis mich der Sturm und die Wog' an Euer Gestade hinanwarf.

Allda hätte mich fast ergriffen die strudelnde Brandung

Und an die drohenden Klippen, den Ort des Entsetzens, geschmettert,

Aber ich eilte zurück und schwamm herum, bis ich endlich

Kam an den Strom. Hier fand ich bequem zum Landen das Ufer,

Niedrig und felsenleer und vor dem Winde gesichert.

Und ich sank ohnmächtig ans Land. Die ambrosische Nacht kam.[532]

Und ich ging vom Gestade des göttlichen Stromes und legte

Mich in ein dichtes Gebüsch und häufte verdorrete Blätter

Um mich her; da sandte mir Gott unendlichen Schlummer.

Unter den Blättern dort, mit tief bekümmerter Seele,

Schlief ich die ganze Nacht bis zum andern Morgen und Mittag.

Als die Sonne sich neigte, verließ mich der liebliche Schlummer,

Und am Ufer des Meers erblickt ich die spielenden Jungfraun

Deiner Tochter, mit ihnen sie selbst, den Unsterblichen ähnlich.

Dieser fleht ich und fand ein Mädchen voll edler Gesinnung.

Wahrlich sie handelte so, wie kaum ihr jugendlich Alter

Hoffen ließ, denn selten sind jüngere Leute verständig.

Speise reichte sie mir und funkelnden Wein zur Erquickung,

Badete mich im Strom und schenkte mir diese Gewande.

Dieses hab ich Betrübter dir jetzt aufrichtig erzählet.

Ihm antwortete drauf Alkinoos wieder und sagte:

Fremdling, doch eine Pflicht hat meine Tochter verabsäumt!

Daß sie dich nicht zu uns mit ihren dienenden Jungfraun

Führte. Du hattest ja ihr zuerst um Hilfe geflehet.

Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:

Edler, enthalte dich, die treffliche Tochter zu tadeln!

Denn sie gebot mir zu folgen mit ihren dienenden Jungfraun,

Aber ich weigerte mich, aus Scheu und weil ich besorgte,

Daß sich etwa dein Herz ereiferte, wenn du es sähest.

Denn wir sind argwöhnisch, wir Menschenkinder auf Erden!

Ihm antwortete drauf Alkinoos wieder und sagte:

Fremdling, ich trage kein Herz im Busen, welches ohn Ursach

Brennte von jähem Zorn. Doch besser ist immer der Wohlstand.

Schaffte doch Vater Zeus, Athene und Phöbos Apollon,

Daß ein Mann, so wie du, so ähnlich mir an Gesinnung,

Meine Tochter begehrte, sich mir erböte zum Eidam

Und hier bliebe! Ich wollte dir Haus und Habe verehren,

Bliebest du willig hier. Doch wider Willen soll niemand

Von den Phaiaken dich halten, das wolle Gott nicht gefallen!

Deine Heimfahrt aber bestimm ich dir, daß du es wissest,

Morgen. Allein du wirst indessen liegen und schlafen,

Da sie die Stille des Meers durchrudern, bis du erreichest

Deine Heimat, dein Haus und was dir irgendwo lieb ist,[533]

Wär es auch von hinnen noch weiter als selbst Euböa.

Denn das liegt sehr ferne, so sagen unsere Leute,

Die es sahn, da sie einst Radamanthus den bräunlichgelockten

Fuhren, der Tityos dort, den Sohn der Erde, besuchte;

Und sie kamen dahin und vollbrachten an einem Tage

Ohne Mühe die Fahrt und brachten ihn wieder zur Heimat.

Lernen sollst du es selber, wie sehr sie vor allen geübt sind,

Meine Jüngling' und Schiffe, mit Rudern das Meer zu durchfliegen!

Sprach's; und freudig vernahm es der herrliche Dulder Odysseus.

Drauf begann er zu reden und brach in ein lautes Gebet aus:

Vater Zeus, o gib, daß Alkinoos alles vollende,

Was er verheißt! Dann strahlt auf lebenschenkender Erde

Unauslöschlich sein Ruhm; ich aber kehre zur Heimat!

Also besprachen diese sich jetzo untereinander.

Aber den Mägden befahl die lilienarmige Fürstin,

Unter die Hall ein Bette zu setzen, unten von Purpur

Prächtige Polster zu legen und Teppiche drüber zu breiten,

Hierauf wollige Mäntel zur Oberdecke zu legen.

Und sie enteilten dem Saal, in den Händen die leuchtende Fackel.

Als sie jetzo geschäftig das warme Lager bereitet,

Gingen sie hin und ermahnten den göttergleichen Odysseus:

Fremdling, gehe nun schlafen, dein Lager ist schon bereitet.

Also die Mägd'; und ihm war sehr willkommen die Ruhe.

Also schlummerte dort der herrliche Dulder Odysseus

Unter der tönenden Hall, im schöngebildeten Bette.

Aber Alkinoos schlief im Innern des hohen Palastes

Und die Königin schmückte das Ehbett ihres Gemahles.

Quelle:
Homer: Ilias / Odyssee. München 1976, S. 525-534.
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