1. Fabel/


Uber der Frantzosen und Teutschen Poesie

[318] Budorgis und Pariß bemüthen sich/ den Preiß/

Den edlen Palmen-Zweig einander auszuwinden.

Wo/ sprach Pariß/ wo ist ein Land/ das gleichen Fleiß

Und gleiche Schönheit läßt in den Gedancken finden?

Budorgis gab hierauf: so schön auch euer Geist/

So scheinet Phœbus doch mit gleich geneigten Strahlen

Auf unser Vaterland/ und was ihr selten heist/

Kan unser Reichthum wohl an gleichen Wehrte zahlen.

Wie? welcher Schimpf/ Pariß! ein unbekandtes Land

(So prahlt' es) darf sich wohl zu deiner Sonne wagen?

Wem unsre Adler nicht/ sprach jenes/ wohl bekandt/

Der kan von ihrem Flug auch nichts gescheutes sagen.

Ihr seyd in euch verliebt/ und untersuchet nicht/

Wie retn/ wie schön allhier der Musen Qvellen springen.

Wie wieder die Natur bey uns kein Dichter spricht;

Wie eure Sylben oft und Reimen übel klingen.

Damit so zogen sie die Palmen hin und her/

Als Lindenstadt hierauf sich in das Mittel setzte.

Hier sahe man sich um: es kam von ohngefehr/

Daß Meissen sich zugleich der Palmen würdig schätzte.

Sein Linden-Zweig roch schön/ so kräfftig als beliebt.

Ich aber kan den Streit hier nicht zu Ende führen.

Denn weil es/ sprach Pariß/ bey euch auch Palmen giebt/

So sollen sie mich nur des Alters wegen zieren.


Ausspruch:

Ein junger Adler lernt so wohl als alte fliegen/

Drum bilde dir/ Pariß/ nichts mit dem Alter ein;

Denn Teutschlands Morgenröth ist schon so hoch gestiegen/

Daß weil du untergehst/ so wird sie Sonne seyn.


Quelle:
Christian Friedrich Hunold: Menantes Academische Nebenstunden allerhand neuer Gedichte, Halle/ Leipzig 1713, S. 318.
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