Dreizehnter Auftritt.

[173] Vorige. Lieutenant Stern.


LIEUTENANT kommt herein, und umarmt Frau von Wallenfeld.

FRAU VON WALLENFELD zwischen Schrecken und Freude. Ach Gott! –

LIEUTENANT. Grüße dich Gott, Marie!

FRAU VON WALLENFELD. Mein Vater! mein Vater!


Sie fällt ihm um den Hals.


LIEUTENANT hebt ihr Gesicht auf. Wir haben uns lange nicht gesehen.

FRAU VON WALLENFELD küßt ihn, dann seine Hand. O lieber Vater, wollen Sie uns endlich doch sehen?

LIEUTENANT. Es ist ja wohl nöthig, daß wir beide uns sehen und sprechen.

FRAU VON WALLENFELD. Die Freude, die Ueberraschung läßt mich nicht sprechen.[173]

LIEUTENANT. Es mag wohl deine erste Freude sein seit den fünf Jahren, die du von mir weg bist: denn ich weiß alles, ob du mich gleich in deinen Briefen nichts hast merken lassen.

FRAU VON WALLENFELD. Fünf Jahre konnten Sie zubringen, ohne mich zu sehen? ohne Ihren Großsohn gesehen zu haben? Kommen Sie doch zu meinem Karl.

LIEUTENANT. Hernach, hernach, liebe Marie! Er umarmt sie. Gott segne dich! du weinst? – Je nun, es geht mir fast auch so. Ich will aber nicht weinen, ich will mich freuen, daß ich dich sehe und habe; ich habe ja auf der Welt nichts als dich, und will dich nun nicht mehr lassen.

FRAU VON WALLENFELD. Bleiben Sie bei uns?

LIEUTENANT. Nein.

FRAU VON WALLENFELD. Aber doch einige Zeit?

LIEUTENANT. Je kürzere Zeit, je besser ist es – ich bin müde, mein Kind! Er setzt sich. Setze dich zu mir.

FRAU VON WALLENFELD setzt sich zu ihm, und nimmt seine Hand. Gott Lob, daß Sie noch so gut aussehen!

LIEUTENANT. Noch mag es passiren; aber Eins wird mir das Herz brechen. Liebes Kind, du bist eine Bettlerin.

FRAU VON WALLENFELD. Großer Gott! erbarme dich unser! Sie bedeckt sich das Gesicht mit dem Schnupftuche.

LIEUTENANT. Dein Mann, der gnädige Herr, ist ein schlechter Kerl.

FRAU VON WALLENFELD. Sie sind strenge, lieber Vater.

LIEUTENANT. Als die Leidenschaft euch bethörte, dich und ihn, damals hätte ich strenge sein sollen, und dir befehlen, laß ihn ziehen. Aber du liebtest, weintest, sehntest dich; er winselte mit; Glücksträume trieben ihr Spiel mit meiner[174] Vernunft, und ich sprach Ja zu deinem Elende. Vergib mir es. Ich will jetzt sehen, wie ich es noch wieder gut machen kann.

FRAU VON WALLENFELD steht auf. Mein Mann ist strafbar, aber er verdient einige Entschuldigung.

LIEUTENANT. Vor dem Gericht der Liebe, recht so. Du bist ein braves Weib. Aber vor dem Richterstuhl der Ehre soll er sich stellen, dem Vater soll er Rechenschaft geben.

FRAU VON WALLENFELD. Hören Sie mich –

LIEUTENANT. Und wenn er da nicht besteht –

FRAU VON WALLENFELD. Der Vater wird den Sohn väterlich richten.

LIEUTENANT. Gutes Weib! ich sage es noch einmal: ich habe auf der Welt nichts als dich und die Ehre. Meine Ehre ist oft genug von der Allmacht der Kriegsminister gekränkt – Ich bin viel gebraucht, zum Dank übergangen, gehudelt, wieder gebraucht, und immer wieder übergangen worden. – Nun ich habe die Zähne zusammengebissen, die Hand auf den Stich in die Brust gelegt, den der feindliche Karabinier mir versetzte, und gedacht: er hat allenfalls den Platz gezeichnet, wo das Ordensband liegen könnte – es liegt nicht da – auch gut! Das Gefühl von dem, was mir gebührt hätte, gelte für das Band, das ich nicht habe. Jeder Groll wurde verschmerzt, wenn ich an dich dachte. Nun ist aber dein Glück auch zerstückt: was soll mich nun trösten, da ich in meinen Jahren eben jetzt noch einmal übergangen werde?

FRAU VON WALLENFELD. Wie? ist das möglich?

LIEUTENANT. Ja, mein Kind. Ein junger Bursche soll mein Hauptmann werden. Diese schändliche Hintansetzung meiner Ehre hat alle meine Wunden wieder aufgerissen, und[175] deine Thränen brechen mein Herz völlig. Ich will Genugthuung als Offizier und als Vater: deshalb bin ich hergekommen; und nun laß mich nur machen.

FRAU VON WALLENFELD. Lieber Vater, wollen Sie meinen Karl noch nicht sehen?

LIEUTENANT. Ja! – Pause. Sieht er deinem Manne gleich?

FRAU VON WALLENFELD. Er hat viel Ähnlichkeit von Ihnen.

LIEUTENANT. Das Kind wird mich weich machen.

FRAU VON WALLENFELD. Es wird für seinen Vater bitten.

LIEUTENANT. Aber fest bleibe ich doch; denn deine vereinten Augen, liebe Marie, klagen lauter, als das Kind bitten kann. Komm, führe mich zu ihm. Sie gehen.

Quelle:
August Wilhelm Iffland: Theater. Band 3, Wien 1843, S. 173-176.
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