Zehnter Auftritt.

[136] Dominique Vater. Marquis, welche Delomer in der Thüre aufhalten. Dominique Sohn.


DOMINIQUE V. Wir haben großen Rath zu halten. Sie müssen mit uns umkehren, lieber Delomer!

DOMINIQUE S. sammelt sich und will gehen.

MARQUIS. Dabey bedürfen wir auch Ihres Rathes, lieber Dominique!

DOMINIQUE S. bejahet das gefällig, und kehrt zurück.

DOMINIQUE V. Wie seht ihr beide aus?

DELOMER. Eine Verschiedenheit der Meinung brachte uns nach und nach in ein lebhaftes Gespräch –[136]

DOMINIQUE V. Gewiß herrschaftliche Regierungssorgen? Je nun – weshalb wollt ihr durchaus Andre regieren? Man hat genug zu thun, sich selbst vernünftig zu regieren.

DELOMER. Nun, wovon ist die Rede?

DOMINIQUE V. Lieber Bruder Delomer, Sie müssen jetzt mit Ihrer Erfahrung – worauf ich große Dinge halte, dem Marquis an die Hand gehen. Was kann denn nun wohl hier aus ihm werden?

MARQUIS. Lieben Freunde! In mein Vaterland zurückkehren – das ist mir unmöglich.

DELOMER lebhaft. Sie haben Recht.

DOMINIQUE V. Sie haben Unrecht.

MARQUIS. Was mich liebte – ist nicht mehr. Was mich erfreute – ist verändert. Den mühseligen Lebensrest will ich in der Stille im Geleit der Freundschaft tragen.

DELOMER. Wir öffnen Ihnen die Arme.

DOMINIQUE S. Von Herzen.

DOMINIQUE V. Aber Herr Marquis! das Vaterland hat Rechte –

MARQUIS. Freund! Meine Söhne sind dort erschlagen.

DOMINIQUE V. hastig. Nun freylich. – Nun ja – – ja! Ey! – so kaufen Sie sich hier an! –

DELOMER ist etwas verlegen.[137]

MARQUIS nachdenkend. Ankaufen?

DOMINIQUE V. So wie Herr Delomer sich recht wacker angekauft hat. Sie können es ja.

MARQUIS. Auch habe ich wohl schon daran gedacht.

DOMINIQUE V. Sie pflanzen sich dann Bäume an –

MARQUIS. Ich würde ihren Schatten nicht mehr erleben.

DOMINIQUE V. So pflanzen Sie Ihren Kohl! Ja bey meiner Seele! Wenn die Hoffnung uns lange genug irre geführt hat in dem bunten Gewirre – so hören unsre Entwürfe auf mit einem Beet Kohl. Um die Zeit wird es ruhig in der Brust; wir befinden uns nicht am schlechtesten dabey, und will die Uhr eben ablaufen, stoßen wir unsern Spaten in die Erde, verlassen das ehrliche Tagewerk in Frieden und ohne Reue.

DOMINIQUE S. herzlich. Das ist sehr wahr.

DELOMER. Ein solcher Ankauf hat allerdings manchen Reitz. Aber doch auch viel Belästigendes. –

DOMINIQUE V. Kaufen Sie sich einen Hof – nur keine Herrschaft. Das Recht über Gras und Korn – nur nicht das traurige Recht über Leben und Tod.

MARQUIS. Eben daran habe ich eine Weile gedacht. Aber mit jedem Ankauf würde ich die[138] guten Leute in Verlegenheit setzen, denen ich den größten Theil meines geretteten Vermögens – vielleicht alles zugedacht habe.

DELOMER. Wie fern?

DOMINIQUE S. Sie haben noch Verwandte?

MARQUIS. Sehr weitläuftige. Die Veränderung der Dinge hat sie reich gemacht, reicher als ich bin und war. Sie verdienen ohnehin mein Andenken nicht. Aber einen Freund habe ich noch in Paris.–

DOMINIQUE S. herzlich. Gewiß? Sie werden ihn nicht vergessen.

MARQUIS. Einen Freund! – Sehr gerührt. Ach! ich kann ihm nie vergelten, was er an mir gethan hat.

DELOMER etwas gezogen. Wer ist es?

DOMINIQUE V. Kenne ich ihn?

MARQUIS. Verkannt liegt das ungeschliffene Juweel! – Mein Freund ist mein ehemaliger Kutscher.

DELOMER. So?

DOMINIQUE V. Wodurch ist Ihnen der Mann so werth geworden?

MARQUIS. Mit Gefahr seines Lebens hat er das Meinige gerettet.

DOMINIQUE V. Das ist brav!

DOMINIQUE S. sanft. O vergelten Sie ihm seine That reichlich![139]

MARQUIS. Als in jener Zeit, aus einer irrigen Maßregel, der Adel alle seine Bedienten verabschiedete – hatte ich – ein Jahr vor meiner Rettung auch ihn entlassen –

DELOMER. Und dieser Kutscher hat Sie gerettet?

DOMINIQUE S. Gerade der?

MARQUIS. Als ich gefangen war, grämten sich meine Freunde; aber ihre Betäubung, oder ihre Muthlosigkeit unternahm nichts für mich. Man sieht meine Verurtheilung voraus; das geht diesem Manne zu Herzen; er hat nicht Ruhe noch Rast. Er geht bey meinen Freunden umher, erschüttert sie. Sie entwerfen einen Plan; er giebt sein Ersparnis dazu her, und führt ihn aus.

DOMINIQUE V. Erzählen Sie uns das!

DOMINIQUE S. Wie that er das?

MARQUIS. Früh vor Tage ward mein Kerker ausgeleert, und ich in zahlreicher Gesellschaft dem Tode zugeschleppt. Eine dichte Menge Volkes erwartete uns vor dem Gefängniß, empfing uns mit schadenfrohem Gebrüll, und die schon halb trunkne Wache konnte und wollte sie nicht zurückhalten. Von dieser Masse, der wir als gefährliche Verbrecher geschildert waren, wurden wir umringt, gedrängt, geschmäht, beschimpft. Ich ging ganz zuletzt. Ganz besonders ward ich hin- und hergezerrt, gemißhandelt, und die Wache neben mir[140] immer mehr von Bacchanten mit heißem Getränk fast sinnlos gemacht.

DELOMER. Schrecklich!

MARQUIS. Der Zug rückt fort, muß oft halten, kann endlich nicht mehr vorwärts. Man sendet nach stärkerer Bedeckung. Das Getümmel, das Geschrey steigt an die Wolken. Dieser Bösewicht ist der ärgste; ruft eine Stimme – ich fühle mich mißhandelt, sehe in ein blutiges Gesicht; – diese Gestalt reißt mich aus dem Zuge; – fort mit ihm! rufen die Trunknen; er weiß noch mehr Mitschuldige, und muß sie bekennen. Zurück vor den Richter! Man reißt mich zu Boden – Die Menge schneidet mich ab von dem Zuge; in der Mißhandlung wird mein Gesicht mit Gewalt entstellt; man reißt die Kleider mir ab; der Haufen drängt mich von einer Gasse in die an dere; – ein kurzer Mantel wird mir umgeworfen. Der trunkne Pöbel wüthet blind fort, und kennt nicht mehr den Gegenstand, dem es gilt.

DOMINIQUE S. Ich hole kaum Athem.

MARQUIS. So schimpfen Sie doch, so verfolgen Sie doch mit – ruft die blutige Gestalt mir in die Ohren. –

DOMINIQUE V. Brav, brav!

DOMINIQUE S. Weiter! weiter!

DELOMER. Sehr brav!

MARQUIS mit Begeisterung. Ein Strahl der Rettung begeistert mich; ich wüthe so arg, wie jene;[141] wir drängen uns vorwärts; – an den Gassenecken werden feurige Reden und Aufrufe gelesen – die Menge verliert sich dort – zuletzt bin ich mit etlichen Gedungenen allein. Man bringt mich in den Keller eines kleinen Hauses, kleidet mich um. Mein blutiger Verfolger fällt mir um den Hals – und es ist mein ehrlicher Kutscher, der unter dieser Larve und durch Mißhandlungen mein Leben mir gerettet hat.

DOMINIQUE S. umarmt ihn. Dank ihm! – O wie mich das erschüttert hat!

DELOMER. Tief in die Seele.

MARQUIS. Und dieser Mann ist Gatte und Vater.

DOMINIQUE V. Gott segne den Ehrenmann!

MARQUIS. Er bringt mich in mancherley Gestalten durch das Land. Er wagt in jeder Stunde, sein Leben mehr als einmal. Wir kommen endlich an die Küste. Er erkauft ein Fischerboot, mich einem Dänischen Schiffe nachzuführen. Er sieht mich einsteigen, bleibt am Ufer, bis ich Nahe am Schiffe bin, fällt auf die Knie, schwenkt seinen Hut – läuft fort landeinwärts. – So ist er mir aus den Augen gekommen, aber nie aus dem Herzen. Er setzt sich erschöpft.

DOMINIQUE V. küßt den Marquis auf die Stirn.

DOMINIQUE S. faßt seine Hand und sieht ihn starr an.[142]

DELOMER trocknet die Augen. Es ist wahr, der Mann hat überaus brav gehandelt.

DOMINIQUE V. Ueberaus brav? Nur brav? Heldenmäßig heiße ich das, und es ist gar nicht zu vergelten.

DELOMER mit Feuer. Ja! Sie müssen ihm ein gutes Legat aussetzen.

DOMINIQUE V. drückt dem Marquis die Hand. Das müssen Sie nicht thun.

DELOMER. Bey Gott! das müssen Sie.

DOMINIQUE V. Ein Legat? So lange soll der Mann seine Dankbarkeit in seiner Brust verriegeln? Wenn sein Athem ausgelöscht seyn wird, dann soll sein Retter erst einen frischen Athemzug führen? Das ist Nichts! Lassen Sie sich hier auszahlen, und wenn Ihr Eigenthum so vor Ihnen da liegt, dann zahle Ihr Herz seine Schuld gleich ab. Fort mit der Summe an ein sicheres Haus! der Mensch wird hingerufen; man schiebt ihm in die Taschen, was er verdient hat; Ihr Wort aus dem Herzen steckt man ihm in die Hand – fahr zu, Kutscher! Und nun weiter kein Wort mehr!

MARQUIS. Ja, wir wollen redlich zusammen theilen. Er steht auf. Und das diese Woche noch.

DOMINIQUE V. Je eher, je lieber. Der Augenblick ist unser – wer weiß, was wir im nächsten Augenblicke sind.[143]

MARQUIS auffahrend. Sehr wahr! – Ja, lieber Delomer! Machen Sie mir diese Freude recht bald, so geschieht doch, so gut ich kann, einmal etwas Ganzes.

DOMINIQUE S. Ach! das geschieht ja so selten.

DELOMER die Bedenklichkeiten, welche Delomer von nun an macht, kommen nicht aus dem Geitz, sondern aus den Verlegenheit, das Geld nicht schaffen zu können. Der Ton ist daher gutmüthig verlegen; nicht kalt bedenklich. Ich gehe von ganzer Seele in Ihr schönes Gefühl und in die rasche Handelsweise meines Freundes Dominique. Aber man muß doch zuvor bedenken –

DOMINIQUE V. Man muß geben!

DELOMER. Ob Ihre Gabe auch so sicher in seine Hände kommt –

MARQUIS. Dazu weiß ich Maßregeln.

DELOMER. Und ob der Mensch auch –

DOMINIQUE. V. Lieber Bruder Delomer! Alle Bedenklichkeiten, die hier gemacht werden können, verlieren sich vor der großen Bedenklichkeit, daß der Mensch zu spät glücklich wird.

DELOMER. Freylich! Nun, es ist zu hoffen, daß er noch lebt – denn sonst –

DOMINIQUE V. Ja wohl lebt er! Ey so eine Handlung giebt langes Leben.

MARQUIS. Er lebt. Es war meine erste Nachforschung in Europa.[144]

DELOMER. Nun das ist gut. Denn sonst –

DOMINIQUE V. Wissen Sie wohl, Herr Bruder daß Ihre Vorsicht mich recht ärgert?

MARQUIS. Tadeln wir unsern Freund nicht! Er drückt Delomer die Hand. Danke ich nicht dieser seiner Vorsicht die Erhaltung des Meinigen?

DELOMER. Ich werde übrigens gleich Anstalt machen, daß das Geld –

DOMINIQUE V. Anstalt! so recht! das ist die Sache! Nun denn – Das wären denn so Ihre Anstalten. Er seufzt unwillkührlich, lächelt aber gleich darauf. Wir haben doch deren auch noch zu machen.

DOMINIQUE S. Wozu, lieber Vater?

DOMINIQUE V. sieht ihn an. Ey! Er klopft ihm freundlich auf die Schulter. Du mußt nicht fragen, du! Er geht zu Delomer. Das geht uns Väter an. Er faßt ihn vertraulich bey der Hand. Und wenn ihr andern mir es nicht übel nehmen wolltet – so möchte ich wohl jetzt mit meinem Bruder Delomer ein Wort davon reden.

MARQUIS zu Dominique S. Kommen Sie, lieber junger Freund! Wir wollen indeß meine Zukunft ausmalen. Der Grund des Gemäldes ist nicht hell – indeß – träumen wir so angenehm, als möglich. – Geht mit Dominique Sohn.

DOMINIQUE S. läßt ihn vorausgehen, und dabey sieht er in der Thüre sich um.

DELOMER steht nachdenken.[145]

DOMINIQUE S. kehrt rasch um, führt Delomer bey Seite. Sie sind Nicht ungehalten auf mich?

DELOMER verneint es, und reicht ihm die Hand.

DOMINIQUE S. legt Delomers Hand zwischen seine beiden Hände, verneigt sich etwas, und im Gehen wirft er Dominique einen Kuß zu. Gute Anstalten, lieber Vater! Geht ab.


Quelle:
August Wilhelm Iffland: Das Erbtheil des Vaters. Leipzig 1802, S. 136-146.
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