Vierte Szene


[330] Erzbischof von Rostow. Dolgoruki.


DOLGORUKI.

Wie Herr? Nicht im Ornat? Nicht in der Kirche?

ERZBISCHOF.

Die Prachtgewand' und Weihrauchfässer sind

Zur Sakristei zurückgelangt.

DOLGORUKI.

Ihr scherzt.

Soeben woll't ich kommen.

ERZBISCHOF.

Bleibt zu Haus.

Das kann uns all' verderben!

DOLGORUKI.

Was denn, Herr?

ERZBISCHOF.

Die Nische unterm Baldachine ist

Des Löwen Höhle. Niemand wagt sich hin,[330]

Wenn auch der Löwe starb. Das Volk wird stutzig,

Rußland ist nicht der Leib, der seinen Kopf

Lang missen kann. Ich sag' Euch: Dieser Umstand

Ist äußerst schlimm.

DOLGORUKI.

Sprecht klarer, Dosithei.

ERZBISCHOF.

Er weigert sich.

DOLGORUKI.

Wer?

ERZBISCHOF.

Ei, der Zarewitsch.

So wißt Ihr's nicht?

DOLGORUKI.

Nein! Weigert? Wessen weigert

Der Jüngling sich?

ERZBISCHOF.

Den Willen uns zu tun.

DOLGORUKI.

Wo lebt der Mensch, der eine Krone haßt?

Ist's möglich, Dosithei? Weigert sich?

Warum?

ERZBISCHOF.

Man hätt' den Schein der Unterwerfung

Mehr wahren sollen. Ich riet stets dazu.

Es gibt Gemüter, deren Wachen Traum,

Und deren Träume, tönt des Rufers Wort,

In des Erweckten Wort und Tat sich spiegeln.

Wir irrten uns in diesem Knaben. Was

Uns Blödigkeit und weicher Sinn geschienen,

Wirft nun die Larve ab. Sprecht selbst mit ihm,

Versucht, ob Ihr ihm was erwidern könnt.

Ja, diese Romanows! Ein Spitzkopf war

Ihr Ahnherr; faltig sind der Enkel Seelen.[331]

DOLGORUKI.

Ein böser Streich!

ERZBISCHOF.

Und Kikin ist entflohn. –

DOLGORUKI.

Entflohn? Weshalb?

ERZBISCHOF.

Ich mag davon nicht sprechen.

'Ne Nachricht ward ihm, die ihn blaß gemacht.


Nach einer Pause.


Wir wissen, Dolgoruki, was zu fürchten ...

Hör meinen Rat. Noch können wir uns retten.

So wie die Sachen stehn, läßt alles sich

Auf Glebof werfen. Bergen wir uns zeitig!

DOLGORUKI.

Das ist dein Rat; er duftet nach der Zelle.

Für Dolgoruki ist die rechte Zeit,

Wenn rauh durch blut'ge Stürme rast die Zeit.

ERZBISCHOF.

Ihr seid ein Mann des Kriegs. Ich geh nach Rostow.

Die Zukunft hab' ich nur vorher verkündet,

Sei's, wie es sei! Ich bin geborgen, hoff' ich.

Wer straft um Weissagungen einen Heil'gen?


Ab.


DOLGORUKI allein.

Der Boden unsres Unternehmens schwankt,

Von Schrecken aufgewühlt. Dosithei fort,

Und Alexander fort! –

Die Wendung sieht

Bedenklich aus. – Mitnichten, 's ist ein Glück!

Folgt' ihnen Lapuchin! Wer sind die beiden?

Ein Tollkopf wen'ger, ist 'ne Hoffnung mehr;

»Mit Priestern teilt der Teufel sich zum Nachteil«[332]

Sagt unsrer Väter Spruch. Sei froh mein Herz!

Das Feld wird immer lichter. Nur noch Glebof.

In einen Zweikampf löst die Schlacht sich auf,

Und ich hab' wackre Sekundanten. – Jetzt

Zum Kreml! Wir woll'n versuchen, ob der Knabe

Nicht wird zu zwingen sein.


Er geht ab.


Quelle:
Karl Immermann: Werke. Herausgegeben von Benno von Wiese, Band 4, Frankfurt a.M., Wiesbaden 1971–1977, S. 330-333.
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