Dritte Szene


[423] Zimmer in der Festung. Nichts Kerkerartiges Aussicht auf eine Galerie.

Alexis an einem Tische, vor einem aufgeschlagenen Buche. Oberst Schepelew steht bei ihm.


SCHEPELEW.

Hört auf zu lesen, Prinz; spät ist es schon,

Ihr seid zu eifrig, Ihr verderbt die Augen.

ALEXIS.

Ich wollt', ich hätt' vier Augen, Schepelew,

Um doppelt viel zu lesen. In den Geist

Senkt sich, wie himmlisch Manna, eine Saat

Von würdigen Gedanken. Auf nun wallt

Das dürrgelegne Feld von goldnen Halmen.

O meine Seele dürstet, ihren Trank[423]

Mit tausend Lippen einzuschlürfen! Laß mich

Noch lesen, Schepelew.

SCHEPELEW.

Was las't Ihr eben?

ALEXIS.

Den Tod des Schwedenkönigs Erich Vierzehn,

Und seines Lebens Leiden. – Von dem Vater

Ward er in Ungunst spärlich-kurz gehalten,

So schwand ihm seine arme Jugend hin.

Genannt ein König, wollt' er König sein;

Die bösen Brüder, und die bösen Sturen

Verhinderten's mit arger Hinterlist;

So schwand ihm seine Männlichkeit dahin.

Und als er, ein gehetzter Leu, die Hunde

Zornbrüllend niederwarf, da schlugen sie

In Bande seinen Leib. Nun wandert' er

Die tiefe Furch' in seines Kerkers Estrich,

Erwies es schriftlich Schluß auf Schluß, daß er

Beständig Recht gehabt. (Wie ich der Meinung

Denn auch in Rücksicht seiner bin.) Da brauchten

Das letzte Mittel sie, und schickten Gift

Nach Kerker Örbyhus. Das trank der König;

So schwand zuletzt sein Leben ihm dahin.

SCHEPELEW beiseite.

(Ich las die Kunde auch von diesem König,

Doch darin stand manch andres Wort geschrieben.

Ach, Unglück sieht nur sich in jedem Ding!)

ALEXIS.

Und kaum ist der gekränkte Fürst verschieden,

So andert alles sich. Haß trennt die Brüder,

Nur Not erschlich der schleichende Johann.

Zur Gruft des heiß zurückersehnten Toten

In Westeräs, drängt sich das reu'ge Volk,[424]

Von Tränen rosten die metallnen Pforten.

Es lebt Erinn'rung über Gräbern auf,

Und sinnend sitzt die Rach' auf Leichensteinen. –

O welch ein teurer Trost ist die Geschichte!

Welch' gründliche Arznei! – Im Zeitensaal

Wird abgetan der Schleier jedem Trug,

Da blinzt verlegen aufgespreizter Stolz,

Da zeigt getrost die Unschuld ihre Wunden.

Der Augenblick ist ein verworrner Spieler,

Mit wüstem Grinsen, ungeschickter Faust

Sitzt er am Brett, auf das des Höchsten Hand

Die Steine hat gestellt. Er zieht sie quer

Und schief und über Eck. Dann durcheinander

Wirft er sie auf den Tisch. – Nun ist die Macht

Des frevelnden Gesellen hin; nun schreitet

Herzu die heil'ge Göttin, stellt das Spiel

Nach seiner Regel wieder her; die Völker

Ruft sie zum Tisch, und zeigt den Schauenden,

Wie eigentlich gezogen werden mußte.

Da wird der Bauer wieder Bau'r, der Schach

Der träge Schach, der Ritter springt und fliegt,

Die Königin geht ihren kühnen Gang.

SCHEPELEW.

Wollt Ihr nicht die Gedanken davon wenden?

Ihr regt Euch auf, und braucht der Ruh'. Ihr habt

Zu morgen einen schweren Tag, mein Prinz.

ALEXIS.

Ich habe morgen meinen Ehrentag,

Ich kämpfe morgen einen guten Kampf,

Ich pflücke morgen mir mein Siegesreis!

SCHEPELEW.

Ein unfruchtbarer Kampfplatz!

ALEXIS.

Wohl so fruchtbar,[425]

Als jeder andre. Überall, wo Feinde

Unmächtig knirschend zagen, grünt ein Lorbeer.

Nicht bloß die Schlacht zeugt Helden.

SCHEPELEW.

Gebe Gott,

Daß Euch die Hoffnung nicht betrügt!

ALEXIS.

Sie wird's nicht.

Sie hat mich vierundzwanzig Jahr betrogen,

Und nun bereut sie es, und tut's nicht mehr.

Ich jauchze über meiner Feinde Qual!

Wie sich die klügsten, stärksten Männer Rußlands

Abmühn, den blöden Menschen zu verderben,

Den sie gehöhnt, verachtet und beschimpft!

Der kluge Feldherr bin ich, der sich stellt,

Als sei er überwunden. Schüchtern sag' ich,

Demüt'gen Blicks, im Ton des Angeklagten,

All meines Herzens Haß und Bitterkeit

Den Schachern ins Gesicht. Was ich gedacht,

Bekommen sie zu hören, und sie dürfen –

(Und das bringt sie zur Raserei –) daraus

Mir kein Verbrechen machen. Wie das freut,

Dem Gegner in das Herz den Pfeil zu senden,

Und dann am Widerhaken ihn zu wenden!

SCHEPELEW.

Ihr habt Euch wundersam verändert, Prinz.

Ihr wart sonst still und scheu.

ALEXIS.

Ich war es, Freund.

Ein jeder wandelt sich wohl mit den Jahren.

Da andrer Los gar anders war, als meins,

Bin ich das Gegenteil von andern Menschen.

Denn ihnen fängt das Leben fröhlich an,

Sie scherzen mutig ihre Tage hin,[426]

Bis daß ein Elend kommt, dann zittern sie

Den Rest der Jahre. – Mir ging auf das Licht

In Trübsal und in Zwang, und ich begann

Mit Zittern meine Jugend. Da zerstörte

Der Zwang sich selbst durch wildes Übermaß,

Im Herzen stockte mir der Quell der Trübsal,

Weil er zu reich geströmt. Jung, war ich Greis,

Nun bringen mir die Stunden meine Jugend,

Und kühnlich end' ich, weil ich scheu begann!

SCHEPELEW.

Beklagenswerter Fürst!

ALEXIS.

Beklagenswert?

Ihr seid viel schlimmer dran.

SCHEPELEW.

Wer?

ALEXIS.

Du, die Leute,

Die draußen sind, bis zu dem Zar. – Du bist

Mir freundlich; warum hältst du mich verhaftet?

SCHEPELEW.

Gott, Prinz, die Furcht ... Der Zar, voll herben Hohns,

Gab mir dies Amt, weil ich für Euch gestrebt.

Er weiß, so streng wahrt keiner diese Schlüssel,

Als ich, weil ich verdächtig einst gewesen.

ALEXIS.

Gut. Und die Richter? Warum sinnen sie

Auf meinen Tod?

SCHEPELEW.

Aus Furcht. Weil, wenn Ihr lebt,

Sie unterm Schwert die Köpfe haben.[427]

ALEXIS.

Richtig.

Doch Katharina, warum haßt sie mich

In ihrer süßen Maske?

SCHEPELEW.

Nun – aus Furcht,

Sie möchte, höbe Euch die Zeit empor,

Den Platz verwechseln mit Eudoxien.

ALEXIS.

Recht!

Das wird auch alles so geschehn. – Zuletzt:

Der Zar, warum verfolgt er seinen Sohn?

SCHEPELEW.

Aus Furcht, Ihr schleudert in das Nichts sein Werk.

ALEXIS.

Furcht also überall! Vom Zar zu dir!

Kronfarbe Rußlands ist trübsel'ge Furcht.

Ich fürchte niemand. Dich nicht, nicht die Richter,

Nicht Katharinen, nicht den Zar. Wer ist

Beklagenswert?

Ich bin der einz'ge Freie unter euch.

SCHEPELEW.

Gut' Nacht, mein Prinz.

ALEXIS.

Gut' Nacht, mein sanfter Wächter.

Bewahr' du deinem jetz'gen Herrn die Schlüssel.

Der Künft'ge weiß, wie du's getan. – Fort, fort!


Schepelew ab.


ALEXIS allein, steht am Fenster.

Da drüben prahlen fünfzig helle Fenster;[428]

Grell glüht der Palast mir ins Antlitz. Hier

Flammt ein bescheidnes Lämpchen. Schüchtern wirft's

Sein frommes Licht auf dieses schlichte Lager,

Das keine Sorge je mit mir geteilt.

Du könntst erlöschen, Lampe, und es bliebe

Doch hell in diesem Zirk. Da drüben aber,

Wenn auch der Kerzen hundert, aber hundert,

Und wieder hundert mehr entzündet würden,

Es wär' nicht hell genug, dem Herrn des Schlosses

Die hinterhältigen Gedanken, Listen,

Versteckten Anschläg', Ränke zu beleuchten,

Die in den Falten dort um falsche Lippen

Gelagert lauern; unter tiefen Braunen

Beschattet drohn; heimtück'sche Augenwinkel

Zu ihrer Drachenhöhl erkiesten. –

Zar,

Ich könnt' dich fast bedauern. All dein Leben,

An ein Exempel ist's gesetzt. Sobald

Der Mensch sich findet, welcher ist, wie er

Zu sein sich vorgenommen, steht die Rechnung

Dem Rechner nicht mehr klar. Welch schwach Gebäude,

Das ein beherzter Atemzug erschüttert!


Quelle:
Karl Immermann: Werke. Herausgegeben von Benno von Wiese, Band 4, Frankfurt a.M., Wiesbaden 1971–1977, S. 423-429.
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Ausgewählte Ausgaben von
Alexis
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