Zweites Kapitel

[165] Am folgenden Morgen ging ich nach dem mir bezeichneten Gasthofe und fragte den Oberkellner nach der Zimmernummer meines Ankömmlings. An dem Lächeln des Menschen konnte ich abnehmen, daß der Gast ihm wundersam bedeuchte, auch schien er zu Erläuterungen nicht abgeneigt, denen ich mich indessen entzog. Ich stieg die Treppe hinauf, klopfte an und vernahm von drinnen ein heftiges: »Herein!«

Eintretend sah ich eine hagere, kümmerliche Gestalt im Hemd auf dem Bette liegen, obgleich es schon elf geschlagen hatte. Das Zimmer war ungeheizt, auch kein Ofen in demselben, die Dezemberkälte groß. Man hatte ihn wegen Überfüllung des Hauses mit Besuch, oder aus, was weiß ich welchem Grunde, in dieses dürftige Gemach eingespündet. Er reichte mir die vor Frost zitternden Hände; seine Zähne klapperten. Er versicherte mich zu wiederholten Malen: er sei gut, sehr gut, woran ich noch keinen Zweifel geäußert hatte, und forderte mich auf, ihn zu achten und zu lieben, was ich ihm gern zusagte.

Vorderhand lag mir nun freilich hauptsächlich daran, ihn entweder unter die Decke (denn er lag trotz des Frostes auf[165] derselben) oder in die Beinkleider zu bringen, damit die grimmige Kälte ihm nicht ein Übel zuziehe. Allein er verweigerte anfangs beides standhaft, und behauptete, nur der mittlere Grad des Erkaltens, das Ziehen oder Frösteln, sei unangenehm; der heftige zähneschüttelnde Frost dagegen setze sich wieder in eine Empfindung um, behaglich, wie die Wärme.

Ich war schon über diese unnützen Reden, die mit einer Kolik endigen konnten, einigermaßen verdrießlich geworden, als er rasch aufsprang, und, die Stube in seiner Bekleidung, unter welcher es für den menschlichen Körper keine mehr gibt, durchschreitend, zornig ausrief: »Die Hunde! Denken sie, sie dürfen mir ein ungeheiztes Zimmer bieten? Ich bin Auditeur gewesen und habe meinen ehrenvollen Abschied bekommen, man muß mich in jeder Gesellschaft: Herr Auditeur, nennen. So muß man. Da hängt meine Uniform, und da steht mein Degen! Sie lachen? Da hängt sie und da steht er!« Endlich hatte ich ihn denn doch durch Zureden dahin gebracht, daß er in die notwendigsten Kleider fuhr und sich zu einigen ruhigen und geordneten Reden herbeiließ, als ihm plötzlich wieder der Gedanke durch den Kopf schwirrte, wir müßten zur Feier seiner Ankunft auf den Abend ein Punschfest mit einigen Gleichgestimmten veranlassen. Ich konnte nun keineswegs wünschen, daß die »Düsseldorfer Zustände« von ihrem Beginnen an einen so hohen Schwung nehmen möchten, worauf er, nach dem ich ihn von jenem Vorsatze abgebracht, mich aufforderte, wenigstens mit ihm zu frühstücken.

Der Kellner brachte auf sein Geheiß Brot und kalte Küche, wurde aber grimmig angefahren, warum das Brot nicht mit Butter bedeckt sei? Der Bursche versetzte gelassen: »Sie haben bloß Brot befohlen und kein Butterbrot.« – »Was?« rief Grabbe ereifert: »Soll ich, wenn ich ein Pferd miete, auch noch ausdrücklich den Schwanz dazu mieten? Butter gehört zum Brote, und Brot zur Butter, wie der Schwanz zum Pferde, und das Pferd zum Schwanze!«

Ich sagte: »Wir wollen jetzt Butter Butter, Brot Brot, Schwanz Schwanz und Pferd Pferd sein lassen, und in das[166] Quartier einziehen«, befahl dem Kellner, die fahrende Habe zusammenzupacken, und hielt dem andern Rock und Weste zum Anziehen hin. Er sah mich mit den wunderbaren, erschrockenen Augen groß an und brach dann in ein ruckweises Lachen über sich, über mich, über den emsigen Kellner, endlich über die ganze Welt aus, indem er vor sich hinmurmelte: »Das soll wohl hier eine Suppe werden!«

Langsam setzte sich nun unser Don Quijotischer Zug aus dem Gasthofe nach seinem Quartier in Bewegung. Voran der Karren mit dem Koffer und Mantelsack, auf dem der Auditeurdegen, lose angebunden, hin und her schwankte; hinterher Grabbe an meiner Seite mit hohen und wankenden Schritten das Pflaster tretend. Ich hatte ihn bei einer alten, verständigen Witwe untergebracht. Diese versprach, für ihn in alle Wege zu sorgen, denn es ließ sich auf den ersten Blick erkennen, daß er mit den Bräuchen des Lebens unbekannt war, wie ein Kind.

Verwundert hatte uns der Wirt nebst seinen Kellnern und einigen neugierigen Gästen nachgesehen. Und in der Tat, sie hatten recht. Wenn ein Bewohner des Mondes auf die Erde fiele, er würde sich zu uns anderen nur ungefähr so fremd verhalten, wie mein irrender Ritter der Poesie. Nichts stimmte in diesem Körper zusammen. Fein und zart – Hände und Füße von solcher Kleinheit, daß sie mir wie unentwickelt vorkamen – regte er sich in eckichten, rohen und ungeschlachten Bewegungen; die Arme wußten nicht, was die Hände taten, Oberkörper und Füße standen nicht selten im Widerstreite. Diese Kontraste erreichten in seinem Gesichte ihren Gipfel. Eine Stirn, hoch, oval, gewölbt, wie ich sie nur in Shakespeares (freilich ganz unhistorischem) Bildnisse von ähnlicher Pracht gesehen habe, darunter große, geisterhaft weite Augenhöhlen und Augen von tiefer, seelenvoller Bläue, eine zierlich gebildete Nase; bis dahin – das dünne, fahle Haar, welches nur einzelne Stellen des Schädels spärlich bedeckte, abgerechnet – alles schön. Und von da hinunter alles häßlich, verworren, ungereimt! Ein schlaffer Mund, verdrossen über dem Kinn hängend, das Kinn kaum vom Halse sich lösend, der ganze untere Teil des Gesichts überhaupt[167] so scheu zurückkriechend, wie der obere sich frei und stolz hervorbaute.

Jenes Märchen dichtet von dem gemischten Metallkönige, aus welchem die Irrlichter die haltenden Goldadern lecken, so daß er zwischen Form und Unform zusammensinkt. An dieses Märchengleichnis konnte man erinnert werden, wenn man solche Widersprüche der Organisation sah.

Quelle:
Immermann, Karl: Memorabilien. München 1966, S. 165-168.
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