4. Das Paradies.

[29] Lange bevor unser Herrgott die Menschen erschaffen hat, empörte sich der Teufel gegen ihn, denn er war so hochfahrend, dass er selbst die Welt beherrschen wollte. Gott der Herr liess sich aber den Übermut des Teufels nicht gefallen und bannte ihn mit seinen Anhängern tief in das Innere der Erde hinein. Dort sass er nun und sann Tag und Nacht, wie er wieder heraus kommen könne an das liebe Sonnenlicht. Überall hatte er Wächter ausgestellt, die mussten Obacht geben, ob sich nicht irgendwo etwas Verdächtiges zeige. Da kam einmal ein Teufel gesprungen und sprach zu seinem Herrn: »Heute Nacht ist eine Wurzel durch die Decke unseres Reiches gedrungen!« Als der Oberste der Teufel das hörte, ward er über die Massen froh und verwandelte sich in eine Schlange und schlängelte sich an der Wurzel entlang nach der Oberwelt zu.[29]

Nachdem er geraume Zeit geklettert war, rief eine Stimme: »Halt!« Das war ein Diener des Todes, dem unser Herrgott sein Reich über dem des Teufels angewiesen hat, und der wollte nicht leiden, dass jemand sein Gebiet durchstreife. »Rufe mir deinen Herrn!« bat der Teufel, und als der Tod kam, sagte er zu ihm: »Was willst du hier alleine, in dem weiten, weiten Reich? Erlaubst du mir aber, dass ich meine Reise vollenden kann, so schwöre ich dir zu, dass du in tausend Jahren Unterthanen die Hülle und Fülle besitzest.« Der Tod bekam ganz blanke Augen, als er die Worte des Teufels vernahm; denn was nützte ihm sein grosses Reich ohne Unterthanen, und er erlaubte dem Teufel den Durchgang durch sein Gebiet. Der kroch in der Schlangengestalt immer höher und höher an der Wurzel hinauf, bis er endlich die Oberfläche der Erde und den Stamm erreichte, zu dem die Wurzel gehörte. Das war aber kein anderer, als der Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen, der mitten im Paradiese stand. Auf den kletterte die Schlange hinauf und wand sich um den untersten Ast herum und schaute die Herrlichkeit an, die der Herrgott geschaffen hatte, um sich ein Reich auf Erden zu gründen.

Nicht weit von ihm ab lagen unter dem Baume im Grase Adam und Eva, das erste Menschenpaar. Sobald das Weib die Schlange erblickte in der schillernden Haut und mit den funkelnden, blitzenden Augen und der langen Zunge, ward sie neugierig und fragte ihren Mann, welch seltsames Tier das wäre. Als der Teufel merkte, wie neugierig das Weib sei, beschloss er, seine List an ihr zu versuchen. Nachdem der Mann fortgegangen war, that er darum den Mund auf und sprach mit lockender Stimme: »Willst du nicht von den Äpfeln dieses Baumes essen?« Das Weib aber wollte nicht, denn der Herrgott hatte es verboten; der Teufel aber wusste so schöne Worte zu machen und pries den Geschmack und die Süsse der Äpfel so sehr, bis das Weib des Verbotes vergass und einen Apfel ergriff, ihn losbrach und ass. Da fiel es ihr schwer auf die Seele, dass sie sich versündigt habe, und damit sie nicht allein verstossen würde, rief sie ihren Mann herbei und bat ihn, auch von den Früchten zu kosten. Adam wurde jedoch sehr zornig und verwies der Eva den Ungehorsam gegen des Herrgotts Gebot. Das bekümmerte sie nur um so mehr, und weil sie durchaus nicht alleine aus dem Paradiese vertrieben werden wollte, nahm sie einen Apfel von dem Baume der Erkenntnis und steckte ihn ihrem Manne mit Gewalt in den Mund, dass er ihn herabschlucken musste. Aber auf halbem Wege blieb er stecken, und noch heute tragen darum alle Menschenkinder den Adamsapfel an der Gurgel und werden ihn tragen, so lange es Menschen auf Erden giebt.

Der Teufel hatte auf diese Weise sein Spiel gewonnen, die Menschen mussten aus dem schönen Garten heraus und verfielen in Krankheiten und Leiden und starben und kamen dadurch als seine Unterthanen in das Reich des Todes hinab. Und ehe tausend Jahre verstrichen waren, war das Versprechen, das der Teufel dem Tode[30] gegeben hatte, in Erfüllung gegangen. Das Paradies aber nahm der Herrgott von der Erde herab und versetzte es auf den Morgenstern, und da ist es bis auf den heutigen Tag.

Es war nämlich einmal ein frommer Mensch, der klagte bei Tag und bei Nacht über das verlorene Paradies und schalt auf Eva, dass sie die Menschenkinder durch ihren Vorwitz darum gebracht habe. Wie er nun eines Abends vor seinem Hause stand und traurig gen Himmel blickte und sich nach dem Paradiese sehnte, stand eine Gestalt neben ihm und ergriff ihn und führte ihn gerades Wegs durch die Luft zu dem Morgenstern hinauf. Da befand er sich in dem herrlichsten Garten. Die Bäume trugen die prächtigsten Äpfel und Birnen, die schönsten Blumen blühten und dufteten in dem grünen Grase und auf den Zweigen sassen überall und überall kleine Singvögelchen und sangen und pfiffen, dass es eine Lust war. Auch den Baum des Lebens konnte er sehen mit seinen zahllosen Zweigen, den grünen und den dürren, welche den Frauen gehören, die kinderlos durch das Leben wandern müssen.

Er konnte noch gar nicht all die Pracht und Herrlichkeit fassen, da trat eine wunderschöne Frau auf ihn zu, mit langen, gelben Haaren und in ein goldenes Gewand gehüllt. Die sah ihn so freundlich und liebevoll an, und dem Manne ward so wohl bei ihrem Anblick, und er ergriff sie bei der Hand und führte sie unter den Lebensbaum, damit er sich mit ihr auf dem weichen, grünen Rasen niederlasse. Und sie liess es sich auch gefallen und setzte sich zu ihm; wie er aber sie herzen und küssen wollte, entglitt sie seinen Armen, und er sank herab tiefer und tiefer, bis er mit einem Male sich auf dem Erdboden dicht vor seinem Hause befand. »Siehst du,« sprach die weisse Gestalt und stand wieder vor ihm, »du schaltest Eva, und jetzt, da du selbst im Paradiese gewesen bist, hast du auch der Versuchung nicht widerstehen können.« Damit verschwand die Gestalt; der fromme Mann aber hat niemals mehr den Vorwitz der Eva tadeln mögen.

Quelle:
Ulrich Jahn: Volksmärchen aus Pommern und Rügen l, Norden/Leipzig 1891, S. 29-31.
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