61. Der schwarze Frosch.

[335] Es waren einmal ein Mann und eine Frau, die waren beide schon viele Jahre verheiratet; aber ihre Ehe blieb kinderlos. Dennoch ging es ihnen herzlich schlecht, und es kamen Tage, wo ihnen selbst das liebe Brot im Schranke mangelte. Eines Morgens, als wiederum kein Bissen Brot im Hause zu finden war, ging der Mann missmutig in den Wald und hing seinen Gedanken nach. Während er so durch den Busch wankte, überkam ihn plötzlich ein grosser Durst. Er eilte zum nahen Fluss, bückte sich über den Bord und trank. Wie er seinen Durst gelöscht hatte und mit dem Kopfe wieder zurück wollte, hielt ihn etwas am Barte. Der Mann dachte, die Haare hätten sich im Schilf verflochten, und zog aus Leibeskräften; aber je mehr er zog, um so fester hielt es ihn; und als er näher zusah, ward er einer grossen, schwarzen Hand gewahr, die aus dem Wasser heraus seinen Bart mit den Fingern ergriffen hatte.

Gleichzeitig sprach eine hässliche Stimme: »Dein Sträuben hilft dir zu nichts! Ich lasse dich nicht los, es sei denn, dass du mir ein Versprechen giebst!« Da lachte der Mann und antwortete: »Was soll ich dir wohl versprechen!« – »Deine Frau,« fuhr die hässliche Stimme fort, »wird in kurzem einen Sohn gebären. Wenn derselbe heranwächst, werden vornehme Leute sich seiner annehmen und ihn auf die hohe Schule schicken, und er wird ein Prediger werden. Willst du mir nun deinen Sohn zusagen und hierher an dies Wasser führen, wenn er dreissig Jahre alt geworden ist, so bist du frei und erhältst ausserdem einen grossen Haufen Geld; wo nicht, magst du hier elendiglich verderben.« Der Mann dachte bei sich: »Das Leben ist süss, und was die Stimme auch redet, einen Sohn wird dir deine Frau doch nicht gebären,« und er sprach laut: »Es soll geschehen, wie du gesagt hast. Lass mich nur los!« In demselben Augenblicke war auch sein Bart wieder frei, und er konnte jetzt sehen, dass es ein allmächtiger, schwarzer Frosch gewesen war, der ihn mit dem rechten Vorderfuss festgehalten hatte.

Aber lange hielt er sich dabei nicht auf, sondern machte, dass er nach Hause zurückkam. Als er in die Stube trat, fand er auf dem Tische einen grossen Haufen Geld liegen, so viel, dass er und seine Frau genug hatten ihr Leben lang. Das hatte ihnen alles der schwarze Frosch beschert. Seine Frau aber trat zu ihm und erzählte ihm, dass sie sich Mutter fühle. Da geriet der Mann in grosse Sorgen und raffte das Geld zusammen und warf es in die Lade und schlug den Deckel zu und drehte das Schloss herum und steckte den Schlüssel zu sich und trug ihn Tag und Nacht auf der[336] Brust, und liess ihn nie von sich, damit ja niemand das Sündengeld berühren möchte. Denn jetzt wusste er wohl, wer der schwarze Frosch war und, dass er sein einziges Kind noch im Mutterleibe an den Teufel verkauft hatte. Seiner Frau aber erzählte er nichts von der ganzen Sache.

So kam's, dass die Frau von Tag zu Tag fröhlicher wurde, während der Mann betrübt vor sich hinsah; und als neun Monde vergangen waren und ein wunderschöner Knabe in der Wiege lag und alle Verwandten und Freunde zusammen kamen und Kindelbier feierten und sich mit der Mutter freuten, da weinte der Vater seine bitterlichen Thränen. Das nahm jedermann Wunder und seine Frau am allermeisten. Sie quälte ihn bei Tage, sie quälte ihn bei Nacht, er möge ihr sein Geheimnis offenbaren; aber er war ganz stille und rückte nicht mit der Sprache heraus.

Indessen kam alles so, wie der schwarze Frosch vorhergesagt hatte. Als der Junge fünf Jahre alt war, gewannen ihn vornehme Leute lieb und nahmen sich seiner an, dass er eine gute Schule besuchen konnte. Dort blieb er bis zu seiner Einsegnung, und weil er der Beste gewesen war in der Kinderlehre, so gab der Pastor seinem Herzen einen Stoss und wagte ein Geld an ihn, dass er die hohe Schule besuchen konnte. Von seinen Eltern erhielt er nichts; denn sie waren und blieben vor aller Welt blutarme Leute, da der Vater von dem Teufelsgelde keinen roten Heller verwandte, sondern alles unberührt im Kasten liegen liess.

Als der Junge ausstudiert hatte, dauerte es gar nicht lange, und er war ein richtiger Prediger und stand auf der Kanzel und hielt den Grossen ihre Sünden vor und lehrte die Kleinen beten. Das erfreute der Mutter Herz, aber dem Vater wurde darüber immer trauriger zu Mute, und Kummer und Sorgen wichen nicht eine Stunde von seinem Angesicht; denn immer näher rückte der Tag heran, da er seinen einzigen Sohn dem schwarzen Frosch übergeben musste.

Dem Prediger fiel der Gram seines Vaters schwer auf's Herz, und er nahm ihn besonders und bat und quälte so lange, bis seine Seele müde ward und er ihm alles gestand. »Wenn's weiter nichts ist,« sagte der Prediger, »dann hättest du dir keine schweren Gedanken zu machen brauchen, lieber Vater. Das soll schon alles gut ablaufen. Führ mich nur zur abgemachten Stunde an den Fluss!« Der Mann war ein wenig getröstet über der Zuversicht seines Sohnes; und als der Prediger dreissig Jahre alt geworden war, führte er ihn an die bezeichnete Stelle. Der schwarze Frosch wartete ihrer daselbst schon, tauchte mit seinem dicken Kopfe aus dem Wasser hervor und sprach: »Es ist gut, dass ihr da seid. Der Prediger gehört jetzt mir und ist mein Knecht, und ich befehle ihm, dass er sich unverzüglich auf den Weg macht und zur Hölle hinab geht. Da werde ich ihm sagen, was er zu thun hat!« Nachdem der schwarze Frosch diese Worte gesprochen hatte, verschwand er wieder; der Mann aber rang die Hände und verfluchte sich, dass er seinen einigen[337] Sohn in solch Unglück gebracht habe. Doch der Prediger verlor seinen Mut nicht, sondern tröstete den Vater und hiess ihn nach Hause zurückkehren. Dann ging er in seine Kirche und kniete nieder und betete; darauf nahm er das Kruzifix und eine Wachskerze von dem Altare und machte sich auf den Weg zur Hölle.

Das war eine lange, beschwerliche Reise. Er wanderte durch Städte und Dörfer, durch Wiesen und Felder, über Berg und Thal, über Stock und Block; endlich gelangte er in einen grossen, finstern Wald, der kein Ende nehmen wollte. Nachdem er ein paar Tage gewandert war, traf er einen Mann, der lag auf seinen Knien und betete. Das war aber früher ein böser Räuber und Mörder gewesen, und jetzt wollte er Vergebung finden für seine Sünden und bei Gott zu Gnaden kommen. Als der Mann den Prediger erblickte, rief er ihm zu: »Rat mir, wie soll ich's machen, dass ich armer Sünder selig werde!« – Antwortete der Prediger: »Das weiss ich wirklich nicht; aber ich bin auf dem Wege zur Hölle und werde den Teufel fragen, wie dir zu helfen sei.« Da dankte der Mann dem Prediger, und dieser ging weiter durch tiefe Schluchten an grossen Abgründen vorbei, bis er an eine allmächtig grosse eiserne Thür kam. Das war das Höllenthor.

Er klopfte an und begehrte Einlass; aber niemand öffnete ihm. Er pochte noch einmal, und siehe, das grosse Eisenthor that sich mit gewaltigem Krachen von selbst auf, dass er eintreten konnte. Drinnen war's stichdunkel. Da holte der Prediger Stahl und Stein aus der Tasche, schlug Licht an und entzündete die Kirchenkerze. In der einen Hand die Leuchte, in der andern das Kruzifix, schritt er unverzagt darauf los und ward gewahr, dass er sich in einem ungeheuren Gewölbe befand. In der Mitte stand ein gewaltiger Pfeiler, der war ringsum mit einem starken eisernen Gitter umgeben, und hinter dem Gitter lag an einer schweren Kette der Teufel.

Der Prediger redete den Bösen an und sprach: »Weise mir den, der mich hierher bestellt hat!« Der Teufel wusste nicht, wen der Prediger meine, und rief einen seiner Diener nach dem andern mit Namen herbei; aber alle schwuren hoch und teuer, sie kenneten den Mann nicht, hätten ihn überhaupt noch niemals gesehen. Ganz zuletzt erschien endlich der schwarze Frosch. »Da bist du ja,« rief der Prediger, »der mich zur Hölle geladen hat!« Der schwarze Frosch fürchtete sich vor der Wachskerze und dem Kruzifiz und sprach voll Angst: »Es ist recht, du bist mein! Dein Vater hat dich mir verschrieben, ehe du geboren warst, und jetzt solltest du in der Hölle mein Diener und selbst ein Teufel werden.« – »Wer hiess dich meinen Vater beim Trinken überlisten, um eine Seele zu fangen,« schrie da der Prediger, »und wer giebt dir das Recht, einen Prediger zum Teufel zu machen!« Mit diesen Worten erhob er das Kruzifix und hieb damit auf den schwarzen Frosch ein und schlug ihn tot, dass alle die bösen Geister um ihn her in Schrecken auseinander stoben und sich in die hintersten Winkel verkrochen. Der Oberteufel[338] aber riss an seiner Kette und fluchte und tobte und befahl dem Prediger, augenblicklich aus der Hölle zu gehen.

»Gewiss werde ich gehen,« antwortete ihm dieser, »aber zuvor sollst du mir sagen, was des armen Sünders harrt, der draussen im Walde vor der Hölle sich mit Beten und Flehen abquält Tag und Nacht, damit er zu Gnaden komme.« Da lachte der Teufel und wies mit der Hand auf eine eiserne Wiege. Die war ganz weissglühend und inwendig mit haarscharfen, feurigen Messern gespickt. »In der Wiege,« sagte der Teufel, »wird jener Mörder nach seinem Tode gewiegt werden, es sei denn, dass er den Stab wieder findet, mit dem er seinen ersten Mord begangen hat. Sollte er den Stock finden, so muss er ihn in die Erde pflanzen und hegen und pflegen, bis er ausschlägt, wächst und grünt und Früchte trägt. An dem Tage, an welchem die Früchte völlig reif geworden sind, ist auch das Ende seiner Prüfungszeit gekommen, er wird zu Gnaden angenommen werden und eines seligen Todes sterben. Aber was nützt das alles, es gelingt ihm doch nimmermehr!«

Der Prediger aber hatte genug gehört und drehte dem Teufel den Rücken und ging wieder aus der Hölle. Draussen im Walde harrte seiner der elende Mörder mit Schmerzen und bat ihn unter Thränen, er möchte ihm sagen, was der Teufel gesprochen hätte. Das that der Prediger auch, und wie freute sich der arme Sünder darüber! Ach, so sehr! Denn so unmöglich das alles schien, er verzagte nicht, sondern machte sich auf den Weg und suchte und suchte, dass er den Stock fände, mit dem er den ersten Menschen erschlagen. Nachdem er lange Zeit vergebens umhergesucht hatte, gelang es ihm endlich, des Stabes habhaft zu werden, und er pflanzte ihn im Walde ein, genau an der Stelle, wo er seinen Leib mit Büssen und Beten zermartert hatte. Er begoss ihn getreulich Tag für Tag und liess sich's nicht verdriessen, dass eine Woche nach der andern, dass Monat um Monat und Jahr um Jahr verging, ohne dass das tote Holz Wurzel geschlagen hätte.

Schliesslich ist's ihm aber doch gelungen. Denn als nach vielen Jahren der Prediger einmal wieder durch diesen Wald kam, erblickte er den Mörder, wie er unter einem grossen Apfelbaum lag, der mit vielen rotbackigen, fast überreifen Früchten bedeckt war. Er trat näher und stiess den Mann leise mit dem Fusse an; denn er glaubte, er schliefe. In demselben Augenblick zerfiel der Körper des Mörders zu Asche, die Seele trennte sich von dem Leibe und fuhr gen Himmel, und mit ihr stiegen all die vielen Äpfel in die Lüfte und sangen dem Herrgott ein Loblied. Die überreifen, rotbackigen Äpfel aber waren nichts anderes, als die Seelen der Leute, welche der Mörder erschlagen hatte und die jetzt mit ihm bei Gott zu Gnaden kamen.

Quelle:
Ulrich Jahn: Volksmärchen aus Pommern und Rügen l, Norden/Leipzig 1891, S. 335-339.
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