Fünfte Szene.

[12] Vorige. Doktor Sandel.


SANDEL keucht die Treppe herauf.

SCHLENKHEIM. Was seh' ich – Herr Doktor Sandel! Sie hier? Suchen Sie mich?

SANDEL. Suche Sie zwar nicht, aber ist mir angenehm, Sie hier zu treffen. – Hier heroben soll ja einer ihrer Leute wohnen – ein Herr Robert Starr.

SCHLENKHEIM. Ja, wohnt da – dort – Auf Robert deutend, welcher auf einen Stuhl gesunken ist und starren Blicks die Briefe betrachtet. Der auf den Stuhl Hingegossene!

SANDEL. Der? Oh! Zieht den Hut ab und macht gegen Robert ein tiefes Kompliment.[12]

SCHLENKHEIM. Ich werde ihm aber bald den Stuhl vor die Tür setzen.

SANDEL. Was? Dem? Stuhl vor die Tür setzen? Werden' nicht tun, Carissime! Werden's nicht tun!

SCHLENKHEIM. Werd's tun – der Teufel soll mich holen! –

SANDEL. Aber, warum denn – cur? – quomodo? quando?

SCHLENKHEIM. Weil er sich unterfängt, redliche Absichten auf meine Tochter zu haben. Frechheit!

SANDEL. Und deshalb – deshalb! – Carissime! Faßt ihn an der Hand und zieht ihn seitwärts.

SCHLENKHEIM. Was haben Sie denn vor?

SANDEL. Ich nichts; aber Sie haben einen ungeheuren Eselsstreich vor –

SCHLENKHEIM. Eselsstreich? – Welche Frechheit!

SANDEL. Wahrheit, Freund – Wahrheit! Ich gehe mit Ihnen jede Wette ein, welche Sie wollen, daß Sie, wenn ich jetzt gleich dieses Aktenstück Das Papier, welches er in der Hand hält, erhebend. laut vorlese, sich augenblicklich eigenhändig zwei wohlkonditionierte Ohrfeigen applizieren.

SCHLENKHEIM. Was, Ohrfeigen? – Ich mir? Welche Frechheit!

SANDEL. Würden's tun, Carissime! Würden's tun! Und ich sehe eigentlich nicht ein, warum ich Sie dieses Vergnügens beraube und nicht augenblicklich – Entfaltet das Papier und will in die Mitte treten.

SCHLENKHEIM ihn zurückhaltend. Aber warten Sie doch! Was ist denn das für eine Schrift?

SANDEL. Jede Terminserstreckung kostet bei mir Geld und jede Konsultation noch mehr; – wollen Sie guten Rat von mir annehmen? Aber[13] wie gesagt, der gute Rat ist teuer, namentlich wenn man ihn bei einem Advokaten kauft.

SCHLENKHEIM. Ich werde nicht klug aus Ihnen.

SANDEL. Dafür bin ich Advokat.

SCHLENKHEIM. Was wollen Sie mir raten?

SANDEL. Hier ist nicht der Ort, aber wenn Sie wünschen, verfüge ich mich in Ihr Kontor hinab, bespreche mich alldort mit Ihnen und steige wieder herauf; natürlich zahlen Sie mir pro primo für die Unterredung selbst – pro secundo für den Weg hin und zurück den Wagen.

SCHLENKHEIM. Was, den Wagen? Wollen Sie denn die Treppe hinab und herauf fahren?

SANDEL. Tut nichts; – bei uns wird für jeden Gang ein Wagen aufgerechnet, dabei fahren wir am besten.

SCHLENKHEIM. Welche Frechheit! – Aber Sie haben mich einmal stutzend und neugierig gemacht, – also kommen Sie in Teufels Namen! Hängt sich in seinen Arm; beide gehen die Treppe hinunter.

ROBERT vom Stuhle aufspringend. Da habt ihr wieder die Reichen! O daß ich auch von einem eichen Mädchen Liebe hoffen konnte, – daß ich nicht früher bedachte, daß der Reichtum der Karlsbader Quelle gleiche, welche alles, auch die zartesten Blüten, versteinert!

CHRISTOPH zu Torf und Hochmann. Meine Herren, er fängt an zu lamentieren! Ich glaub', das werden wir mit nüchternem Magen nicht vertragen können; denn wenn's auch wahr wäre, daß der Anblick zweier glücklich Liebenden ein Schauspiel für Götter ist, so ist doch gewiß der Anblick eines betrogenen Liebhabers ein Schauspiel, das selbst der Teufel auszischte.[14]

TORF zu Robert, ihm tröstend die Hand auf die Schulter legend. Freund Robert! Nur keine Klagen über einen Verlust, der im Grunde doch ein Gewinn ist.

ROBERT. Ein Gewinn? Du hast recht; wozu klagen? Ihr könnt meinen Schmerz doch nicht ermessen.

CHRISTOPH. Ja, es geht mit dem Liebesschmerz wie mit dem Zahnschmerz; die Leut', die nicht dran leiden, betrachten ihn als ein ganz geringes Übel, aber der, der's selbst hat könnt' oft drüber wahnsinnig werden.

ROBERT. Ich will auch um meiner selbst willen nicht klagen – ich will nicht mehr an sie denken – und ich bitte auch euch, erwähnt ihrer nicht mehr, sprecht kein Wort von ihr.

TORF. Recht so – das ist vernünftig. – Also von etwas anderm!

CHRISTOPH. Zum Beispiel vom Frühstück; – da können Sie Ihren Schmerz verbeißen.

TORF. Ja, zum Frühstück – wir wollen es gerade heute in echter Garçonmanier recht fidel anstellen! – Ich will einen Beitrag dazu liefern, der am meisten dazu geeignet sein wird, unseres Freundes Grillen zu zerstreuen. Der Weinhändler Schwibs, an dessen Porträt ich eben arbeite, hat mir gestern drei Flaschen Bordeaux zum Präsent geschickt.

CHRISTOPH. Wein? Bravissimo! Beim Wein denkt man sicher nicht an die Schwüre einer Geliebten, denn im Wein ist nur Wahrheit.


Quelle:
Friedrich Kaiser: Ausgewählte Werke. Band 1, Wien, Teschen, Leipzig [1913], S. 12-15.
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