Vierter Akt

Zelle im Landesgericht. Pritsche. Rechts Tisch, zwei Stühle. Links oben vergittertes Fenster. Türe im Hintergrund. Später Abend.


DER PRINZ vollkommen gebrochen. Geht unruhig auf und ab. Unzusammenhängende Sätze. Madonna spielt Klavier. Abend schleicht über die Räume, drückt schwarze Wipfel zu Boden. Madonna spielt im Nebenzimmer. Wenn sie nur nicht immer dieselbe endlose Etüde spielte. Ich möchte gern Beethoven hören. Bitte – einmal Beethoven. Nicht? Nun, dann nicht. Es ist auch gleichgültig. Immer kommt dieselbe Wendung: La – la – lala – la – – Ich verstehe gar nichts von Musik, aber das peinigt mich unsäglich. Übrigens, warum eigentlich? Nein. nein. Man denkt einfach nicht daran. Wenn nur nicht auch schon Abend würde. Der Abend ist so entsetzlich lang. Madonna wird bei Kerzenlicht ihre Spitzen abwickeln und wieder aufspülen. Und ich kann nicht lesen, muß ihr zuschauen. Muß einfach. Ihre Hände. Wenn das nur nicht so lange dauern würde. Manchmal sitzen wir bis elf, halb zwölf. Und man sollte mehr schlafen. Man kann dann nämlich so schwer einschlafen. Von den offenen Augen im Finstern kommt alles. Alles Schlimme. Unsere Augen sind nur für den Tag. Im Finstern sieht man, daß gar[127] nichts ist Ganz feste, schwere Dinge sind plötzlich weg, Waschtisch, Kasten. Bilder sind schwarz und ausgelöscht. Was bleibt denn noch? Wir ganz allein. Grauenvoll. Grauenvoll. Früher glaubte ich wenigstens an Engel. Das war sehr beruhigend. Aber Madonna hat mir neulich erklärt, daß es keine Engel gäbe. Warum tat sie das? Warum hast du mir das gesagt, Mutter? Ich hatte einen so schönen Engel. Fast so schön wie du. Den hast du mir getötet. Das war nicht gut, Mutter – sicher nicht ...


Die Tür wird aufgesperrt. Es treten ein: der Staatsanwalt, der Gefängnisdirektor, der Verteidiger, zwei Justizfunktionäre, zwei Aufseher und der Herr im Frack, diesmal in Zivil, der sich bescheiden im Hintergrund hält.


DER STAATSANWALT. Ich habe Ihnen die Mitteilung zu machen, daß Ihrem Gnadengesuch, zumal es seitens des hohen Gerichtshofes keine Unterstützung finden konnte, nicht stattgegeben wurde. Das zu Rechtskraft erwachsene Urteil wird demnach morgen vier Uhr früh vollstreckt werden.

DER PRINZ. Bitte, wie – ich verstehe nicht ganz – –

DER STAATSANWALT. Das Urteil ist Ihnen ja bekannt. Wenn Sie es wünschen, werde ich es noch einmal zur Verlesung bringen. Sie sind mit Stimmeneinheit des tückischen Mordes schuldig erkannt und gemäß Paragraph – – des Strafgesetzbuches zum Tode durch den Strang verurteilt worden.[128]

DER PRINZ ungeduldig. Ja, ja, das weiß ich ja. Aber die Gnade – – es heißt doch, daß die Gnade – – –

DER STAATSANWALT. Bitte, stellen Sie sich doch nicht, als ob Sie mich nicht verstünden. Wir sind durch das psychiatrische Gutachten über Ihren Geisteszustand hinreichend informiert Es ist ganz überflüssig, daß Sie hier noch einmal Simulationsversuche unternehmen. Aber wenn Sie darauf bestehen, wiederhole ich also: Ihr Begnadigungsgesuch ist abgewiesen worden. Die Vollstreckung des Urteiles wird morgen um vier Uhr früh stattfinden. Der irdischen Gerechtigkeit – –

DER PRINZ. Aha – wird Genüge geschehen. Das wollten Sie doch sagen? Oder – wird ihr Lauf gelassen. Nicht wahr? Aber die Gnade, ich bitte – die Gnade?

DER STAATSANWALT. Ich habe Ihnen schon gesagt: der hohe Gerichtshof hat durch Ihr ganzes Verhalten während des Prozesses nicht den Eindruck gewonnen, daß es am Platze wäre, Sie zur Begnadigung zu empfehlen.

DER PRINZ leise. Aber ich habe die Welt erlösen wollen.

DER STAATSANWALT achselzuckend. Wenn Sie wüßten, wie Sie uns durch Ihr Benehmen die ganze Sache erleichtern! Es ist vielleicht[129] inkorrekt, wenn ich Ihnen das an dieser Stelle vorhalte, aber – entschuldigen Sie – ein Mensch von Ihrer Abkunft, Ihrem Bildungsgrad sollte doch den Mut aufbringen, die Folgen seines – seiner Handlungsweise mit etwas Würde auf sich zu nehmen.

DER PRINZ. Ich habe die Welt erlösen wollen.

DER STAATSANWALT. Das Urteil der Geschworenen über Sie wäre vielleicht nicht so einstimmig vernichtend ausgefallen, wenn Ihr Simulieren religiösen Wahnsinns, Ihr geradezu frivoles Ausspielen der heiligsten Begriffe und Gefühle die Herren nicht unwillkürlich gegen Sie aufgebracht hätte.

DER PRINZ. Ich simuliere –!

DER STAATSANWALT wider Willen heftig. Ja. Und recht ungeschickt. Das psychiatrische Gutachten hat in dieser Hinsicht keinen Zweifel offen gelassen. Auch der Exzeß, den Sie sich am Vormittag vor der Tat geleistet haben, hat ja gottlob das richtige Gesamturteil der Herren nicht zu beeinflussen vermocht Sie sind ein degenerierter, zu exaltierten Ausbrüchen neigender, aber geistig vollkommen verantwortlicher Mensch. Sie haben einen gewöhnlichen Lustmord begangen und suchen diesen nun mit einem mystisch-romantischen Schimmer aufzuputzen. Wie tief Ihre Verderbtheit geht, erhellt[130] eben am besten der Umstand, daß Sie die Tat begangen haben, unmittelbar nachdem Sie durch die Justifizierung eines gleichen Verbrechers gewarnt worden waren – ja, daß dieser Akt Ihren sadistischen Neigungen gewissermaßen als Stimulans gedient haben mag!

DER VERTEIDIGER. Herr Staatsanwalt, ich muß mich entschieden verwahren –!

DER STAATSANWALT wieder beherrscht. Entschuldigen Sie, Herr Doktor. Ich weiß, daß meine vielleicht begreifliche Erregung nicht am Platze ist. Über den Fall selbst sind hier gewiß keine Worte mehr zu verlieren. Es steht mir nicht zu, einen Gerichteten zu richten. Nochmals – entschuldigen Sie. Zum Prinzen. Sie haben also verstanden, um was es sich –

DER PRINZ mit erzwungener Ruhe. Herr Staatsanwalt, ich begreife Ihren Standpunkt, aber Sie müssen doch auch versuchen, den meinen – – Ich –

DER STAATSANWALT. Ich bedaure, mich mit Ihnen in keinerlei Konversation weiter einlassen zu können. Etwaige Wünsche sind dem Herrn Gefängnisdirektor vorzutragen.

DER PRINZ kämpft einen furchtbaren Ausdruck nieder. Ich möchte –[131]

DER GEFÄNGNISDIREKTOR jovial. Bitte, äußern Sie ruhig Ihre Wünsche. Was irgend möglich ist und den Vorschriften nicht zuwiderläuft, wird gern getan. Wollen Sie ein Henderl mit Reis und Kompott? Oder lieber eine kalte Platte? Man wird sie Ihnen holen.

DER PRINZ vor einem Brechanfall. Nein, danke. Ich möchte nichts essen.

DER GEFÄNGNISDIREKTOR. Aber Sie müssen doch etwas essen! Sie sind sonst morgen –

DER PRINZ leise, feig, gequält. Könnte ich – könnte ich nicht – eine Morphium – injektion – –

DER GEFÄNGNISDIREKTOR. Bedaure, das ist unmöglich. Künstliche Beruhigungsmittel dürfen wir nicht verabfolgen. Aber lassen Sie sich eine Flasche Champagner kommen. Den können Sie haben. Trinken Sie sie aus. Dann werden Sie ganz gut schlafen.

DER PRINZ. Ja – also bitte – eine Flasche –

DER GEFÄNGNISDIREKTOR. Schön. Ihr Herr Verteidiger bleibt noch bei Ihnen. Wenn Sie noch irgendwelche Angelegenheiten zu ordnen haben sollten –[132]

DER PRINZ macht eine abwehrende Bewegung.

DER GEFÄNGNISDIREKTOR. Das ist ganz Ihre Sache. Wünschen Sie den Besuch eines geistlichen Beistandes?

DER PRINZ mechanisch, ohne zu überlegen. Ja.

DER GEFÄNGNISDIREKTOR. Ich werde das Nötige veranlassen. Fast herzlich. Und nehmen Sie sich zusamm'! Es ist nun einmal nicht zu ändern. Sie sind doch – soviel ich weiß – schon wiederholt dem Letzten gegenübergestanden. Man muß – – Ja, was wollte ich sagen? Kurze, schreckliche Pause. Bricht ab. In anderem Tone. Der Herr dort hat ein paar Worte mit Ihnen zu reden. Es ist besser, wenn Sie ihn heute schon sehen, damit Sie ihm morgen gefaßter – – ja. Er tritt mit den anderen in den Hintergrund.


Der dunkel gekleidete, behäbige Herr der bisher im Hintergrund gestanden ist, tritt vor. Letztes, unsicheres Zwielicht, in dem der Herr kein Gesicht zu haben scheint.

Der Prinz erkennt ihn an irgend etwas an der Haltung, weicht mit einem Ausdruck namenlosen Grauens einen Schritt zurück. Das Folgende sehr leise, etwas gespenstisch.


DER BEHÄBIGE HERR. Erlauben schon. Mein Name ist Kurtz.[133]

DER PRINZ am ganzen Körper zitternd. Sehr angenehm. Ich glaube, ich habe schon –

DER BEHÄBIGE HERR. Ja, ja. Haben uns schon g'sehn. Damals haben S' mir schreckliche G'schich ten aufg'führt!

DER PRINZ. Aber damals waren Sie – im Frack.

DER BEHÄBIGE HERR. Ah, die Uniform zieh' ich erst morgen an. Heut' bin ich in Zivil.

DER PRINZ blödsinnig lächelnd. Aha, Zivil. Zivilisation. Civis. Der Bürger.

DER BEHÄBIGE HERR. Bitte? – Alsdann, Sie sollen nämlich ein schrecklich nervöser Herr sein, hat man mir g'sagt. Na, ich weiß ja eh. Macht nix. Schauen S', das kann jedem passieren. Darum komme ich auch her. Sie brauchen nämlich gar ka Angst zu haben. Es tut überhaupt nicht weh.

DER PRINZ. Nicht? Aber ich dachte – wenn man so langsam erstickt. Ich versuche manchmal mich zu trainieren. Halte den Atem an. Aber es geht höchstens bis zwanzig, dann – –

DER BEHÄBIGE HERR beleidigt. Aber Herr – wer red't denn von ersticken? Das sind halt die Vorstellungen des Laien. Erlauben mal.


Er greift ihm blitzschnell nach dem Nackenwirbel.
[134]

DER PRINZ blöckt kurz auf.

DER BEHÄBIGE HERR. Aber ich tu' Ihnen doch nix. Nix für ungut. Sein Sie aber nervös! Na servus, das kann morgen lieb werden!

DER PRINZ. Aber warum – haben Sie mir – daher gegriffen?

DER BEHÄBIGE HERR. Aber nur um zu schauen, ob S' sehr feste Knochen haben.

DER PRINZ. Ja – aber – wozu – –?

DER BEHÄBIGE HERR. Aber wissen S' denn das nicht? Das ist ja der Trick. Ganz unbetont. Ich dreh' Ihnen nämlich dann mit einem Griff das Genick um.

DER PRINZ starrt ihn mit verglasten Augen an.

DER BEHÄBIGE HERR. Ja. Das tut gar nicht weh. Im Gegenteil. Sie stehen sich starr gegenüber. Der Behäbige lächelt einen Augenblick leicht, satanisch. Also lassen S' sich keine grauen Haar' wachsen bis morgen. Trinken S' a Flascherl Schampus. Und sein S' mir fesch morgen. Net so – Was, der Mensch muß doch an Ehrgeiz haben! Ich hab' einen 'kannt, der hat mir, wie ihm 's Krawattel schon umg'legt war, noch schnell gesagt: »Kannst mich – –!«[135] Allerhand Hochachtung. Also machen S' es ihm nach. Habe die Ehre. Guten Abend. Auf Wiedersehen! Zieht sich zurück.

DER STAATSANWALT in der Tür. Also – Sie haben jetzt mit dem Herrn Nachrichter gesprochen. Er wird Sie hoffentlich über den – physiologischen Vorgang beruhigt haben. Ich kann Ihnen nur den Rat geben, erleichtern Sie Ihr Gewissen – das wird auch Ihren Nerven gut tun. Also – etwas vor vier Uhr.

DER PRINZ mit einem Sprung auf ihn zu. Zwei Aufseher fallen ihm in die Arme. Würgt hervor. Herr Staatsanwalt, glauben Sie wirklich, daß ich – daß ich – Ich habe die Welt – –!!


Der Staatsanwalt und die Übrigen entfernen sich rasch. Der Verteidiger und ein alter Aufseher bleiben zurück.


DER PRINZ schwankt auf den Sessel zurück. Ich habe die Welt erlösen – – –

DER VERTEIDIGER zum Aufseher. Sie können ruhig gehen, Doleschal – Sie sehen ja. Es ist absolut keine Gefahr.


Der Aufseher geht. Fast völliges Dunkel.


DER PRINZ. Ich habe die Welt erlösen wollen. Ich habe wissend die Schuld auf mich genommen. Alle Schuld.[136]

DER VERTEIDIGER. Aber bitte, Durchlaucht, bemühen Sie sich jetzt nicht. Wir sind unter vier Augen. Und selbst wenn es anders wäre, es hätte doch gar keinen Sinn. Ich hab' es Ihnen ja prophezeit. Sie haben mir nicht folgen wollen. Ich habe Ihnen gesagt, religiöser Wahnsinn zieht nicht mehr, seit gewöhnliche Raubmörder schon mit dem heiligen Antonius arbeiten. Weder bei den Psychiatern noch bei den Geschworenen. Erstere sind zu wenig aufgeklärt, letztere leider zuviel. Hätten Sie mir gefolgt, hätten Sie sich als Erzsadist ausgegeben! Psychopathia sexualis mit schwerer hereditärer Belastung. Ein Onkel von Ihnen hat doch auch einmal ein kleines Mädchen genotzüchtigt, die Sache ist nur vertuscht worden. Damit hätten wir vielleicht reüssiert. Aber Sie haben die ganze Sache aus der sexuellen Sphäre, für die sich alle interessiert hätten, in die mystische transponiert, um die sich keine Katz kümmert. – Tja, was hilft jetzt alles Reden? Ich habe Sie gewarnt.

DER PRINZ. Ich habe die Schuld auf mich genommen! Aller alle Schuld! Und jetzt kann ich nicht mehr! Sie erdrückt mich. Ich kann einfach nicht. Es muß doch ein Zurück geben. Es muß doch, Herr Doktor –! Es hilft ja so nichts! Ich kann ja nicht mehr! Ich bin schwach, ich bin schwach!

DER VERTEIDIGER erschrocken. Aber, lieber Freund! Das Thema regt Sie zu sehr auf. Red'n wir von was anderm. Haben Sie noch[137] letztwillige Verfügungen zu treffen? Sie haben volle Testierfreiheit.

DER PRINZ schüttelt den Kopf. Das ist ja nicht – Wesenlose Geste. Herr Doktor –! Gibt es auf. Nein. Danke für Ihre Bemühungen.

DER VERTEIDIGER. Es tut mir leid – aber Sie müssen einsehen, Durchlaucht, Sie haben mir die Situation so schwer gemacht –

DER PRINZ bricht ab. Gute Nacht!

DER VERTEIDIGER verblüfft. Ja, soll ich nicht bei Ihnen – bis der Geistliche kommt –

DER PRINZ mit schneidendem Hohn. Glauben Sie, daß er Bridge spielt?

DER VERTEIDIGER entsetzt. Wer?

DER PRINZ. Der Geistliche. Dann könnten wir nämlich noch ein Dreierbridge machen.

DER VERTEIDIGER aufrichtig empört. Nein, ich glaube kaum. – Verzeihen Sie, aber das ist zynisch.[138]

DER PRINZ. Schade. Also dann ist nichts zu machen. Sehr hochmütig. Gute Nacht!

DER VERTEIDIGER. Für Sie ist es jedenfalls besser, in dieser Stimmung zu sein. Ich wünsche Ihnen aufrichtig, daß sie vorhält. Ich werde morgen natürlich zur Stelle sein.

DER PRINZ. Natürlich. Erstens kostet es nichts. Zweitens können Sie von der Geschichte eine Woche lang in den Salons leben.

DER VERTEIDIGER sehr verletzt. Ich begreife Ihre Erregung und bin weit entfernt, Ihnen diesen Ausbruch übel zu nehmen. Es tut mir leid, daß ich sonst nichts für Sie tun kann. Ich wünsche Ihnen von Herzen eine möglichst ruhige Nacht. Er geht.


Vollkommene, dichte Finsternis. Der Prinz schreitet auf und ab.


DER PRINZ leise. Doleschal! Er horcht, zwingt sich zusammen. Dann stärker. Doleschal! Schreiend. Doleschal! Er wirft sich heulend auf die Steine und schlägt mit der Stirne den Boden. Doleschal!! Doleschal!!!

DER ALTE AUFSEHER stürzt herein, eine Petroleumlampe, die kalte Platte und die Champagnerflasche tragend. Scho' da! Scho' da! – Jesus! – Na, was is' denn? Aber was is' denn? Aber – bitt' Sie – bitt' Sie![139] No ja, das geht vorüber. No – – Er richtet den Prinzen auf, der sich an ihn klammert.

DER PRINZ fliegend. Doleschal! Doleschal! Sie glauben mir nicht! Ich habe die Welt erlösen wollen! Ich habe alle Schuld auf mich genommen – nicht wie ER, verstehst du, nur das Leiden! Das Leiden, das ist nichts – aber die Schuld! Ich habe nicht gemordet aus Lust, Doleschal, ich habe gemordet in Schmerzen, wie eine Mutter sie leidet, wenn sie gebiert. Und nun kann ich es nicht mehr tragen!! Ich kann einfach nicht! Es schlägt über mir zusammen! Ich bin schwach, ich bin feig! Es muß alles rückgängig gemacht werden. Das kann doch geschehen, Doleschal! Ich werde ein neues Gesuch schreiben. Du wirst es mit mir unterschreiben, nicht wahr, Doleschal?! Auf dich hören sie, du bist alt, du hast die Medaille für vierzigjährige treue Dienste. Es muß rückgängig gemacht werden. Ich kann das Leiden nicht ertragen!

DER AUFSEHER. Aber, aber – bitt' Sie – also beruhigen S' Ihna! Schaun SY da kann ma doch nix machen. Sind doch alle so, Herr Jesus! Da is' Essen! Schauen S' nur, ein feines Schinkerl – und französischer Schampanjer.

DER PRINZ läßt sich willenlos zum Tisch führen. Aber es muß doch rückgängig gemacht werden. Wenn ich nicht kann[140]

DER AUFSEHER leise, schonend. Ich schenk' Ihna ein. Trinken S' erst a bissel.

DER PRINZ fallend. Rückgängig – – alles rückgängig – –

DER AUFSEHER einfach. Aber schaun S', das geht doch nicht. Schaun S' – die ist doch tot.

DER PRINZ leise. Sie sollen mich zu ihr führen. Ich will die Tochter des Jaïrus von den Toten erwecken.

DER AUFSEHER. Jesus! Jesus!


Die Tür öffnet sich. Vom Korridor schwaches Licht. Der Bruder in brauner Franziskanerkutte mit Kapuze steht dunkel in der Türe.


DER BRUDER. Pax vobiscum.

DER AUFSEHER murmelt. Et cum spiritu tuo. Zum Prinzen. Stehn S' auf, stehn S' auf. Der geistliche Herr ist da.

DER BRUDER freundlich. Lassen Sie nur. Er tritt ein.[141]

DER AUFSEHER leise zum Prinzen. Tun wir nachher essen. Er räumt die Platte und den Champagner weg.

DER BRUDER ruhig zu ihm. Sie können gehen, lieber Freund.

DER AUFSEHER. Bin', wenn S' mich Hochwürden brauchen, nur rufen. Bin in der Nähe. Bitt' um den Segen.

DER BRUDER macht ein Kreuz über ihn. In nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti.

DER AUFSEHER entfernt sieh, schließt die Zellentür.

DER BRUDER setzt sich dem Prinzen gegenüber. Das Licht der kleinen Petroleumlampe liegt voll auf ihm, doch beschattet die Kapuze sein Antlitz. Der Prinz sitzt ganz im Dunkeln. Können Sie das Paternoster?

DER PRINZ starrt ihn gebannt an. Ja, ehrwürdiger Vater.

DER BRUDER. Nur Bruder, bitte, nur Bruder. Wir wollen zusammen beten:


Pater noster, qui es in coelis,

sanctificetur nomen tuum,

adveniat regnum tuum,[142]

fiat voluntas tua

sicut in coelis et in terra.

Et panem nostrum quotidianum da nobis hodie.

Et dimitte nobis debita nostra sicut et nos dimittimus debitoribus nostris.

Et ne nos inducas in tentationem,

sed libera nos a malo.

Amen.


Schweigen.


Sie haben mir einiges zu sagen. Bitte, sprechen Sie ganz frei. Ich brauche Sie nicht auf das Siegel des Beichtgeheimnisses aufmerksam zu machen. Ich werde mich bemühen, Ihnen zu folgen.

DER PRINZ ihn fortwährend starr ansehend. Ich weiß nicht, ehrwürdiger Bruder – –

DER BRUDER lächelnd. Nur Bruder, bitte einfach »Bruder«. Wer von uns ist würdig der Ehre? Es steht geschrieben: »Ich bin nicht wert, ihm den Riemen von seinen Schuhen zu lösen.« Wissen Sie, wer das von sich sagt?

DER PRINZ starr. Ja, der Täufer.

DER BRUDER. Also ein großer Heiliger, Und ich bin keiner. – Sprechen Sie.

DER PRINZ. Ich habe die Welt erlösen wollen.[143]

DER BRUDER. Wovon?

DER PRINZ. Vom Blute. Vom Leiden. Von der Schuld. Von der Erbsünde. Vom Fluche, der über der Liebe ist. Vom Schweiße, der am Werke klebt. Vom Kriege, den Brüder wider Brüder führen. Von der Revolution, die Brüder wider Brüder führt. Von allem Übel.

DER BRUDER. Wie wollten Sie das erreichen?

DER PRINZ. Durch Mord. Ich habe gemordet.

DER BRUDER. Wie kamen Sie dazu?

DER PRINZ. Ich wollte die Schuld auf mich nehmen. Ich wollte mich selbst ausschließen von der Gnade, auf daß sie allen zuteil werde. ER ist rein geblieben. ER hat nur das Kreuz auf sich genommen. Das ist zu wenig. ER hat seinen Körper dargebracht, ich mehr – ich habe auch meine Seele geopfert. Sein Leiden wuchs rein zu den Sternen auf, meines aber gebiert sich aus trächtiger Schuld. Niemand kann mehr verdammt werden nach mir. Denn ich habe die schwerste Sünde begangen. – Ich habe Gott geschaut und mich von ihm gewandt Gott wollte den Kelch an mir vorbeigehen lassen, ich aber habe ihn an mich gerissen. Ich habe ihn geleert bis zum[144] letzten bittersten Tropfen. Ich war vorhin schwach, mein Irdisches krümmte sich zur Erde. Nun aber weiß ich, daß ich den rechten Weg gegangen bin. Und wenn ich morgen unter dem Galgen stehen werde, wenn mein Leib sich erbrechen wird vor Angst und Ekel, wird meine Seele aufschreien vor Lust. Denn ich weiß, nach meinem Tode wird der Tod nicht mehr sein und nicht Leid und Geschrei. Millionen meiner Brüder und Schwestern werden kommen unter mein Holz und sich umarmen und Hosiannah singen. Kinder werden geboren werden ohne Schmerz und heranwachsen mit reinen Augen und glänzenden Scheiteln. Die Kranken werden genesen, die Verlorenen werden heimfinden, die Geknechteten werden frei sein, die Toten werden erstehen und die Pforten der Hölle auffliegen für ewig!!

Nun sprechen Sie mich schuldig, wie es Ihre Pflicht ist. Ich habe nichts zu bereuen.

DER BRUDER. Ich tue es. Schuldig im zweifachen Sinne: des Mordes vor den Menschen und der Hoffart vor Gott.

DER PRINZ schwer atmend. Ihr »Schuldig« trifft mich nicht. Doch Sie sprechen von Hoffart? Ich, der ich mich unter alle gebeugt habe, der ich mich in die Hände der Henker gegeben habe?

DER BRUDER. Sie sprechen immer von »sich«. Hören Sie nicht, wie sich aus jedem Ihrer »Ichs« die schwarze[145] Schlange des Hochmuts bläht? Sie haben sich aufgeopfert – gut, das durften Sie, ich weiß nicht, ob Ihr Opfer Gott wohlgefällig gewesen, ob sein Rauch zum Himmel aufgestiegen wäre! Ich weiß es nicht. Aber Sie haben mehr getan. Sie haben Gott ein Blutopfer dargebracht. Wer gab Ihnen das Recht über ein anderes Leben? Das besser war als Ihres? Wissen Sie nicht, daß Gott unblutiges Opfer verlangt?

DER PRINZ höhnend. Verlangt er das? Warum gibt es dann Maschinengewehre, Flammenwerfer, Gasbomben, schlagende Wetter, Tuberkelbazillen, Syphiliskeime?

DER BRUDER. Eitler! Hochmütiger! Ehrgeiziger! Sie wollen die Harmonie, und die Dissonanz, aus der sie einzig wird, wollen Sie nicht hören? – Warum? Daß wir wachsen, daß wir kämpfen, daß wir niederbrechen, uns neu erheben, aufs neue zum Staube geschlagen werden! – Daß uns blutend, zerfetzt, bespien, am Wegrand, am Fuß des Berges – die Liebe finde! Denn die Liebe geht überall durch die Welt.

DER PRINZ. Worte – ich kenne sie. Ich bin ihr nicht begegnet.

DER BRUDER. Sie sind ihr begegnet, aber Sie wußten mit ihr nichts anzufangen als sie totzuschlagen. Der Prinz zuckt zusammen. O seien Sie ruhig, Sie Erlöser. Sie ist[146] nicht tot, sie geht überall durch die Welt. Und ehe der Tag anbricht, wird sie auch zu Ihnen gefunden haben.

DER PRINZ zurückweichend. Ich will nicht – ich will nicht – Und wenn es wahr ist, was Sie sagen, ich will verdammt, ich will das Opfer sein!

DER BRUDER. Der, über den Sie sich erhoben, hat das Opfer gezeigt, das gebracht werden muß. Die Sie mordeten, hat es Ihnen genannt: den eigenen Hochmut darbringen, den Haß des Herzens, die Ehrsucht des Geistes, die Eitelkeit der Sinne – – – Demut heißt das Opfer, Güte, Gnade. Die Arme ausstrecken zum Segen, nicht zum Mord. Wie, Sie wollten aller Schuld auf sich nehmen und sehen die eigene nicht?!

DER PRINZ beginnt innerlich zu wanken. Ich weiß nicht sprechen – – Sie, sprechen Sie weiter!

DER BRUDER. Ihre Schuld war Hoffart, Ungenügsamkeit in der Güte. Sie wollten nicht den schweren, langsamen Weg der Liebe gehen, den tausend Namenlose vor Ihnen gegangen sind und heute gehen. Sie waren nicht gut zu der, die Sie liebte. Sie haben die Betrübten nicht getröstet, die Gefangenen nicht besucht. Sie wollten den Kalvarienberg stürmen. Sie[147] wollten das Opfer Christi bringen – und haben das Opfer Kains gebracht!

DER PRINZ läßt den Kopf in die Hände fallen. Gott, Gott, Du prüfst mich schwer!

DER BRUDER. Wie, Sie rufen nach Gott? Wollten Sie nicht von ihm verstoßen sein?

DER PRINZ.

Ich wollte es sein.

Gott, Du weißt,

ich wollte allein,

von allen bespien, von allen geschlagen,

die blutige Kreuzlast bergwärts tragen.

Doch nun ist der Versucher an mich getreten,

er hat meine Seele erwürgt, erhängt.

Nun muß ich zu Dir beten!

Meines Leibes Not,

meines Gaumens Bitternis,

der körperliche Tod,

vor dem die Angst mir mein Hirn zerriß,

was sind die gegen des Zweifels Grauen,

den er wider meine Seele hetzt?

Jetzt,

mein Gott, jetzt muß ich Dein Antlitz schauen,

daß ich Sünder meine verdammte Seele

in Deine barmherzigen Hände empfehle.


Die Kapuze ist von dem Haupt des Bruders geglitten, das nun ganz im Lichte steht. Es ist das Haupt des Crucifixus.
[148]

DER BRUDER. Nun hast du dich gebeugt, mein Bruder. Das ist gut. Aber es ist noch nicht alles. Nun sollst du erkennen!

Du sprichst stets von der Schuld. Ich weiß nicht, ob es eine gibt. Aber nimm an, es bestehe etwas wie Schuld, das auf uns Menschen Hegt, das einer wider den andern trägt – Begierde nach fremdem Leib und fremdem Leben, unausgegebene Güte, Gleichgültigkeit, Haß sogar. Du wirfst IHM vor, daß er diese Schuld nicht auf sich genommen habe, daß er sein Leiden trug wie ein fremdes Kind, nicht aus eigenem Blute, aus eigener bewußter Schuld geboren, du vermaßest dich, es zu tun. Weißt du nicht, daß es dies, was du Schuld nennst, ist, was die Menschen aneinander bindet – nicht in Haß und Verzweiflung, wie du meinst, sondern in Liebe? Daß wir immer sündigen müssen, um lieben zu können? Weißt du nicht, daß wir ohne die Schuld herzlose Götter wären, wie du einer warst? Weißt du was Güte ist? Abtragen wollen die Schuld gegen deinen Gläubiger – langsam, langsam abtragen, mit eigenem Leid bezahlen, was er von dir litt – dir abringen die guten Gedanken, die lieben Worte, freundlichen Blick und Segnen der Hände. Wer liebt, trägt ab. Wer leidet, trägt ab. Erlöst sich selbst, erlöst die anderen, erlöst am Ende – wo gibt es ein Ende? – die Welt – das ist der Sinn von Golgatha. – – Du aber, Eitler, Hochmütiger, Ehrgeiziger, fühltest dich nicht genug verschuldet, ein ganzes Leben lang zu lieben und zu leiden? Du mußtest erst morden?! Teuerstes Leben,[149] dir namenlos gläubig an die Brust gelegt, in die Seele geschmiegt, mußtest du verraten, um schuldig zu werden?! So rein warst du? Künstlich mußtest du erst Schuld auf dich laden, du Schuldigster?! Du hast nicht das Opfer Christi gebracht, du hast das Opfer Judas' gebracht.

DER PRINZ auf den Knien.

Mein Gott, mein Gott, in der äußersten Qual,

der Sünde Leuchte, des Hasses Fanal,

erkennend, was ich, Verlorner, getan,

ruf ich dich an:

Der die Liebe erschlug, ihm hingegeben,

der das Leben,

das ihm Güte und Gnade verhieß,

in brennendem Hochmut von sich stieß,

der Erlöser der Welt, der vom Blut und vom Bösen

nicht konnte die eigene Seele lösen,

der das Leben verriet, in die Welt trug den Tod,

der Kain, der Judas Ischariot,

schreit auf nach dem Übermaß deiner Huld:

Vergib mir, Herr, vergib meine Schuld!


Er bricht weinend zusammen.


DER BRUDER steht auf. Es beginnt zu tagen.

Nun bist du gebrochen, mein Bruder. Das ist gut

Nun sollst du losgesprochen werden.

DER PRINZ sieht zu ihm auf. Herr! – –[150]

DER BRUDER gütig. Nicht »Herr«. Nur Bruder, nur Bruder. Von allen Sünden sollst du losgesprochen werden, denn sieh, ich weiß, du hast aus Liebe gesündigt.

DER PRINZ. Herr –! Herr –!

DER BRUDER. Steh auf, mein Bruder! Noch einmal setze dich mir gegenüber. Schau, der Tag bricht an.


Er löscht das Licht. Fahlgraues, langsam anwachsendes Dämmern. Kurzes Schweigen.


Wie schön das Licht mit deinen Haaren spielt. Sagte ich nicht, ehe der Tag anbricht, würde auch dich die Liebe gefunden haben? Du bist kein Erlöser – wir sind es alle nicht. Du bist ein Mörder, mein Bruder – wir sind es alle. Es gibt keine Verdammung. Wir werden nicht geboren, um zu sterben. Wir sterben, um geboren zu werden.

DER PRINZ ehrfürchtig, leise. Darf ich fragen – sieh, ich bin unwissend wie ein Kind – warum müssen wir sterben?

DER BRUDER. Das Saatkorn stirbt, um geboren zu werden. Siehe, ein Sämann gehet aus und die Saat fällt in die Erde und manches Korn erstickt im Geröll. Aber ein Tag kommt und Grünes bricht aus dem Dunkel, wird gelb und reif und schwer und bringt hundertfältige[151] Frucht. Und am Himmel steht rot der Sommer. Mußtest du nicht leiden, um gut zu werden?

DER PRINZ. Aber auch andere mußten für mich leiden.

DER BRUDER. Aber nun littest du für andere. Von deinem Leiden gehen Wellen der Güte aus, durchströmen den Äther – tausend Seelen, die du nicht kennst, beginnen zu schwingen wie Saiten, Musik wird – und das Ende ist die Harmonie.

DER PRINZ mit einem letzten Zweifel ringend. Aber die sterben, ehe sie zu ihren Ohren dringt, die sterben, einer Handgranate Zischen im Ohr, einer Stichflamme Pfiff, eines Hammers Donnern, eines Stromes Gegurgel – die sterben, Fluch auf den Lippen?

DER BRUDER ganz einfach. Ich bin die Auferstehung und das Leben. Ich bin der Sämann, der sät, ich bin der Schnitter, der Ernte hält. Ich habe alle gezählt und sieh, noch keiner ist verloren gegangen.

DER PRINZ ebenso einfach. Dann will ich meinen Weg gehen. Er erhebt sich und kniet vor ihm nieder. Gib mir deinen Segen! Sprich mich los! Verzeih mir, aber mein irdisches Ohr möchte das Wort hören![152]

DER BRUDER legt die Hand auf sein Haupt. Absolvo.

DER PRINZ erhascht seine Hand und küßt sie. Wie schön deine Hand ist. Oh – weißt du, an wen deine Hand mich erinnert?

DER BRUDER lächelnd. Sprich!

DER PRINZ ruhig, heiter. An ihre Hand.

DER BRUDER hebt ihn auf und schließt ihn in seine Arme. Mein Bruder! Er küßt ihn, wie jener den Mörder geküßt hat.


Es ist ganz hell. Strahlender Morgen.

Die Zellentüre wird geöffnet. Landesgerichts-Präsident, Staatsanwalt, Verteidiger, Gerichtsarzt und Aufseher treten ein. Der Bruder verschwindet unter ihnen.


DER PRÄSIDENT. Wir sind gekommen.

DER PRINZ heiter, still. Verzeihen Sie mir, meine Herren, die Mühe, die ich Ihnen mache, Sie, Herr Staatsanwalt, meinen törichten Simulationsversuch, mit dem ich Sie gestern reizte – Sie, Herr Doktor, meinen häßlichen Ausbruch von gestern Abend. Es tut mir herzlich leid.


Alle sehen sich verwundert an.
[153]

DER STAATSANWALT. Es freut mich aufrichtig für Sie, Sie so gefaßt zu finden. Bereuen Sie? –

DER PRINZ ruhig. Ich bereue.

DER VERTEIDIGER. Ich danke Ihnen für Ihre Worte. Ich habe mir die ganze Nacht Vorwürfe gemacht.

DER PRINZ. Nein, nein, mit Unrecht, Herr Doktor!

DER PRÄSIDENT. Der Form halber müssen Ihre Hände –

DER PRINZ legt die Hände auf den Rücken. Ein Aufseher bindet sie ihm zusammen.

Ich bitte.


Während er gefesselt wird, ganz ruhig vor sich hin.


Wie wird das schön sein, diese zwanzig Schritte,

den Himmel über mir, die Luft, vielleicht

ein Kreis von Sonnen auf den dunklen Steinen.

nicht Lerchenruf, nicht Möwenschrei – wozu?

ein Kreis von Sonnen auf den Backsteinmauern,

Nicht mehr, genug. Und den sieht jeder, jeder

einmal, wie dunkel auch sein Leben sei.

Die Kinder wachsen auf, die Menschheit hebt sich

von Tod und Schlummer – stirbt, gebiert sich neu,

wächst Gott entgegen, – aus dem Samen wird

lebend'ge Frucht. Was noch? Gesang? Woher?[154]

Ich hörte nie sie singen. Ist das ihre

gebenedeite Stimme, die sich höher

und höher schwingt? Ist's deine? Ja, sie ist's!

Wie schön und gut! Und Glocken fallen ein?

Nein, was ist das? Von allen Türmen alle

stürmenden Glocken – nein, nicht Sturm – den Frieden,

den Frieden läuten sie. Durch alle Länder,

auf allen Sternen. Aber über allen

schwebt deine Stimme. Daß mir dieses ward,

zuviel, zuviel – – O Liebe – – –


Sehr einfach.


Gehen wir.


Vorhang.

Explicit tragoedia.
[155]

Quelle:
Hans Kaltneker: Dichtungen und Dramen. Berlin, Wien, Leipzig 1925, S. 125-156.
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