2. Vätterseufftzen nach der Christnacht/gesungen am heiligen Abend

[229] David:


Ihr sterblichs Volck/ der ich nicht sterblich bin/

kom jetzt zu euch auß den gestirnten Feldern

wo unsre Geister ziehen hin/[229]

und freuen sich in nimmerwelcken Wäldern:

die bethrente Seufftzenlufft

hat mich zu euch hergerufft.


Ich bin der Mann/ der ich so rühmlich sang

in meine Harff/ die Himmelszwinger Seiten/

und mit belobten Ton erklang/

wie Gott der Herr vor alten alten Zeiten/

Sein Volck hat in Ruh gebracht/

durch deß starcken Armes Macht.


Ich habe mich/ was du zuvor gesagt/

O Gott mein Ruhm zu glauben unternommen/

auch selbst gesagt und es gewagt/

du werdest doch gewißlich einmal kommen/

hoffe wer da hoffen kan/

Er kömt noch wol heute an.


Vätter.


Ach zerreisse doch die Himmel

Weibessame/ Jungfraukind!

Ach zerflösse mit getümmel

Berge die erhaben sind/[230]

Schlangentretter/ Halszerbrecher/

Kopffzerknirscher/ Sündenrächer.


Traun/ es wird vns allen bange/

wie kan jemand frölich sein/

Zions Hülffe bleibet lange/

kein Messias stellt sich ein/

Jacobs Heil/ Israels Führer/

Davids Frucht vnd Stul Regierer.


David.


Gott wird nach mir ererben meinen Thron/

ich hab es selbst gehört mit meinen Ohren/

daß Er gesagt: Hier sitzt mein eigner Sohn/

und zwar darzu noch diesen Eid geschworen:

Warlich/ dieser ist der Hirt/

der Israel weiden wird.


Er wird wie Thau beperlen Laub und Graß/

der Morgen frü das Lentzen Mahlwerck trencket/

und wie das milde Himmelnaß.

Sich auff das Fell mit Silbertreufflen sencket/[231]

Schauet doch/ jhr Völcker/ schaut

das gewünschte Thauen thaut.


Vätter.


Thauet doch/ jhr Himmel/ thaut/

und befeuchtet Jesse Strauch/

Ihr gesunden Regen bauet/

schwängeret den Erdenbauch/

daß wir können in der neige

brechen zarte Cederzweige.


Wie? wann kommen dann die Zeiten/

da man wird vom Perserstrand/

mit Windschnellen Läuffern reiten/

auß dem schwartzen Morenland/

Opffern Goldgewachsne Hörner/

Myrrhentropffen/ Weyrauchkörner.


David.


Es ist gewiß ein kleines noch dahin/

dann wird der Herr Glut/ Flut/ Lufft/ Erd bewegen

und beugen aller Heyden Sinn/

dann wird getrost der Heyden Trost recht regen/[232]

was die viergetheilte Welt

üm vnd üm umschlossen hält.


Ich sehe schon von Elams Höhen her

das weise Volck der Sternerfahrnen Weisen/

weit über Land/ weit über Meer/

mit reicher Gifft und hohen Gaben reisen/

das beflamte Feuer blinckt/

Juden und auch Heyden winckt.

Quelle:
Johann Klaj: Friedensdichtungen und kleinere poetische Schriften, Tübingen 1968, S. 229-233.
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Friedensdichtungen und kleinere poetische Schriften

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